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Bayerns Digitalministerin: "Auf den digitalen Aufbruch warten die Menschen bislang vergeblich"


Digitale Verwaltung
Ministerin: "Darauf warten die Menschen bislang vergeblich"

  • Jan Mölleken
InterviewVon Steve Haak, Jan Mölleken

01.07.2022Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Führerschein-Umtausch auf dem Bürgeramt: Viele Verwaltungsdienstleistungen in Deutschland gibt es bisher nicht digital. (Quelle: Andreas Gora via www.imago-images.de)

Warten im Amt ist eine Zumutung? Das findet auch Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach. Im Interview erzählt sie, warum der Bund das Thema verschlafen hat.

Bis zum Jahresende müssen Behörden ihre Dienstleistungen für Bürger und Unternehmen online anbieten. Weil die Länder und Kommunen ein unterschiedliches Tempo haben, sind die meisten Einrichtungen weit entfernt davon, dieses Ziel zu erreichen.

Das zeigt ein Blick auf das "Dashboard Digitale Verwaltung" der Bundesregierung. Das zeigt an, wie viele Dienstleistungen von deutschen Behörden im Rahmen des sogenannten Onlinezugangsgesetzes (OZG) online verfügbar gemacht wurden.

Was auffällt: Bayern ist bei der Umsetzung der OZG-Leistungen schneller als andere Bundesländer. Woran das liegt? Darüber hat t-online mit Judith Gerlach (CSU) gesprochen. Sie ist Staatsministerin für Digitales von Bayern und setzt das OZG in ihrem Bundesland um.

t-online: Frau Gerlach, Sie sind mehr als dreieinhalb Jahre reine Staatsministerin für Digitales in Bayern. In Berlin ist man der Meinung, dass so ein Posten auf Bundesebene nicht benötigt wird. Etwas ironisch gefragt: Was haben Sie in Bayern die letzten dreieinhalb Jahre überhaupt gemacht?

Judith Gerlach: Ich habe ein klares Ziel vor Augen: Digitalpolitik muss näher an die Menschen heranrücken, wir brauchen Programme und Ergebnisse, die einen unmittelbaren Nutzen für das Leben der Menschen haben. Vor allem die Digitalisierung der Verwaltung stand im Fokus für uns in den letzten drei Jahren. In Berlin wird immer viel von digitalem Aufbruch gesprochen. Doch darauf warten die Menschen bislang vergeblich. Wir brauchen hier konkrete Vorschläge und eine Vision für die Zukunft. Das jedenfalls treibt uns im Bayerischen Digitalministerium an.

Stichwort "Digitale Verwaltung": Das sogenannte Onlinezugangsgesetz (OZG) verpflichtet Bund, Länder und Kommunen, bis Ende 2022 ihre Verwaltungsdienstleistungen über Onlineportale auch digital anzubieten. Wie sehen Sie Deutschland aktuell aufgestellt?

Digitalpolitik hat in Deutschland noch nicht den Stellenwert, den sie haben müsste. Dabei ist sie der zentrale Hebel für Veränderungen und einen Fortschritt, der allen zugutekommt. Ein Beispiel dafür ist das Thema OZG. Wir können hier erst dann zufrieden sein, wenn die Menschen den Fortschritt bei der digitalen Verwaltung vor Ort spüren und es entsprechende Angebote gibt. Und die sehe ich auf Bundesebene noch nicht flächendeckend. Die Bundesregierung hat den gordischen Knoten Verwaltungsdigitalisierung noch nicht durchstoßen. Viele Probleme sind nach wie vor nicht gelöst.

Welche sind das?

Zum einen ist das das sogenannte Schriftformerfordernis. Das muss dringend weiter reduziert und vor allem einfacher und nutzerfreundlicher werden. Deshalb lassen wir in Bayern künftig Elster als Schriftformersatz allgemein zu. Dann können Millionen Elster-Nutzer auch außerhalb der Steuer in Zukunft einfach online unterschreiben. Da sollte der Bund nachziehen. Es kann ja nicht sein, dass die Bürgerinnen und Bürger am Ende den digital ausgefüllten Antrag ausdrucken, unterschreiben und per Post an die Behörde schicken. Das ist nicht das, was ich unter digitalisierter Verwaltung verstehe.

Und das zweite Beispiel?

Da geht es um einfache Anmeldemöglichkeiten bei den digitalen Verwaltungsserviceleistungen. Ich fordere eine Deutschland-ID für die Bürgerinnen und Bürger, die praktikabel ist und genutzt werden kann. Alles andere ist zu kompliziert. Wir müssen den Zugang zu digitaler Verwaltung drastisch vereinfachen.

Ist das eine bloße Forderung Ihrerseits oder gibt es da schon Lösungen, die in absehbarer Zeit kommen könnten?

In Bayern haben wir eine solche Lösung bereits geschaffen: Mit unserer BayernID identifizieren sich Bürgerinnen und Bürger bei den digitalen Verwaltungsleistungen, die sie alle in unserem BayernPortal finden. Die BayernID können wir natürlich nur für bayerische Anträge nutzen. Hier muss zügig eine bundesweit einheitliche Lösung her.

Wenn es an einem einheitlichen Zugang zu den Online-Dienstleistungen mangelt, wie will man das OZG dann jemals in Gänze umsetzen?

Wir müssen hier einfach Tempo machen. Sicher, das ist keine triviale Sache, weil wir als Staat in der Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern natürlich besondere Sicherheitsstandards haben. Andere europäische Länder bekommen das aber auch hin. Und deswegen erwarten die Menschen von uns einfach, dass sie jetzt, im Jahr 2022, wichtige behördliche Angelegenheiten digital erledigen können und ihre Identität einfach und unkompliziert digital nachweisen können.

Jetzt liegt es wahrscheinlich nicht nur am fehlenden einheitlichen Zugang, dass bis Ende 2022 vermutlich kein Bundesland das OZG so erfüllt haben wird, wie es eigentlich vorgesehen ist. Wo liegen denn weitere Hürden?

Für Bayern bin ich sehr optimistisch. Hier haben wir bereits 70 Prozent der staatlichen OZG-Leistungen umgesetzt und wir sollten bis Ende des Jahres mit den landeseigenen Leistungen fertig sein. Einige Kommunen tun sich aber einfach mit der Digitalisierung schwer, insbesondere mit dem Rollout zentral bereitgestellter Dienste.

Warum liegt man da so weit hinter dem Zeitplan?

Das Thema digitale Verwaltung wurde viel zu lange nicht ernst genommen. Noch vor zwei Jahren wurde ich für das Thema müde belächelt. Während der Corona-Pandemie haben dann viele Kommunen gemerkt, dass ihre Angebote für die digitale Verwaltung bei Weitem nicht ausreichen, und dann erkannt, dass sie sich bewegen müssen.

Also passiert bei den Kommunen jetzt etwas?

Ja, es geht voran, aber mit unterschiedlichem Tempo. Jede unserer über 2.000 Kommunen in Bayern ist selbst dafür verantwortlich, ihre digitalisierten Verwaltungsdienstleistungen auf den Weg zu bringen. Und das wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Als wir im Januar 2021 unsere BayernApp gelauncht haben, war mir bewusst, dass sie nicht überall den gleichen Nutzen für die Menschen haben würde. Denn das hängt eben sehr stark davon ab, welche Verwaltungsleistungen die Kommunen jeweils anbieten. Die Stadt Nürnberg zum Beispiel bietet bereits viele Behördenservices digital an. In anderen Kommunen ist das nicht der Fall und dort hat die App dann auch weniger Nutzen für die Bürger.

Wie kann ihr Land die Kommunen unterstützen, die sich schwertun?

Hier haben wir mit Maßnahmen, die genau auf die Anforderungen der Gemeinden abgestimmt waren, viel bewirkt, dazu zählen finanzielle Anreize, Wettbewerbe und Auszeichnungen. Unser frei zugängliches Dashboard Digitale Verwaltung zeigt den Fortschritt der Kommunen und macht auch sichtbar, wer seine Hausaufgaben noch zu tun hat. Wettbewerb motiviert!

In anderen Bundesländern fühlen sich die Kommunen nicht gut vom jeweiligen Land unterstützt, weil kaum kommuniziert wird. Wie ist das bei Ihnen in Bayern?

Es kommt nur dann etwas in Bewegung, wenn sich einer aktiv darum kümmert. Bei uns im Digitalministerium laufen alle Fäden bei der Digitalisierung zusammen und die positive Resonanz, die wir täglich erleben, gibt uns noch mal mehr Schwung. Neben unserem Förderprogramm "Digitales Rathaus", einer Auszeichnung, die ich vor Ort persönlich übergebe, gibt es Geld für die Kommunen, um Online-Dienste am Markt einzukaufen. Zudem besteht die Möglichkeit für die Kommunen in unserem BayernStore, Verwaltungsdienstleistungen mit ein paar Klicks vor Ort zu nutzen und Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung zu stellen.

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Das klingt nicht allzu kompliziert.

Das ist das Geheimnis des BayernStores: Es bedarf keines Informatikstudiums, digitale Dienstleistungen auf den Weg zu bringen. Sie müssen einfach, zentral und kostenlos vor Ort in den Kommunen umgesetzt werden können.

In anderen Ländern wird über nicht ausreichend geschultes Personal geklagt. Wie ist das bei Ihnen?

Wir helfen den Kommunen dabei, sogenannte Digitallotsen auszubilden. Dabei werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kommune in den wichtigsten rechtlichen, aber auch organisatorischen Grundlagen geschult, um ihre eigene Kommune bei der Digitalisierung voranzubringen.

Sie haben sich erfolgreich für den sogenannten OZG-Booster stark gemacht. Was ist das eigentlich?

Hierbei werden jene Verwaltungsdienstleistungen innerhalb des OZG priorisiert, die Menschen besonders häufig nutzen. Nur durch Priorisierung bringen wir das OZG in die Fläche. Insgesamt sprechen wir da aktuell vorerst von 35 Leistungsbündeln.

In Bayern läuft die Umsetzung des OZG deutlich besser als in vielen anderen Bundesländern. Welche Tipps würden Sie den Ländern geben?

Ich treibe Themen gerne mit hohem Tempo weiter, ich lege auch mal den Finger in die Wunde und scheue mich nicht vor Veränderungen, nur so geht es voran. Die Digitalisierung ist heute ein allgegenwärtiges Thema, das in jedem Bundesland Relevanz hat – aber nicht unbedingt überall über ausreichend Ressourcen und Kompetenzen verfügt. Wir müssen Digitalisierung endlich ganz oben auf die Agenda setzen.

Wir wissen, 2022 werden wir mit der Digitalisierung nicht durch sein. Aber was wäre denn so eine konservative Schätzung von Ihnen, wie lange wir noch brauchen, bis wir das geschafft haben?

Wir werden nie fertig sein mit der Digitalisierung der Verwaltung und auch grundsätzlich nicht mit der Digitalisierung, weil Technologien sich stets weiterentwickeln. Wir müssen also immer am Ball bleiben. Meine Vision ist ein sich fortbildender und lernender Staat. Es ist doch so: Der digitale Wandel findet ohne uns oder mit uns statt. Mitgestalten, Chancen fördern, Risiken minimieren – das sind wichtige politische Aufgaben. Die Bürgerinnen und Bürger müssen erleben können, dass wir aufholen und letztendlich an die Spitze drängen, und dass sie alle die Gewinner dabei sind.

Verwendete Quellen
  • Eigenes Interview
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