Nachwuchsschauspieler Leo Simon "Ich habe die Schnauze voll"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Für die Serie "Where's Wanda?" stand Leo Simon erstmals als Schauspieler vor der Kamera. Der Newcomer ist gehörlos. Im t-online verrät er, ob er deshalb jemals an sich gezweifelt hat.
Sein Serienkollege Axel Stein beschreibt ihn als "Teufelskerl" – und tatsächlich ist Leo Simon im t-online-Interview die Ruhe weg. Das ganze Gespräch über hat er ein Lächeln auf den Lippen. Es fühlt sich so an, als genieße er jede Sekunde, in der er über seine Arbeit sprechen kann. Mit "Where's Wanda?" erfüllt sich ein Traum für den 20-Jährigen: Bereits im Kindergarten entdeckte er seine Leidenschaft für die Schauspielerei und schloss sich einer Theatergruppe für Kinder an.
In der Streamingserie hat er jetzt die Gelegenheit, sich einem größeren Publikum zu präsentieren. Er spielt Ole Klatt, den Sohn von Carlotta (Heike Makatsch) und Dedo Klatt (Axel Stein). Der Alltag der Familie wird von ständiger Angst begleitet, denn vor Wochen verschwand Tochter Wanda (Lea Drinda). Da die Ermittlungen der Polizei ergebnislos bleiben, nehmen die Klatts die Sache selbst in die Hand: Mithilfe von Überwachungskameras spionieren sie ihre Nachbarn aus.
- Heike Makatsch über "Where's Wanda?": Wie weit darf Comedy gehen?
Immer wieder erkennt sich Leo Simon in seiner Rolle Ole Klatt wider. Genau wie der Schauspieler ist auch seine Serienfigur gehörlos. Neben der Gebärdensprache beherrscht Simon dank seiner Arbeit mit Logopäden auch die Lautsprache. Im t-online-Interview erklärt der Newcomer, ob er aufgrund seiner Beeinträchtigung je an seinem Berufswunsch zweifelte, wie er an die Rolle in "Where's Wanda?" kam und warum die Dreharbeiten ziemlich stressig für ihn waren.
t-online: Glückwunsch zu Ihrer ersten Serie, es ist Ihr großes Schauspieldebüt. Wann wussten Sie, dass es Sie in die Schauspielerei zieht?
Leo Simon: Zugegebenermaßen habe ich das gar nicht selbst bemerkt, sondern man hat mich darauf aufmerksam gemacht. Zum Ende meiner Kindergartenzeit habe ich in einem Theater gespielt und musste auch größere Auftritte in Magdeburg absolvieren. Dort hat man mir gesagt, dass ich Talent habe. Das wurde mir dann im Laufe der Jahre bei Schulaufführungen und Theaterstücken immer wieder bestätigt. Und jetzt bin ich hier.
Wie sind Sie zu der Rolle in "Where's Wanda?" gekommen?
Ein Casting-Beauftragter hat nach Leuten wie mir gesucht. Der hat ein Formular an meine Schule geschickt, mit dem man sich für die Serie bewerben konnte. Mein Schulleiter hat das dann an alle Lehrer weitergeleitet und meine Tutorin meinte, das könnte zu mir passen. Daraufhin habe ich mich direkt beworben. Ich kann nach wie vor nicht richtig glauben, dass ich das alles erleben durfte.
Wie haben Ihre Eltern auf Ihren Schauspielwunsch reagiert?
Sie wussten am Anfang gar nicht, dass ich mich für "Where's Wanda?" beworben habe. Aber als ich es ihnen gesagt habe, waren sie sofort begeistert. Sie haben mich immer unterstützt. Sie sind auch sehr stolz und sagen mir regelmäßig, dass sie immer wussten, dass Talent in mir steckt.
Auch Ihre Kollegen schwärmen in den höchsten Tönen von Ihnen. Mit Heike Makatsch, Axel Stein und Lea Drinda hatten Sie ein erfahrenes Team um sich herum. Hat Sie das eher beruhigt oder nervös gemacht?
Das hat mich eher bestätigt. Ich bin jemand, der gerne mit anderen Menschen kommuniziert. Im Austausch mit meinen Kollegen habe ich sehr viel gelernt. Außerdem macht mich das auch stolz, dass ich mit den anderen zusammen etwas erschaffen konnte.
Was haben Sie aus der Zusammenarbeit gelernt?
Dass ich immer besser werden kann. Dass es okay ist, meiner Leidenschaft nachzugehen. Das war das Beste, was mir je passiert ist. Ich habe so viel Leidenschaft und Energie gespürt. Für mich steht fest: Ich werde weitermachen.
Ihre Kollegen waren sehr beeindruckt davon, dass Sie während der Dreharbeiten Ihr Abitur gemacht haben. Wie sah Ihr Alltag inmitten von Schauspielerei und Schule aus?
Das war eine sehr große Herausforderung, ohne Frage. Ich habe vorab Termine bekommen, an welchen Tagen ich am Set sein muss. Zusammengerechnet habe ich am Ende fast einen Monat in der Schule gefehlt. Aber an den Tagen, an denen ich nicht arbeiten musste, bin ich ganz normal zur Schule gegangen. Am Set habe ich dann immer versucht, nebenbei Hausaufgaben zu machen oder für Tests und Klausuren zu lernen. Meine Schule hat mir auch sehr geholfen. Die haben Ausnahmen gemacht, passende Termine für die Klausuren gefunden und die Lehrer haben hier und da mal ein Auge zugedrückt.
Ole Klatt ist Ihre erste große Rolle. Wie viel Ole steckt in Ihnen selbst?
Ich würde sagen, Ole ist zu 100 Prozent wie ich. Er ist schlau, er zockt gerne und ist schüchtern. Gerade diese Schüchternheit kenne ich sehr gut, so war ich früher nämlich auch. Mittlerweile habe ich das zwar abgelegt, aber trotzdem habe ich eine gewisse Verbundenheit zu Ole gespürt. Außerdem trägt Ole Hörgeräte und spricht Gebärdensprache, die ich natürlich auch beherrsche. Der einzige Unterschied: Meine Eltern sind auch gehörlos, Oles hingegen nicht.
Sie sprechen Ihre Beeinträchtigung schon an. Hatten Sie deshalb jemals Bedenken, dass Sie das daran hindern könnte, Schauspieler zu werden?
Nein, denn ich sehe meine Hörbeeinträchtigung nicht als Behinderung an. Ich sehe es einfach so, dass ich Unterstützung beim Hören benötige. Daher habe ich trotzdem freien Zugang zu allem, was ich möchte.
Sie haben Ole Klatt als schüchtern beschrieben. Man merkt im Laufe der Serie, dass es ihm schwerfällt, Anschluss zu finden. Wie war die Schulzeit für Sie?
Ich war mal eine gewisse Zeit lang auf einer normalen Schule, die nicht auf Hörgeschädigte ausgerichtet war. Das war tatsächlich nicht so leicht. Denn die anderen hatten nicht die gleichen Probleme wie ich. Es fiel ihnen daher schwer, sich in mich hineinzuversetzen. Ich musste ihnen immer wieder sagen, dass sie langsam sprechen müssen, damit ich sie verstehen kann. Mit der Zeit habe ich aber einen Weg gefunden, dass es auch anders geht. Es fiel mir mit zunehmendem Alter immer leichter, schnell Freunde zu finden. Ich habe mich der Situation einfach angepasst.
Eine andere Sache, die Ole Klatt belastet, ist die Sehnsucht nach seiner verschwundenen Schwester. Wann haben Sie das letzte Mal etwas vermisst? Und was war es?
Meistens vermisse ich meine Freundin, denn die ist gerade für ein paar Monate weg. Daran denke ich eigentlich pausenlos. Ich habe dann immer im Kopf, welche besonderen Momente sie verpasst, die ich gerne mit ihr geteilt hätte. Ich versuche mich aber daran festzuhalten, was wir schon alles zusammen erlebt haben und versetze mich zurück in diese Situation.
Ich versuche, das Leben so zu nehmen, wie es eben ist.
Leo Simon
Durch das Verschwinden von Wanda wird die Serie davon bestimmt, dass die Familie Klatt permanent in Angst um ihr Familienmitglied lebt. Wann hatten Sie das letzte Mal Angst?
Ich habe nicht viel Angst, muss ich zugeben. Ich versuche, das Leben so zu nehmen, wie es eben ist. Ganz gleich, was da vielleicht alles so kommen mag. Man sollte sich nicht davor drücken. Angst blockiert einen oft.
"Where's Wanda?" entführt den Zuschauer in die Welt von Sundersheim. In der Gemeinde ist der Mythos des Nuppelwocken allgegenwärtig, es wird sogar eine Nuppelwockennacht gefeiert. Wie stehen Sie zu solchen Traditionen?
Jeder hat seine eigene Kultur und Traditionen. Das finde ich schön. Man taucht dadurch auch in eine neue Welt ein und lernt Neues kennen. Dafür kann ich mich schon begeistern. Ich habe aber so ein bisschen die Schnauze voll, was die deutschen Traditionen angeht. Ich würde gerne mal was ganz anderes erleben. Daher habe ich den Dreh rund um die Nuppelwockennacht auch sehr genossen, weil das was Neues war. Das fand ich cool.
Die Nuppelwockennacht ist nur eines der vielen humoristischen Elemente von "Where's Wanda?". Der Serie gelingt der Spagat zwischen Tragik und Humor. Wie schwierig war das für Sie als Schauspieler?
Das war keine große Herausforderung. Denn ich habe den Ole nicht nur gespielt, sondern ich war einfach Ole. Ich habe versucht, die ganzen Situationen im Drehbuch nicht als ein Spiel zu betrachten, sondern habe mich so hineinversetzt, als würde ich Oles Leben leben. So fiel es mir leicht, die verschiedenen Emotionen entsprechend zu transportieren.
In den Medien wird immer wieder diskutiert, wie weit Humor gehen darf. Welche Meinung vertreten Sie da?
Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass dunkle Szenen auch mit fröhlichen Momenten ausgeglichen werden. Sonst wird ein Film oder eine Serie einfach zu negativ. Und wir wollen den Menschen nicht so viel Trauer präsentieren, sondern sie unterhalten. Hoffnung ist doch so wichtig, das wollen wir auch zeigen. Sonst wird das Leben einfach zu schwer.
Die Familie Klatt geht sehr unkonventionelle Wege, um ihr Familienmitglied wiederzufinden: Sie spionieren ihre Nachbarn aus. Als Schauspieler stehen Sie jetzt auch in der Öffentlichkeit: Wie viel möchten Sie künftig von Ihrem Privatleben preisgeben?
Ich möchte mich der Welt zeigen. Ich möchte ein Vorbild sein. Ich möchte Menschen etwas geben. Ich denke, es wird sich mit der Zeit zeigen, wie viel ich dafür über mich selbst preisgeben möchte.
Sie beginnen Ihre Karriere mit einer Serie. Serien feiern seit Jahren riesige Erfolge. Wie erklären Sie sich das?
Auch ich feiere Serien. Ich glaube, das liegt daran, dass sie zum Teil kein Ende haben. Ein Film dauert zwei Stunden, hat ein Happy End und das war's dann. Das vergisst man schnell. Eine Serie besteht aus mehreren Folgen, zum Teil sogar aus mehreren Staffeln. Damit bindet man sich zum Teil mehrere Jahre an eine Serie. Dadurch baut man eine Beziehung auf, eine Verbindung zu den Figuren. Das wiederum steigert die Spannung. Da bin ich selten vernünftig und drücke nach einer Episode den "Stopp"-Knopf.
Gibt es eine Rolle, die Sie richtig reizt? Welchen Charakter würden Sie gerne einmal spielen?
Ich schaue seit Jahren gerne Filme, in denen Menschen als Kopfgeldjäger arbeiten und andere Leute verfolgen. John Wick ist so ein Beispiel. So etwas würde ich so gerne einmal machen. Wichtig dabei: Ich will keine Nebenfigur sein. Ich bin der perfekte Kopfgeldjäger.
Wenn es bei einem Film oder einer Serie spannend wird: Welcher Snack darf dann nicht fehlen?
Bitte nichts Süßes! Ich bin eher der herzhafte Typ. Salziges ist immer gut.
- Interview mit Leo Simon
- Apple TV+: "Where's Wanda?" (2024)
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