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Milan Borjan: Das gefährliche Gedankengut von Kanadas WM-Torwart


Milan Borjan
Das gefährliche Gedankengut des Kanada-Keepers

  • Dominik Sliskovic
Von Dominik Sliskovic

27.11.2022Lesedauer: 4 Min.
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Milan Borjan: Der 34-Jährige ist Kanadas Stammtorwart bei der WM in Katar. (Quelle: IMAGO/ULMER/Markus Ulmer)

Wenn Kanada bei der WM auf Kroatien trifft, wird es nicht nur um Sport gehen. Der Grund dafür sind ultranationalistische Aussagen des serbischstämmigen Keepers der Nordamerikaner.

Es ist seine Antwort auf eine Interviewfrage, mit der Milan Borjan das auf dem Papier eigentlich unauffällige WM-Duell zwischen Kanada und Kroatien schon 2018 zu einer hochbrisanten Partie politisierte: Wie würde er – der Torwart des einstigen Europapokalsiegers Roter Stern Belgrad -, der in Kroatien geboren wurde, in Serbien arbeitet und lebt, aber für die Nationalmannschaft Kanadas zwischen den Pfosten steht, sich bezeichnen? "Sie haben einen großen Fehler begangen", belehrte der Fußballer den Journalisten des serbischen Rundfunksenders B92, ehe er für den Eklat sorgte: "Ich bin nicht in Kroatien geboren, sondern in der Krajina, in Dalmatien. Das war ein serbischer Ort."

Mit nur diesem einem Satz hatte sich Borjan als Vertreter eines reaktionären, großserbischen Nationalismus entlarvt.

Aber was genau bedeutet seine Aussage überhaupt? Woher stammt sein Gedankengut?

Kanadas Nummer eins wurde 1987 in der Kleinstadt Knin im Hinterland Dalmatiens geboren. Damals war der Ort noch Teil der Sozialistischen Republik Kroatien, einer von sechs ihrer Art, die die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (SFRJ) bildeten. Knin und die Dörfer drumherum wurden zur Mehrheit von ethnischen Serben bevölkert – ein Aspekt, der der Region im zerfallenden Jugoslawien und während des Kroatienkriegs eine zweifelhafte Stellung einbrachte.

Borjans Familie wurde im Kroatienkrieg aus ihrer Heimat vertrieben

Schon kurz nach Beginn des Konflikts riefen serbische Nationalisten im Dezember 1991 die Republik Serbische Krajina aus. Ein De-facto-Regime, das mit paramilitärischen Truppen die Eroberung kroatischer Territorien und deren ethnische Säuberung vorantrieb. Das ultimative Ziel war – gemeinsam mit der von Radovan Karadžić geführten bosnischen Republika Srpska – der Anschluss an das serbische "Mutterland". Kurzum: die Entstehung Großserbiens.

Borjans Heimatstadt Knin wurde dabei zur Hauptstadt der Krajina auserwählt, für vertriebene und getötete kroatische Familien wurden andernorts vertriebene Serben angesiedelt. Zwischenzeitlich erstreckte sich das vom Unrechtsstaat kontrollierte Gebiet auf ein Drittel des kroatischen Territoriums. Erst durch die Militäroperation "Oluja" (deutsch: Sturm) im August 1995 eroberten die kroatischen Streitkräfte die Gebiete zurück und zerschlugen damit auch das Krajina-Regime.

Während der "Oluja" kam es wiederum vonseiten des kroatischen Militärs zu Vertreibungen – unter anderem davon betroffen: der damals siebenjährige Borjan und seine Familie. Der heute 34-Jährige floh mit seinen Verwandten nach Belgrad, wo der Vater im Jahr 2000 entschied, mit der Familie weiter nach Kanada zu ziehen.

Seitdem ist viel Zeit vergangen. Die Borjans sind in Hamilton in der Provinz Ontario sesshaft und zu kanadischen Staatsbürgern geworden, Milan ist als Torwart um die Welt gekommen: Kanada, Uruguay, Argentinien, Serbien, Türkei, Rumänien, Bulgarien, Polen – in insgesamt acht Ländern stand der 1,93-m-Hüne im Kasten. Zeit zur Vergebung, Versöhnung, zur Reflexion des problematischen Weltbildes fand er in all diesen Jahren offenbar nicht. Stattdessen provoziert der 38-fache kanadische Nationalspieler lieber weiter.

Ignorieren historischer Fakten? "Jeder hat seine Meinung"

Vom serbischen Boulevardblatt "Kurir" auf die empörten Reaktionen aus Kroatien auf seine Krajina-Aussage angesprochen, erklärte Borjan im April dieses Jahres: "Das sagt vieles über sie (die Kroaten, Anm. d. Red.) aus. Die Beleidigungen, Bedrohungen, diese ganze Primitivität." Und weiter: "Ich werde immer stolz auf meinen Geburtsort sein. Und als ich 1987 geboren wurde, wurde ich in der Serbischen Republik Krajina geboren – und darauf werde ich immer stolz sein."

Den historischen Fakt, dass die De-facto-Republik Krajina 1987 noch gar nicht ausgerufen war, und Dalmatien – anders als er es wiederholt behauptet – völkerrechtlich nicht serbisches Land ist (schließlich gehörte diese Region schon in der SFRJ zur Republik Kroatien), quittiert er geflissentlich mit dem Hinweis, "jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung".

Für seinen Standpunkt und seine verquere Interpretation von Heimatliebe wird Borjan von serbischen Nationalisten und den Ultras seines Klubs Roter Stern, den Delije (deutsch, etwa: Helden), gefeiert. Ein Bild, das ihn beim traditionellen Schnapsbrennen in einem T-Shirt mit der Aufschrift "Serbische Krajina" in kyrillischen Buchstaben zeigt, ist zu einer Ikone in rechten serbischen Kreisen geworden.

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Geht Borjan also mit einer besonderen Motivation in die Partie gegen Kroatien? Der entsprechenden Frage in der Mixed-Zone nach der Auftaktpleite gegen Belgien (0:1) ging er, der ansonsten für keine kontroverse Aussage zu verlegen ist, aus dem Weg. "Diese Thematik möchte ich lieber nicht kommentieren", antwortete der Keeper überraschend schmallippig – nur um dann doch noch eine kokette Antwort hinterherzuschieben: "Heutzutage spielt jeder Fußball, deshalb wird das keine besondere Partie für mich werden, sondern eine wie jede andere auch."

"Fickt die Kroaten": Borjans Trainer heizt die Lage nur weiter an

Während Borjan wenige Tage vor dem Spiel nicht weiteres Öl ins Feuer gießen will, ist es ausgerechnet sein Nationalmannschaftstrainer John Herdman, der mit einer ebenso unbedachten wie geschmacklosen Aussage für noch mehr Unverständnis und Wut in Kroatien gesorgt hat.

Vom englischsprachigen Onlineportal "The Athletic" nach dem Inhalt seiner emotionalen Teamansprache auf dem Spielfeld nach der knappen Niederlage gegen Belgien gefragt, antwortete Herdman: "Ich habe meinen Spielern gesagt, dass sie im nächsten Spiel rausgehen und Kroatien ficken sollen. So einfach ist das."

Während der vulgäre Ausfall des 47-Jährigen seit Tagen die kroatischen Medien bestimmt, reagiert sein Gegenüber Zlatko Dalić kühl und bedacht. "Jeder von uns hat seine Art, zu kommunizieren, er hat diese gewählt – inwiefern sie schön sein soll, weiß ich nicht", erklärte der Vizeweltmeistercoach bei einer Pressekonferenz – und nahm damit auch gleich Herdmans halbgarer Entschuldigung den Wind aus den Segeln: Er habe das Team um Bayern-Star Alphonso Davies mit seiner drastischen Wortwahl "inspirieren" wollen, ließ er den kanadischen Sportsender TSN wissen.

Gut möglich, dass sowohl Herdman und Borjan mit ihren Provokationen Kanada ein Eigentor geschossen haben. Denn Dalić wird ihre Aussagen für sich zu nutzen wissen, so wie er es 2018 in einer ähnlichen Situation bereits getan hat: Damals, bei der WM in Russland, spielte er seinen Spielern vor dem Halbfinalduell gegen England Videoschnipsel vor, in denen die Profis der "Three Lions" selbstsicher davon sprachen: "football's coming home". Dalić nährte den Stolz und Trotz seiner Spieler, die ihre Antwort auf dem Platz des Luschniki-Stadions von Moskau gaben und dank Mario Mandžukićs Treffer in der Verlängerung ins Endspiel einzogen.

Ähnliche Knöpfe dürfte Dalić nun auch wieder gedrückt haben. Und sich nach der Partie bei Borjan und Herdman für die Steilvorlagen bedanken. Es wäre nicht das erste Mal.

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