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DDR-Star | Thomas Natschinski: "Wir wurden die Beatles des Ostens"


DDR-Star
Thomas Natschinski: "Wir wurden die Beatles des Ostens"

InterviewVon Imke Gerriets

08.11.2019Lesedauer: 6 Min.
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Thomas Natschinski: Der Musiker war in der DDR ein gefeierter Rockstar. Noch heute macht er Musik.Vergrößern des Bildes
Thomas Natschinski: Der Musiker war in der DDR ein gefeierter Rockstar. Noch heute macht er Musik. (Quelle: Petra Schneider/imago-images-bilder)

Thomas Natschinski feierte große Erfolge mit seiner Rockband in der DDR.

Musiker Thomas Natschinski konnte sich schon immer für Musik begeistern. So wurde sein großes Hobby später zum Beruf. 1953 zog er von Leipzig nach Berlin. Während seines Studiums gründete er die Band Team 4 – eine Hommage an die Beatles. Die Texte waren allerdings auf deutsch. Dennoch musste er später die Band umbenennen, wie er im Interview mit t-online.de verrät.

Nach und nach ist Natschinski als Sänger mehr und mehr in den Hintergrund getreten - an seinem beruflichen Erfolg änderte das wenig. Denn besonders als Komponist und Bandleader von Schlagersängerin Veronika Fischer blieb es nicht ruhig um ihn. Was er heute noch mit dem Kultfilm "Heißer Sommer" aus dem Jahr 1968 zu tun hat, mit welchen Kollegen er noch Kontakt hat und ob er sich nach der Wende finanziell über Wasser halten konnte, lesen Sie hier.

t.online.de: Wie haben Sie die Wende als erfolgreicher Künstler in der DDR erlebt?

Thomas Natschinski: Spätestens im Herbst 1989 war klar, dass es so nicht weitergehen kann. Die Menschen der DDR gingen auf die Straße und das gab es so vorher nicht, auch dass es friedlich vonstatten ging. Für mich war die Demonstration am 4. November auf dem Berliner Alexanderplatz, an der ich auch teilgenommen habe, der eindrucksvollste Moment vor dem 9. November. Über eine Million Menschen brachten zum Ausdruck, dass sie eine andere DDR wollen. Dass am 9. November die Mauer fiel, konnte aber niemand ahnen. Ich war an diesem Abend im Deutschen Theater und in der Pause ging das Gerücht, die Grenze wäre offen. Das und die folgende Nacht waren sensationell.

Was sind Ihre schönsten aber auch traurigsten Erlebnisse an die damalige Zeit?

Ich habe selten so eine fröhliche und ausgelassene, aber auch angstfreie Menge Menschen gesehen. West-Berlin wurde neugierig erobert. Und sie wurden von den Westberlinern meistens großartig empfangen. Diese staunten über die Anzahl von Trabis und über den neuen Geruch, den sie in die Stadt brachten. Leider dauerte diese große Freude nicht allzu lange. Spätestens als die meisten Betriebe abgewickelt wurden, die Arbeitslosigkeit stieg und die Leute das Gefühl hatten, von der Treuhand mit abgewickelt zu werden, relativierte sich die übergroße Freude. Der Westen war eben nicht das erwartete Wunderland. Da half auch die neue Reisefreiheit nicht wirklich weiter.

Wie haben Sie das DDR-Regime erlebt?

Ich bin in der DDR groß geworden. Ich hatte eine schöne und sorglose Kindheit und Jugend. Mein Vater war ein berühmter Komponist, wir gingen viel in die großartigen Berliner Theater und Opernhäuser. Bis 1961 sind wir noch in Westberlin ins Kino gegangen. Danach wurde die Stadt für uns etwas kleiner. 1964 traten die Beatles in mein Leben und ich gründete mit Schulfreunden die Band Team 4. Wir schrieben mit 16 Jahren wie die Beatles unsere eigenen Songs, natürlich in Deutsch, übrigens als erste im deutschsprachigen Raum, lange vor Udo Lindenberg. Das war unser Kapital. Wir wurden die Beatles des Ostens, hatten neben der Schule oder dem Studium sehr viele Auftritte und produzierten unsere ersten Schallplatten. Natürlich wurden unsere Texte (nicht die Musiken) auch argwöhnisch von den Lektoraten im Rundfunk und bei Amiga beäugt.

Wurde Ihre Musik verboten?

Ab und zu wurde auch mal ein Text verboten oder Änderungen gewünscht. Auch unser Name war zu englisch. Team 4 haben wir auf Druck der FDJ in ihrem blödsinnigen Kampf gegen Anglizismen in Thomas-Natschinski-Gruppe geändert, sonst wäre unsere erste LP nicht erschienen. Aber wir durften auch ab und zu in den Westen reisen, zum Beispiel 1969 zum 20. Jahrestag der DDR nach Finnland. Das war eine sensationelle Tournee.

Was war das Besondere?

Wir wurden gefeiert wie die Beatles. Ab dieser Zeit änderte sich auch die Einstellung des Staates zur Rockmusik. Man merkte, dass diese Musik für die Jugend sehr wichtig ist und ließ den Bands mehr Spielraum. Die Puhdys, Karat und andere Bands gründeten sich Ende der 1960er und 1970er Jahre und wurden sehr erfolgreich. Ich habe die Lieder der Gruppe Renft sehr geliebt. Leider sind die meisten Musiker dieser tollen Band nach Problemen mit Amiga in den Westen gegangen. Ich habe mich dann mehr der Filmmusik zugewandt, aber auch mit Veronika Fischer und Karat gearbeitet und Shows für den Berliner Friedrichstadtpalast oder den Palast der Republik geschrieben, dessen Abriss ich noch immer für einen großen Fehler halte.

War es schwer, sich nach der Wiedervereinigung als Künstler über Wasser zu halten?

Ich konnte weiterhin gut im Film- und Fernsehgeschäft arbeiten. Auch für den Friedrichstadtpalast habe ich viele Jahre komponiert, wie 2002 die komplette Show "Wunderbar – die 2002. Nacht". Aber meine Rockmusikerkollegen hatten große Schwierigkeiten. Vor der Wende waren wir im Westen die Exoten aus dem Osten und sehr gerne gesehen und auch gelegentlich vorgeführt. Nach der Wende waren wir einfach nur Konkurrenten. Die übrig gebliebenen Konzertmöglichkeiten übernahmen die West-Agenturen und brachten natürlich ihre West-Künstler unter. Zugegebenermaßen muss man sagen, dass das DDR-Publikum diese erst mal auch lieber hören wollte, weil sie ihnen lange vorenthalten wurden. Dieser Zustand hielt einige Jahre an, viele Bands haben es mit der Zeit wieder geschafft. Aber viele sind auch untergegangen.

Wie ist Ihre Karriere weiterverlaufen?

Ich arbeite bis heute in der Film- und Fernsehbranche, habe für den Friedrichstadtpalast in Berlin gearbeitet, für viele Interpreten Songs geschrieben, nach wie vor zum Beispiel für Veronika Fischer. Ich habe ein Tonstudio und mein eigenes Label Team 2 Records gegründet. Meine neueste CD entstand 2019: "Piano Moments", eine CD mit Pianomusik Solo. Diese war ein Experiment und läuft sensationell. Mit Christine Dähn, die meine Biografie "Verdammt, wer hat das Klavier erfunden" geschrieben hat, geben wir sehr erfolgreich Konzertlesungen, in denen sie moderiert und aus ihren Büchern liest und ich aktuelle Songs und thematisch passende Musik spiele und singe.

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Wie denken Sie über die heutige Schlagerwelt?

Schlager interessieren mich, ehrlich gesagt, nicht. Die Rockmusik ist mein Thema. Ich freue mich, dass das, was wir mit 16 Jahren begonnen haben, jetzt in Ost und West das Normale geworden ist, nämlich die deutsche Sprache. Silbermond, Clueso, Peter Maffey, Die Söhne Mannheims und viele andere stehen für dieses Anliegen und nutzen die Rockmusik auch für gesellschaftliche Themen.

Hätte es in der damaligen Zeit auch eine Helene Fischer geben können?

Natürlich. Frank Schöbel war vielleicht so eine Helene Fischer der DDR. Er war auch in der Bundesrepublik sehr populär und ist immer noch ein großartiger Künstler. Stadionkonzerte gab es damals allerdings noch nicht.

Haben Sie heute noch Kontakt zu ehemaligen Kollegen?

Ich denke, in der DDR hatten wir eine gute kollegiale Gemeinschaft, die auch heute noch wichtig ist. Für mich sind das meine Freunde von Karat oder Silly, Veronika Fischer, Frank Schöbel, Rainer Oleak, Dirk Michaelis, Dirk Zöllner und viele andere. Wir geben ab und zu eine Musikerparty, alle kommen gerne und wir machen Musik, jammen und haben eine gute Zeit.

Gibt es etwas, an das Sie heutzutage nostalgisch zurückdenken?

Ich denke, wie jeder Künstler gern an die Erfolge, an tolle Tourneen und Begegnungen mit wunderbaren Künstlern zurück und mache da keinen Unterschied zwischen vor und nach der Wende. Von Nostalgie halte ich nicht sehr viel.

Sie haben Lieder für Gaby Rückert geschrieben, die Band von Veronika Fischer geleitet und bei Karat Keyboard gespielt. Warum wollten Sie nicht mehr als Sänger in Erscheinung treten, sondern mehr und mehr als Komponist?

Das hat sich eigentlich so ergeben. Ich bin ein neugieriger Mensch. Nach meinem klassischen Musikstudium an der Hochschule Hanns Eisler in Berlin hatte ich Angebote, Filmmusik zu schreiben. Das macht mir bis heute viel Spaß. Auch baten mich viele Sänger und Bands um neue Songs. Aber die Bühne hat mich nie losgelassen. Musik Live für mein Publikum zu spielen, ist immer wieder wunderbar.

Sie komponierten die Musik zum Kultfilm "Heißer Sommer" aus dem Jahr 1968 mit Frank Schöbel und Chris Doerk. Noch heute geben Sie Konzertlesungen zum Film. Warum glauben Sie, interessieren sich die Menschen immer noch für einen Film, der vor rund 50 Jahren erschienen ist?

Chris Doerk und Frank Schöbel waren damals die Creme der Popmusik der DDR. Und der Film traf einen Nerv bei jungen Leuten. Die Sehnsucht, in die Welt zu gehen und Abenteuer zu erleben, war riesengroß. Und das bediente dieser Film total, eine gewisse Freiheit und Unabhängigkeit und ein bisschen Flowerpower. Das vergisst man nicht, weil es Sehnsüchte der Jugend sind. Seit 2005 gibt es den Film auch als Musical, zuletzt aufgeführt 2018/19 auf der Naturbühne Greifensteine vom Eduard von Winterstein Theater, in Annaberg-Buchholz. Die Leute singen heute auf unseren Konzertlesungen die Songs aus dem Film begeistert mit.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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