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"Wir Kinder vom Bahnhof Zoo": Wie die neue Serie das Original missbraucht


"Wir Kinder vom Bahnhof Zoo"
Alles für den K(l)ick – wie eine Serie das Original missbraucht

  • Steven Sowa
MeinungVon Steven Sowa

19.02.2021Lesedauer: 4 Min.
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"Wir Kinder vom Bahnhof Zoo": Die Schauspielerin Jana McKinnon (als Christiane) in einer Szene aus Folge fünf der neuen Serie.Vergrößern des Bildes
"Wir Kinder vom Bahnhof Zoo": Die Schauspielerin Jana McKinnon (als Christiane) in einer Szene aus Folge fünf der neuen Serie. (Quelle: Mike Kraus/Constantin Television/Amazon Prime)

Eine kunterbunte Drogenwelt, hübsch anzusehen und mit jungem Starpotential: So fühlt sich die neue Serie "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" 40 Jahre nach dem Original an. Steckt dahinter nur ein billiger Marketingtrick?

Die erste Liebe, der erste Sex, die coole erste Clique, das erste Mal Drogen ausprobieren und sich erstmals die Nächte in Clubs um die Ohren hauen: All das sind Themen, die aktuell sind, solange es Jugendliche gibt. Ist es also okay mit "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" eine Geschichte zu erzählen, die 40 Jahre alt ist? Die mit der Buchveröffentlichung von Christiane F. im Jahr 1978 eine Gesellschaft aufrüttelte und ihr den Spiegel voller Koks- und Heroinspuren vorhielt? Die mehr als vier Millionen Mal verkauft, in 15 Sprachen übersetzt und zum erfolgreichsten Sachbuch der Nachkriegszeit wurde?

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Nein. Die Geschichte von Christiane F. ist erzählt – und wurde bereits verfilmt. Ulrich Edel lockte 1981 mehr als 4,7 Millionen Zuschauer ins Kino. Auf der großen Leinwand waren Elend, Absturz und ein abschreckendes West-Berlin zu sehen. Die neue Amazon-Serie "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" streckt den Stoff: Acht Folgen mit sieben Stunden Handlung, wobei die ersten vier Episoden mehr Fragen aufwerfen, als dass sie Antworten geben.

Der Eindruck der Willkürlichkeit macht sich breit

Stundenlang bleibt ungeklärt, was die Produzenten Oliver Berben ("Er ist wieder da") und Sophie von Uslar ("Tannbach") sowie die federführende Autorin Annette Hess ("Weissensee") hier eigentlich erzählen: die versiffte Drogenwelt der Siebziger? Oder die Geschichte von Christiane F. als Transformation in die Gegenwart? Die Mode und die technischen Geräte in "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" sind Relikte der Siebzigerjahre, doch der Soundtrack aus den alten Kassettenrekordern entspringt den vergangenen zehn, zwanzig Jahren.

In Netzstrümpfen, Lederstiefeln und Fellweste gibt sich Jana McKinnon als Christiane einen Schuss auf dem Bahnhofsklo: Im Hintergrund läuft DJ Shadow und De La Soul. Dancehall-Punk von Santigold von 2008 untermalt Szenen, in denen der "Babystrich" der Kurfürstenstraße gezeigt wird. Während am Bahnhof Zoo die Karosserien alter Volkswagen über die Kreuzung brettern, prangt über den Gleisen das "DB"-Logo der Aktiengesellschaft, gegründet 1994. Der Eindruck der Willkürlichkeit macht sich breit. Eine zwiespältige Verbindung von Vergangenheit und Moderne erscheint grotesk vor dem Hintergrund des Originals. Warum braucht es das Etikett "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", wenn Amazon hier offenbar eine moderne Drogengeschichte ausbreiten möchte?

Die Antwort ist so trivial, wie niederschmetternd: aus Marketinggründen. Eine Verpackung, auf der Christiane F. draufsteht, lässt sich besser verkaufen. Macher können in langen Interviews berichten, wie sie sich bei den Recherchen verausgabten und stundenlang über unzähligen antiken Audiokassetten ausharrten, die die "Stern"-Journalisten Kai Hermann und Horst Rieck 1978 mit der damals 16-jährigen Heroinsüchtigen aufgenommen hatten. Im Writersroom kann frei Schnauze der Jargon der Siebziger ("Clique") mit einem "Spätkauf" vermischt werden, der zu dieser Zeit noch gar nicht existierte.

Die Verpackung überstrahlt den Inhalt. So wie die ausnahmslos talentierten, unverbrauchten Jungdarstellerinnen und -darsteller nun hübsch in die Kameras strahlen. Auf ihrer Stirn das Etikett: "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", hipp und poppig aufpoliert – alles für den K(l)ick. Bei all dem Talent des Ensembles wird auch darüber hinweggesehen, dass der Serienvater der 22-jährigen Jana McKinnon nur 13 Jahre älter ist: Und nein, Sebastian Urzendowsky sieht nicht älter aus, als er ist, eher im Gegenteil. Ungereimtheiten, die Kosten gespart haben dürften. Oder im Marketingsprech der Macher: Man habe "ungesehene Gesichter" gesucht, "die frisch und neu sind", so Philip Pratt, bei Amazon für deutsche Serien zuständig.

Ausgegeben hat der Streamingriese üppige 25 Millionen Euro – und das obwohl kostensparend in Prag gedreht wurde und dadurch die Berliner City aussieht wie eine osteuropäische Metropole im Kalten Krieg. Das krampfige Bemühen um Authentizität ufert im David-Bowie-Dilemma: Sein Konzert am 10. April 1976 in der Deutschlandhalle wird gezeigt, schließlich machte es auch Felscherinow wegen ihres ersten Heroinkonsums im Alter von 13 Jahren in ihrem Buch zum Thema – doch der Song "Heroes" ist zu hören, den Bowie erst ein Jahr später geschrieben hat.

Die Realität hätte für eine moderne Drogenserie gereicht

Fiktionales habe man hinzugefügt, so die Macher, um eine "raue und brutale Welt" zeigen zu können. Doch brutal ist vor allem, wie "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" im Verfremdungswahn den Halt verliert. Das tun im Drogenrausch zwar auch die Figuren, aber wenn sie in überzeichneten Fantasymomenten über der Tanzfläche schweben, reibt sich der Zuschauer verwundert die Augen. Es ist den jungen Darstellern zu verdanken, dass die Serie nicht vollends misslingt – und mit zunehmender Erzähldauer auch der genervte Zuschauer über die absurd hohe Fehlerdichte hinwegsieht. Doch dass der Rausch den Absturz überwiegt und die sechs Titelhelden stets stylisch in enger Lederkluft wie eine K-Pop-Band durch die Straßen tingeln, schmerzt angesichts der Tatsache, dass "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" ursprünglich vor allem als eine wuchtige Warnung vor dem Drogenmissbrauch gedacht war.

Der jugendliche Kick, die erste Liebe, die betörende Clubbesuch-Premiere: All das sind tatsächlich zeitlose Themen. Eine Großstadtserie über Licht und Schatten, über Vergnügen und Abgründe, über Träume und Schicksale, Entzug und Exzesse steht der deutschen Produktionslandschaft gut zu Gesicht. Doch die Tatsache, dass letztes Jahr deutschlandweit mit mehr als 1.300 drogenbedingter Todesfälle mehr Fälle als im Jahr zuvor registriert wurden, zeigt: Es braucht keine "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo"-Etikette als Verkaufsargument. Die Realität hätte schon ausgereicht.

Verwendete Quellen
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