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Tokio: Wenn der Kaiser schläft, dreht er erst richtig auf


Tokios König der Nacht
Wenn der Kaiser schläft, dreht er erst richtig auf

Benjamin Bessinger/sp-x

28.04.2017Lesedauer: 5 Min.
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Shinichi Morohoshi hat es zum heimlichen König der Nacht gebracht.Vergrößern des Bildes
Shinichi Morohoshi hat es zum heimlichen König der Nacht gebracht. (Quelle: Wolfgang Groeger-Meier)

Die Autos besser denn je und der Ruf der Marke längst renoviert: Spätestens seit Lamborghini zu Audi gehört, geben sich die Italiener und ihre Supersportwagen bewusst seriös. Für Kunden wie Shinichi Morohoshi aus Tokio gilt das weniger: Unter dem Motto "It's good to be bad" hat er es in der Hauptstadt zum heimlichen König der Nacht gebracht.

Seinen ersten Lamborghini hat Shinichi Morohoshi mit 17 Jahren gesehen, und es brauchte nur ein paar Augenblicke, dann war es um ihn geschehen. "Dieses Design, dieser Sound – vom ersten Moment an habe ich gewusst: So einen muss ich auch haben. Koste es, was es wolle", erinnert sich der Japaner an den röhrenden Countach auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums. Er hat sich selbst nicht zu viel versprochen.

Shinichi Morohoshi lebt seinen Lambo-Traum, seitdem er 33 Jahre alt ist

Zwar musste er seinen Führerschein trotzdem auf einem popeligen Toyota machen und danach bis zum 33. Geburtstag warten. "Aber nach 16 Jahren hat es endlich für einen Lamborghini gereicht." Und was für ein Modell würde besser zu Morohoshi passen als ein Diablo.

Schließlich ist der Mann, der sein Vermögen mit "Business" gemacht hat, gewöhnlicher Geschäftsmann und geht auch nicht – wie so viele Japaner – in der grauen Masse unter. Er ist vielmehr ein Paradiesvogel in der High Society der Hauptstadt und ein Nachtschattengewächs, das erst nach Sonnenuntergang so richtig aufblüht.

Mittlerweile besitzt er drei Modelle von Lamborghini

Mag ja sein, dass tagsüber der Tenno im Kaiserpalast ein bisschen mehr Eindruck schindet und der Bürgermeister mehr Macht hat. Doch nachts gehört die Millionen-Metropole Menschen wie ihm. Dann holt der "Businessman" einen seiner mittlerweile drei Lamborghini aus der Garage und startet zum Schaulaufen auf den Neon-Boulevards in Roppongi oder Kabukicho, flaniert über die bunt beleuchtete Rainbow-Bridge oder jagt über den Autobahnring, der die japanische Hauptstadt umgibt.

Lamborghini Aventador: zu schnell für die Streifenwagen

Rennstrecken sind ihm mit seinen Sportwagen zu langweilig und tagsüber hat ein Lamborghini auf den Straßen einer Stadt wie Tokio nichts zu suchen, sagt Morohoshi. Aber kurz vor dem Morgengrauen, wenn selbst der Ameisenhaufen Tokio ein wenig zur Ruhe kommt, blüht Morohoshi auf und mit ihm seine Lamborghini.

Meterlange Spuren verbrannten Gummis an den Ampeln, das ferne Dröhnen der Zehn- und Zwölfzylinder in den vielspurigen Spiralen, die sich hinauf zu den Hochstraßen winden, und die rasenden Lichtblitze, die bei seinen Vorbeifahrten wie Reflexe durchs Blickfeld zucken, zeugen vom großen Spaß, den Männer wie Morohoshi mit einem Sportwagen auch in der Stadt haben können. "Wer sagt denn, dass man einen Lamborghini hier nicht ausfahren kann?", fragt der Mann mit feinsinnigem Grinsen.

"Man muss nur spät genug starten und darf sich nicht erwischen lassen." Ihn jedenfalls habe bislang noch keiner angehalten. Aber welcher Streifenwagen sollte auch einen Lamborghini stoppen? Gegen die 700 PS des Aventador kommen die braven Toyota-Limousinen der Polizei nicht an.

Bling-Bling statt Motortuning: 100.000 Euro für die Optik

Und dabei hat Morohoshi am Motor gar nichts gemacht. Die umgerechnet rund 100.000 Euro, die er seinem Tuner allein für den Aventador überwiesen hat, sind komplett im Optik-Paket aufgegangen: Golden glitzernde Zierleisten, messerscharfe Flaps und Finnen, zwei Dutzend LED-Spots für den Unterboden, strassbesetzte Schriftzüge und selbst der Abschlepphaken sieht aus wie vom Juwelier: "Diesen Geschmack muss man sich schon etwas kosten lassen", so der Lambo-Fan.

Shinichi Morohoshi: Lambo-Fan ohne Zurückhaltung

Zwar musste er sich und seinen bunten Boliden bei den etwa 150 Lamborghini-Fahrern in Tokio erst einmal ein wenig Respekt verschaffen. Aber mittlerweile lacht keiner mehr über den Emporkömmling. Im Gegenteil. Der Gelb strahlende und Gold glitzernde Aventador ist aktuell sein dritter Lamborghini und man kennt den Mann am Stammsitz der Italiener in St. Agatha.

Stolz präsentiert er deshalb die Selfies mit dem gerade abgelösten Firmenchef Stephan Winkelmann auf seinem Facebook-Account. Zwar tun die Italiener nach außen hin alles, um endlich den halbseidenen Ruf ihrer Marke zu polieren. Doch wenn es ums Geld geht, wird das Image zur Nebensache und die Führungsspitze posiert liebend gerne fürs Foto mit den Stammkunden – egal, wo und wie die zu ihrem Geld gekommen sind.

Heißer Ofen: Flammen werfender Tiefflieger

An Selbstvertrauen mangelt es Shinichi Morohoshi nun wirklich nicht. Und was andere Menschen von ihm denken, wenn er seinen Lamborghini Aventador mit 6000 Touren im ersten Gang durch die nächtliche Stadt brennt – bis aus den Endrohren Feuer schlägt, noch drei Straßen weiter die Wände wackeln und sein gelb lackierter Tiefflieger dabei funkelt wie eine rasende Leuchtreklame – ist ihm herzlich egal: Denn Morohoshi-san ist viel zu beschäftigt damit, seinen Spaß zu haben, als dass er sich mit dem abgeben würde, was andere Leute über ihn sagen.

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Und wenn es etwas Schlechtes sein sollte, dann schmeichelt es ohnehin nur seinem Ego: "Love to hate me" lautet sein Lebensmotto. Im Gespräch lässt der Japaner keinen Zweifel daran, dass er gerne ein böser Bube ist. Zumal er es damit weit gebracht hat. Nachdem er sich schon als Kind von niemandem die Meinung sagen lassen wollte, benimmt sich der bekennende Lamborghini-Fan heute so, als wäre er der heimliche König von Tokio.

Shinichi Morohoshi in Begleitung seiner "Dolmetscherin"

Womit er das Geld für seine Traumwagen verdient, macht der Japaner nicht viele Worte. Muss er auch nicht. Wenn er viel meinend und wenig sagend von "diversen Geschäften" spricht und sich selbst in die Grauzone rückt, wenn man die Videos anschaut, die über ihn im Internet kursieren, und wenn man die Reaktionen sieht, wenn seine Lamborghini nachts durch die Vergnügungsviertel von Tokio rollen, dann hat jeder schnell seine eigenen Bilder von Morohoshis "Business" im Kopf – selbst wenn er mögliche Tätowierungen geschickt unter seinem bunten Hemd versteckt und demonstrativ zwei Hände mit jeweils fünf Fingern in die Kamera hält: Ganz so böse, dass er sich offiziell zur Mafia der Yakuza bekennen würde, ist er offenbar doch nicht.

Aber als bräuchte es noch eines weiteren Beweises, klettert zum Interviewtermin eine junge Dame aus seinem Aventador, die Morohoshi als Dolmetscherin vorstellt. Zwar kann sie kaum besser Englisch als er selbst, schmückt ihn aber ungemein – auch wenn sie seine Tochter sein könnte.

Wobei das mit dem Alter bei ihm so eine Sache ist: Die Haare frisch blondiert und die Garderobe trendy, ginge Morohoshi auch als 30- oder 40-Jähriger durch, zumal er nicht so aussieht, als hätte er in den letzten Jahren viel Sonne abbekommen. Wie auch, wenn er vor allem nachts unterwegs ist? Von Neonlicht bekommt man nun einmal keine gesunde Gesichtsfarbe.

Shinichi Morohoshi: Tagsüber ist Tokio für Autofahrer die Hölle

Wie so vieles in Japan ist aber auch beim heimlichen König der Nacht nichts so, wie es scheint. Zwar gibt er bei Dunkelheit gerne den bösen Buben und kokettiert mit seinem Mafia-Image. Sobald sich die Straßen leeren, jagt er mit Vollgas durch sein Reich.

Doch so böse sich Morohoshi auch gibt, ist er im Grunde ein herzensguter Kerl. Nicht nur, weil er für die Zigaretten aus dem mit Edelsteinen besetzten Etui sogar einen portablen Aschenbecher dabei hat, statt die Stummel einfach in die Grünanlagen zu schnippen. Oder weil er auf Kommando zwischen der fiesen Fotofratze und einem warmen Lächeln wechseln kann und sein Händedruck so sanft und salbungsvoll ist wie bei einem Shinto-Prieser.

Vielmehr ist, sobald die Sonne aufgeht und die Dunkelheit verschwindet, auch der düstere Charakter des Bad Guys verschwunden. Dann gibt Morohoshi den halbwegs seriösen Geschäftsmann, lässt sich von den unterschiedlichsten Firmen und Organisationen für PR vor den Karren spannen und sperrt seine Lamborghini bis zur nächsten Nacht in die Garage. Stattdessen holt er einen vergleichsweise unauffälligen Rolls-Royce in dezentem Schwarz aus dem Stall und lässt es langsam angehen – als Fahrgast auf dem Rücksitz. Denn: "Tagsüber ist Tokio für Autofahrer die Hölle".

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