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Lockdown in Berchtesgaden – Ex-Ski-Star Hilde Gerg: "Zu schnell zu radikal"


Ex-Ski-Star Hilde Gerg
Lockdown in Berchtesgaden: "Dieser Schnitt war mir zu extrem"

  • David Digili
InterviewVon David Digili

Aktualisiert am 21.10.2020Lesedauer: 5 Min.
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Eine Polizeistreife kontrolliert die Corona-Maßnahmen in Berchtesgaden: Olympiasiegerin Hilde Gerg hält die Reaktion der Politik für zu drastisch.Vergrößern des Bildes
Eine Polizeistreife kontrolliert die Corona-Maßnahmen in Berchtesgaden: Olympiasiegerin Hilde Gerg hält die Reaktion der Politik für zu drastisch. (Quelle: Lino Mirgeler/dpa)

Olympiasiegerin Hilde Gerg gehört zu den Betroffenen der Verschärfung der Corona-Maßnahmen in Berchtesgarden. Ein Gespräch über die Auswirkungen, Existenzängste und die Reaktion der Menschen.

Das Berchtesgadener Land ist aktuell der Corona-Hotspot in Deutschland. Wegen stark gestiegener Infektionszahlen wurden die Regeln in der Region wieder drastisch verschärft, die bayerische Landesregierung hat das Leben im Landkreis fast komplett heruntergefahren. Es gelten Ausgangssperren – und Touristen mussten die beliebte Urlaubsregion sofort wieder verlassen.

Ex-Ski-Alpin-Star Hilde Gerg ist eine der Betroffenen. Die Slalom-Olympiasiegerin von Nagano 1998 betreibt in Berchtesgaden Ferienwohnungen und bietet als Athletiktrainerin Fitnesskurse an. Im Interview spricht die 45-Jährige über die Auswirkungen des Lockdowns, die Reaktion der Gäste – und die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus.

t-online: Frau Gerg, eine vermeintlich einfache Frage zum Start: Wie geht es Ihnen?

Hilde Gerg: Gesundheitlich geht es mir gut (lacht). Bei uns in der Familie ist aktuell Gott sei Dank keiner erkrankt, das ist schon mal beruhigend.

Sie haben ja sicher nicht umsonst das "gesundheitlich" so betont. Wie erleben Sie den Lockdown in Berchtesgaden?

Ja (lacht). Es ist einfach so, dass man hier nicht mit so starken Einschränkungen gerechnet hat. Wir haben uns darauf verlassen, dass man jetzt neue Konzepte hat, neue Strategien, mit Abstand, mit den Schulen, wo es heißt, die Kinder sollen jeden zweiten Tag hingehen oder in kleineren Klassen unterrichtet werden. Dass man jetzt mit Maß und Ziel agiert. Es steht ja außer Frage, dass man natürlich reagieren muss, wenn das Infektionsgeschehen in die Höhe schnellt. Aber diese krassen Einschnitte sind nicht das, was ich erwartet habe.

Sie betreiben Ferienwohnungen und bieten auch Athletiktrainings an – wie schwer trifft Sie die Situation persönlich?

Sehr. Für mich fallen jetzt einfach die zwei wichtigsten Einnahmequellen weg. Die Gäste, die ihren Aufenthalt schon bezahlt haben, denen wird das Geld natürlich zurückgezahlt. Das war im Frühjahr auch so. Und für mich als Athletiktrainerin herrscht mindestens die nächsten zwei Wochen auch wieder Stillstand. Auf Dauer geht das einfach nicht, denn irgendwann braucht man nun mal wieder Einnahmen.

Haben Sie da Sorgen, ob und wie es weitergeht?

Gedanken um meine Existenz mache ich mir noch nicht, allerdings ist es in diesem Jahr sicher so, das die angesparten Reserven angegriffen werden mussten.

Jetzt mussten alle Touristen umgehend abreisen.

Wenn man zu den Gästen kommen muss, um zu sagen: Ich muss Euch jetzt alle nach Hause schicken – das habe ich ganz schweren Herzens gemacht. Die sind ja schließlich auch in dieser ganzen Situation angereist, man hat sich vorher besprochen. Die Gäste sind alleine in den Wohnungen, manche haben sich sogar selbst Verpflegung mitgebracht, damit man nicht so viel Kontakt hat.


Wie haben Ihre Gäste reagiert?

Die waren völlig schockiert, dass sie die Heimreise antreten mussten. Dadurch, dass sie hier allein waren in den Wohnungen und auch allein wandern waren, hatten sie einen anderen Blick auf die Situation als von zuhause. So traf sie das ganz unerwartet. Mal abgesehen davon: Man mag die Gäste beherbergen, man möchte ihnen einen schönen Urlaub bereiten. Man bereitet vorher alles vor, man desinfiziert alles, man trifft alle Vorkehrungen – dann ist so ein Beschluss auch für einen selbst mit einem Schock verbunden.

Und gab es auch Verständnis?

Ja, sehr. Die Gäste wussten ja auch, dass man an der Situation nichts ändern konnte, und dass das nicht in meiner Entscheidungsgewalt lag. An die Anweisungen muss man sich nun mal halten. Trotzdem war es einfach sehr emotional.

Aus Ihren Beobachtungen im Alltag im Ort: Ist der starke Anstieg der Corona-Infektionen im Berchtesgadener Land für Sie nachvollziehbar? Haben Sie Verstöße gegen die Maßnahmen erlebt?

Nein. Es war nicht so, dass ich gesehen habe: An bestimmten Orten hält sich keiner an die Regeln, beispielsweise, dass in Gasthäusern die Hygienevorschriften nicht eingehalten werden. Im Gegenteil: Man hat sich eher alle Mühe gegeben, alles so gut wie möglich zu handhaben. Man muss auch sagen: Gerade im Sommer waren enorm viele Touristen hier im Talkessel – da ist es fast schon verwunderlich, dass die Zahlen nicht schon viel früher in die Höhe geschossen sind. Einfach nur, weil so viele Gäste da waren. Aber es hat offenbar doch auch mit der Kälte zu tun. Seit zehn Tagen haben wir Schnee in spürbarer Nähe.

Wie spüren Sie die Auswirkungen?

Schon bei kleinen Dingen. Ich kann zu meinen Kindern nach den Schularbeiten nicht mehr sagen: Kommt, wir machen einen Ausflug – weil die ganzen Wanderparkplätze hier in der Umgebung gesperrt sind (lacht).

In einem emotionalen Instagram-Post haben Sie Verständnis für die neuen härteren Maßnahmen geäußert, aber sie gleichzeitig auch kritisiert. Hätten Sie sich denn andere Entscheidungen erhofft?

Mir ist das alles jetzt einfach zu schnell, zu radikal. Man hätte zum Beispiel einen etwas sanfteren Abschluss der Saison finden können. Es waren ja sowieso schon einige Gäste nicht mehr angereist, weil sie beispielsweise aus einem Risikogebiet gekommen wären. Und die, die da waren, die musste ich jetzt auch noch rausschmeißen. Dieser Schnitt war mir zu extrem. Auch die komplette Schul- und Kindergartenschließung sehe ich sehr kritisch.

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Jetzt ist der Lockdown in Berchtesgaden nun mal Realität. Auf welche Erkenntnisse hoffen Sie?

Dass aus dieser ganzen Situation auch Rückschlüsse gezogen werden können, damit nicht in vier, fünf Wochen plötzlich wieder ganz Deutschland runtergefahren werden muss. Und dann ist es wichtig, dass man den Menschen nicht gänzlich verwehrt, ihrer Arbeit nachzugehen, wenn das nun mal ihre Existenzgrundlage ist. Dass Menschenansammlungen verboten werden und das Freizeitleben einschränkt wird, das ist ja etwas anderes, als wenn gleich alles zugesperrt wird. Natürlich werden wir jetzt in 14 Tagen wieder weniger Fälle haben, das ist ja logisch. Aber ob man das nicht auch auf anderem Wege hätte erreichen können…

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Sie wünschen sich einen anderen Umgang mit der Situation?

Vielleicht muss man sich auch einfach trauen, etwas mutiger zu sein, etwas positiver und nicht mit so viel Angst. Natürlich ist es logisch: Das Sicherste ist, alles zuzumachen. Wenn man ein kleines Kind betreut, und es lernt gerade laufen, dann setzt man es ja auch in einen Laufstall, weil es das Sicherste ist. Wir müssen einfach Lösungen finden, mit diesem Virus zu leben – denn so, wie es aussieht, wird es uns leider noch länger verfolgen.

Verwendete Quellen
  • Eigenes Interview mit Hilde Gerg
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