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WM 2022 in Katar: Begeisterung oder Boykott?


Hitzige WM-Debatte
Wer schaut sich das an?


Aktualisiert am 19.11.2022Lesedauer: 5 Min.
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Protest gegen die WM: Auch in vielen Bars und Kneipen bleibt während der Weltmeisterschaft der Fernseher aus. (Quelle: IMAGO/Pressefoto Rudel/Robin Rudel)

Die Weltmeisterschaft gucken oder nicht gucken? Begeisterung oder Boykott? Vor dieser schweren Entscheidung stehen Millionen Fußballfans. Was tun?

Kann ich die Weltmeisterschaft nun gucken oder nicht? Voller Begeisterung und guten Gewissens den Fußball-Highlights entgegenfiebern? Oder gilt es, das umstrittene Turnier in Katar konsequent zu boykottieren?

Es ist ein Dilemma, vor dem Millionen Fußballfans in Deutschland stehen. Die Berichte über verstorbene Arbeitsmigranten, fehlende Menschenrechte sowie Feindlichkeit gegenüber Homosexuellen im Emirat und eine undurchsichtige Turniervergabe durch die Fifa überschatten die Vorfreude auf die Weltmeisterschaft.

Fanvertreter: "Ich werde keine Minute schauen"

Dario Minden vom Verbund "Unsere Kurve" hat eine klare Meinung. "Ich werde keine Minute schauen und freue mich über alle, die es genauso halten, aber ich fände es verkehrt, den Leuten eine Moralpredigt zu halten, weil sie die Spiele schauen", sagte er gut eine Woche vor WM-Start im t-online-Interview. Am 15. Bundesliga-Spieltag, dem letzten vor der WM-bedingten Winterpause, dominierten in den deutschen Stadien die "Boycott Qatar"-Schilder der Fans auf den Rängen.

Auch Trainer aus der Bundesliga zeigten wenig Begeisterung für das Event. "Alles, was ich auf den Plakaten hier gelesen habe, stimmt", bilanzierte etwa Freiburgs Trainer Christian Streich bezüglich der Kritik an der Menschenrechtssituation im Austragungsland. Fürth-Trainer Alexander Zorniger wünschte frohe Weihnachten und viel Spaß bei der "Schwachsinns-WM".

Es zeichnet sich ab, dass die übertragenden TV-Sender ARD, ZDF und MagentaTV mit geringerem Interesse rechnen müssen als bei vorherigen Großevents. Einer repräsentativen Umfrage der Sportschau und des ARD-Morgenmagazins zufolge geht nur ein Drittel von 1.225 befragten Bundesbürgerinnen und -bürgern davon aus, die WM aufmerksam zu verfolgen. 56 Prozent werden die Übertragungen eigener Aussage nach ignorieren, neun Prozent der Bürger sind noch unsicher.

ARD-Sportkoordinator "gespannt" wegen Einschaltquoten

Der am häufigsten genannte Grund, die WM nicht schauen zu wollen, war allerdings das Desinteresse am Fußball generell (50 Prozent). Erst an zweiter Stelle (41 Prozent) gaben die Teilnehmenden an, sich an der Menschenrechtssituation und dem Umgang mit den Gastarbeitern zu stören.

"Bezüglich der Einschaltquoten sind wir gespannt", sagt ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky auf t-online-Nachfrage bezüglich des Interesses der TV-Zuschauenden. "Die WM in Katar ist sehr umstritten und sie ist die erste Fußball-Weltmeisterschaft, die im Winter stattfindet, deshalb ist es schwierig, dafür eine Prognose abzugeben. Es wird sich zeigen, inwiefern dies oder die teilweise sehr frühen Anstoßzeiten Auswirkungen auf die Einschaltquoten haben." Aufgrund des eng getakteten Spielplans finden in der Vorrunde an mehreren Tagen gleich vier Spiele statt, um 11, 14, 17 und 20 Uhr deutscher Zeit.

Bei der Entscheidung, ob das WM-Gucken zur Weihnachtszeit vertretbar ist, könnten die Einschätzungen großer Organisationen helfen. Die evangelische Kirche gab in ihrer Broschüre "Macht hoch die Tür, die Tooor macht weit" keine eindeutige Empfehlung. Sylvia Schenk, Sportexpertin von Transparency International, ist überzeugt, dass ein Boykott den betroffenen Menschen in Katar nicht helfen würde. Amnesty International forderte ebenfalls nie einen Boykott – die Entscheidung müsse letztlich jeder für sich treffen. Auch, ob er zuschaut.

Rainer Erlinger, Experte für Moralfragen bei der Süddeutschen Zeitung, sieht eine zentrale Frage, die sich jede und jeder stellen sollte. "Würde die Gesellschaft noch funktionieren, wenn die Grundzüge meines Wollens Gesetz würden? Daran sollten wir unser Handeln ausrichten."

Gespielt glücklich-tolle WM-Show? ARD und ZDF halten dagegen

Fanvertreter Minden erwartet derweil eine "unangenehme, gespielt glücklich-tolle WM-Show", weil die übertragenden Sender angesichts der Werbekunden nicht permanent über die negativen Seiten des Turniers sprechen könnten. "Da kannst du nicht in jedem zweiten Satz erwähnen, dass man guten Gewissens diesen Mist eigentlich nur abschalten kann. Es wird packende Spiele und tolle Tore geben, weswegen ich ein unkritisches Abfeiern erwarte. Der kritische Bericht über die moderne Sklaverei läuft dann kurz vor Mitternacht", zeigt er sich skeptisch.

Die TV-Anstalten halten dagegen und betonen, alle Facetten ausführlich beleuchten zu wollen. "Ausführliche Berichterstattung über die problematische Lebenswirklichkeit abseits des sportlichen Geschehens führt eher zu Reformen als ein Abwenden der öffentlichen Aufmerksamkeit", begründeten ARD-Programmdirektorin Christine Strobl und ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten in einem gemeinsamen Vorwort das Engagement ihrer Sender in Katar. Auch Arnim Butzen, Chef von MagentaTV, sieht in der kritischen Auseinandersetzung den richtigen Weg. "Wir unterstützen ausdrücklich die kritische Debatte über die problematische Menschenrechtssituation in Katar, die Kriterien zur Auswahl der WM-Austragungsorte und die Nachhaltigkeit des Wettbewerbs. Wir sehen die kritische Begleitung des Turniers als Chance, um volle Aufmerksamkeit auf die vorhandenen Probleme zu lenken", so Butzen.

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Balkausky wählt ähnliche Worte. "Hinsichtlich unserer Berichterstattung von der Fußball-WM in Katar hat die ARD von Anfang an betont, dass sie die WM und die Verhältnisse im Land journalistisch kritisch begleiten wird", so der ARD-Sportkoordinator. "Und das hat sie mit einer breiten Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen in Katar und über die Vergabe der WM durch die Fifa vielfach bestätigt. Bereits lange im Vorfeld und im Rahmen der Übertragungen von der Fußball-WM berichten wir über das Gastgeberland und die dort herrschende rechtliche, politische, kulturelle und gesellschaftliche Situation kritisch und umfassend in unseren Programmen."

ARD und ZDF zahlten 214 Millionen Euro

Unter anderem finden sich in der Mediathek der ARD die vierteilige Dokumentation "Katar – WM der Schande" der Investigativjournalisten Benjamin Best, Robert Kempe und Jochen Leufgens. Auch Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger, der sich im t-online-Interview zuletzt gegen einen Boykott aussprach, war für die ARD nach Nepal und Katar gereist, um mit Betroffenen zu sprechen.

"Die Berichterstattung von der Fußball-WM ist – neben der sportlichen Berichterstattung – für uns eine große und wichtige Chance, die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit auf die Situation im Austragungsland zu lenken und darüber aufzuklären", rechtfertigt Balkausky die Übertragung der WM. Laut statista.com bezahlten ARD und ZDF gemeinsam 214 Millionen Euro für die TV-Übertragungsrechte – und damit vier Millionen weniger als noch bei der WM 2018 in Russland.

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Wenn das Turnier dann aber läuft, zeigte sich England-Ikone Gary Lineker im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung überzeugt, werde der Fußball wieder viele Menschen in seinen Bann ziehen. Vor dem Start der großen Events gehe es oft um die Probleme, so der klare Katar-Kritiker: "Vor der WM in Südafrika und in Brasilien gingen die Menschen auf die Straße und fragten: Warum haben wir die WM, wenn es so viele soziale Probleme zu lösen gibt? Auch in Russland gab es Bedenken. Aber machen wir uns nichts vor: Sobald der Fußball beginnt, wird er alles verschlingen."

Es muss nicht immer Fußball sein

In eine ähnliche Kerbe schlug auch Sportfunktionär und Politiker Willi Lemke in der TV-Sendung "Hart aber fair": "Ich freue mich auf die WM. (…) Ab morgen werden wir in den Zeitungen und Medien von Fußball hören, und da bin ich froh, weil das zum Teil nicht fair war, wie wir mit den Menschen in Katar umgegangen sind."

Fest steht: Diese WM ist in vielerlei Hinsicht eine besondere – und vermutlich die politischste aller Zeiten. Und auch dieses Jahr werden sich etliche Menschen vor den TV-Geräten versammeln und (zumindest) die Partien des DFB-Teams schauen.

Wer dennoch nicht überzeugt ist und nicht auf spannende Fußballpartien verzichten will, bekommt in Deutschland ein durchaus attraktives Alternativprogramm geboten. Die Frauen-Bundesliga sowie die Frauen-Champions-League laufen weiter, und auch in den Männer-Regionalligen rollt weiterhin der Ball. Und mit Wintersport, der NBA, der NFL oder auch der alljährlichen Darts-WM können Sportfans auch auf andere Sportarten zurückgreifen. Es muss ja nicht immer Fußball sein.

Die WM in Katar beginnt. t-online ist mit vor Ort und berichtet über das brisanteste Turnier der Fußballgeschichte. Mit dem WM-Push verpassen Sie keine News mehr. Hier können Sie ihn abonnieren.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Mit Material der Nachrichtenagentur SID
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