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Google-Experte im Interview: "Nur die Politik kann Google noch stoppen"


Macht durch Daten
"Nur die Politik kann Google noch stoppen"

InterviewVon Laura Stresing, Florian Harms

31.10.2020Lesedauer: 9 Min.
Interview
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Sundar Pichai: Der Google-Chef musste im US-Kongresses Rede und Antwort stehen.Vergrößern des Bildes
Sundar Pichai: Der Google-Chef musste im US-Kongresses Rede und Antwort stehen. (Quelle: imago-images-bilder)

Google beeinflusst, was Millionen Deutsche online lesen, klicken, kaufen. Auch viele Firmen geraten in gefährliche Abhängigkeit, warnt der Suchmaschinen-Experte Philipp Klöckner. Im t-online-Interview erklärt er, warum der Widerstand gegen den US-Konzern womöglich zu spät kommt.

Mehr als 90 Prozent aller Internetsuchen in Deutschland beginnen bei Google. Immer häufiger enden sie auch dort. Hotels, Flüge, Jobs, Sportergebnisse, Wettervorhersagen – Google integriert immer mehr seiner eigenen Dienste und Informationen direkt in seine Suchmaschine. Ehemals erfolgreiche Services anderer Anbieter verlieren so ihre Nutzer und Gewinne an den US-Konzern, der in Europa kaum Steuern zahlt.

Der Unternehmensberater und Online-Marketing-Experte Philipp Klöckner setzt sich seit gut zehn Jahren kritisch mit Googles Geschäftspraktiken auseinander. Als Anteilseigner der Shopping-Plattform "Ladenzeile" war er an dem ersten großen EU-Kartellrechtsverfahren gegen Google beteiligt, das 2010 begann und 2017 mit einer Strafe von 2,42 Milliarden Euro endete – damals eine Rekordsumme. Doch der Kampf um mehr Fairness in der Suchmaschine geht weiter. Im Interview mit t-online erklärt Klöckner, wie ein einzelnes Unternehmen so viel Macht erringen konnte und wie sich Firmen aus der Google-Falle befreien können:

t-online: Herr Klöckner, Google hat den Wahlspruch "don’t be evil", "tu nichts Böses". Hält sich Google an sein eigenes Motto?

Philipp Klöckner: Ich glaube nicht, dass bei Google Leute arbeiten, die absichtlich Böses tun. Die Mehrheit im Konzern glaubt an die Mission, das Wissen der Welt zu sammeln, zu ordnen und für viele Menschen zugänglich zu machen. Und das kann die Suchmaschine wirklich gut. Google würde von sich selbst sagen, dass die Firma versucht, Fragen zu beantworten.

Früher leitete die Suchmaschine die Nutzer auf andere Websites weiter, heute gibt sie die Antworten immer häufiger selbst und hält die Nutzer so im Google-Kosmos.

Richtig. Anfangs war Google ein attraktiver Kanal für jeden, der im Internet ein Geschäft betreiben wollte. Seitenbetreiber mussten nichts weiter tun, als die Inhalte bereitzustellen, und bekamen dafür Traffic geschenkt. Viele dachten, dass das immer so weitergehen werde. Das war naiv. Internetplattformen, Netzwerke und Suchmaschinen haben schließlich genauso wenig etwas zu verschenken wie andere Firmen. Man kann davon ausgehen, dass sich alle diese Onlinedienste früher oder später in ein Pay-to-Play-Modell verwandeln.

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Das heißt, wer mitspielen will, muss zahlen. Wie sieht das konkret im Fall von Google aus?

Google rückt seine eigenen Dienste immer stärker in den Vordergrund. Alle anderen müssen sich durch Anzeigen eine prominente Platzierung erkaufen. Das wirkt sich auf die Traffic-Verteilung aus. Die Zahl der vermittelten organischen Zugriffe zu anderen Webseiten sinkt stetig. Darunter versteht man die Besucher, die nicht über eine Google-Anzeige, sondern durch einen Link in den natürlichen Suchergebnissen auf einer Webseite gelandet sind.

Lässt sich beziffern, wie hoch der Anteil ist?

Bei sogenannten informationellen Suchanfragen ist der Anteil der Werbung grundsätzlich niedriger. Das betrifft zum Beispiel Sachfragen wie "Wann ist Barack Obama geboren?". Aber im kommerziellen Bereich, zum Beispiel bei Reisen, Elektronik und anderen Konsumartikeln, geht man inzwischen davon aus, dass bis zu zwei Drittel aller Klicks auf Anzeigen landen. Häufig ist den Nutzern noch nicht einmal bewusst, dass sie auf einen Werbelink geklickt haben, weil Google die Anzeigen absichtlich nur sehr unauffällig kennzeichnet.

Wann ist der Digitalbranche klargeworden, wie groß ihre Abhängigkeit von Google ist?

Die Probleme haben mit dem sogenannten Panda-Update angefangen: Zwischen 2009 und 2011 hat Google seinen Suchalgorithmus radikal umgebaut. Viele Shopping-Seiten haben dadurch quasi über Nacht ihr vorher gutes Google-Ranking verloren. Vor allem Preis- und Produktvergleiche wurden auf einmal systematisch benachteiligt. Viele haben das nicht überlebt. Das ist auch einer der Gründe, warum das Preisvergleichsportal idealo.de heute noch zwei Drittel Marktanteil hat. Noch mehr Traffic hat seitdem aber Googles eigenes Shopping-Produkt. Wenn jemand über Nacht den Marktführer einer Branche küren kann, dann ist das für mich ein klares Marktversagen.

Sie haben damals zusammen mit der Shopping-Plattform "Ladenzeile" und anderen Betroffenen eine Wettbewerbsbeschwerde bei der EU eingereicht. Welche Belege hatten Sie, dass Google mit dem Update seine Marktmacht missbraucht hat?

Google begründete den Schritt damit, dass das Aggregieren von Inhalten – und nichts anderes machen diese Preisvergleichsportale im Grunde – keinen eigenen Mehrwert biete und bei den Nutzern unbeliebt sei. Gleichzeitig hat Google aber sein eigenes Shopping-Produkt ganz oben in den Suchergebnissen platziert und nicht den eigenen Algorithmen unterworfen. Dabei stand zu dem Zeitpunkt vollkommen außer Frage, dass Googles Shopping-Suche den bisherigen Marktführern unterlegen war.

Inwiefern?

Ich würde Google Shopping als einen Pseudo-Preisvergleich bezeichnen. Die Suchergebnisse sagen überhaupt nichts darüber aus, welcher Shop der zuverlässigste ist oder wer tatsächlich den besten Endpreis für den Nutzer bietet. Entscheidend ist einzig und allein, welcher Shop das höchste Gebot abgibt und Google die höchsten Klickraten und damit Vermarktungserlöse einbringt.

Wie passt so ein Vorgehen zu dem Motto "don't be evil"?

Google ist nun mal ein börsennotiertes Unternehmen und steht unter einem großen Druck, jedes Quartal 20 Prozent Wachstum abzuliefern. Wenn man aber bedenkt, dass die Anzahl der Suchanfragen auf Google eher stagniert, wird das Problem offensichtlich. Um auf seinem bisherigen Wachstumskurs bleiben zu können, muss Google den Suchmaschinen-Traffic immer höher monetarisieren.

Philipp Klöckner beschäftigt sich seit über 15 Jahren mit Suchmaschinen und digitalem Marketing. Nach seiner Karriere beim Preisvergleich idealo.de arbeitete er als Berater für Rocket Internet SE und andere Unternehmen in Europa und Asien. Heute ist Klöckner Investor und berät Private Equity Unternehmen zu digitalen Geschäftsmodellen und Marketing.

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Der Legende zufolge beruht Googles Erfolg auf einem überlegenen Such-Algorithmus. Stimmt das?

Wirtschaftsvertreter und Politiker schreien ja gern nach der Offenlegung des Algorithmus‘. Aber der Algorithmus ist gar nicht das, was Googles Macht ausmacht. So einen Algorithmus könnte man wahrscheinlich mit wenigen Hundert Millionen Euro nachbauen. Davon sind andere Suchmaschinen wie Yandex oder Bing gar nicht so weit entfernt. Aber was Google stark macht und was die Burggräben um das Produkt vertieft, sind die Daten, die Google sammelt. Diese Informationen, wie Nutzer mit Google interagieren, verbessern die Qualität der Suchergebnisse. Das ist schwer zu reproduzieren. Und das ist für Google Gold wert.

Wie hat Google diese Datenmacht angehäuft?

Google wehrt sich gegen jede Form von Regulierung, ist aber selbst extrem gut darin, das Web im eigenen Sinne zu regulieren. Das Unternehmen macht den Websitebetreibern detaillierte Vorschriften, wie sie ihre Seite strukturieren sollen. Nur wenn diese erfüllt sind, kann die Seite über Google gefunden werden. Die Vorschriften nützen aber vor allem Google. Der Konzern kann genau messen, was sich die Nutzer ansehen und wie lange. Mit diesen Daten wird die Suche weiter verbessert. Das Nachsehen haben diejenigen, die Google durch ihre Inhalte aufgebaut haben.

Warum machen Seitenbetreiber das mit?

Man möchte an diesem impliziten Vertrag teilnehmen. Als Unternehmer möchte ich gefunden werden, wenn Leute nach meinem Produkt suchen. Das ist bei einer Autofirma nicht anders als bei einem Medium. Die Krux dabei ist natürlich, dass die Webseiten ihre Inhalte dazu von Google indizieren lassen müssen. Das heißt, sie erlauben Google das Abspeichern dieser Inhalte in ihrer Datenbank, dem sogenannten Google-Index. Google interpretiert diese Einwilligung aber oft als Blankoscheck, die Inhalte auch zu nutzen und daraus neue, gewinnversprechende Produkte zu bauen.

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Geben Sie mal ein Beispiel.

Ein gutes Beispiel ist die lokale Suche von Google. Wenn ich ein Restaurant in meiner Nähe suche, zeigt mir Google die Bewertungen von Yelp und TripAdvisor. Diese Informationen hat Google einfach in sein eigenes Produkt reingesaugt und die ursprünglichen Bewertungsportale dadurch natürlich zu einem gewissen Maß obsolet gemacht. Das wird in keiner Weise irgendwie vergütet, weder mit Geld oder Lizenzen noch mit Besuchern.

Ein ähnliches Schicksal ereilte Portale zur Flug-, Hotel- und nun auch der Jobsuche. Wäre es nicht schlauer, die Websitebetreiber würden Google keine Daten mehr liefern?

Ich würde tippen, dass es für neun von zehn Unternehmen ein Todesurteil wäre, wenn sie Google heute boykottieren würden. Mir ist von keinem Fall bekannt, der das absichtlich getan und es überlebt hätte. Man gerät von Anfang an in diese Abhängigkeit. Es ist wirklich schwer, ein Geschäftsmodell aufzubauen, das an der größten Suchmaschine der Welt vorbeikommt. Ich glaube nicht, dass viele Unternehmen noch funktionieren könnten, würde Google von heute auf morgen den organischen Traffic komplett abstellen.

Die letzte Macht, die Google überhaupt noch angreifen kann, ist tatsächlich die Politik. Natürlich ist man sich bei Google dessen bewusst. Google gibt für seine Lobbyarbeit mehr Geld aus als die drei größten amerikanischen Rüstungskonzerne zusammen. Davon fließt auch einiges nach Brüssel.

Reden wir also über die Rolle der Politik: Müsste Google aufgespalten werden?

Ich glaube tatsächlich, es würde zur Funktionalität des Marktes beitragen, wenn man die Datensilos innerhalb von Google aufspalten würde. Google hat ja nicht nur die weltweit meistgenutzte Suchmaschine in seiner Hand, sondern beherrscht mit dem Chrome-Browser und dem Handy-Betriebssystem Android auch noch andere Märkte. Das Verweben all dieser Datenquellen macht einen Großteil von Googles Wettbewerbsvorsprung aus. Das ist fast unmöglich aufzuholen.

Führende US-Politiker wie die frühere Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren fordern schon lange die Zerschlagung der Tech-Konzerne. Im Oktober hat das US-Justizministerium tatsächlich ein Kartellverfahren gegen Google eingeleitet. Geht es der Suchmaschine jetzt an den Kragen?

In den USA scheiterten solche Vorstöße bisher immer daran, dass die Produkte von Google und Co. kostenlos sind. Das heißt, für den Nutzer entstehen keine unmittelbaren finanziellen Nachteile, wie das bei anderen Branchenmonopolen der Fall wäre. Zumindest in den USA sind die Tech-Monopole deshalb nach einer herkömmlichen Wettbewerbslogik unheimlich schwer angreifbar.

Die Amerikaner haben außerdem ein starkes Interesse daran, ihre heimische Industrie zu schützen. Der Aufstieg der chinesischen Megakonzerne wie Tencent und Alibaba dient dabei als Totschlagargument gegen eine Zerschlagung. Würde man die großen amerikanischen Tech-Konzerne aufspalten, könnte der Westen seine Vormachtstellung verlieren, so die Befürchtung.

Die EU scheint da weniger Hemmungen zu haben. Unter der Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat Google bereits mehrere Rekordstrafen kassiert. Ist das der richtige Weg?

Es ist auf jeden Fall zu begrüßen, dass endlich gehandelt wird. Ich glaube, unsere Wettbewerbskommissarin hat da im Vergleich zu ihrem Vorgänger einen großartigen Job gemacht. Das Problem ist: Die Strafen, die da verhängt werden, liegen so im Bereich zwischen 1,6 bis 5 Milliarden und entfalten keine abschreckende Wirkung. Aus der Sicht der Milliarden-Konzerne wirkt das wie ein günstiges Parkticket.

Dieses Problem hätte man früher lösen müssen. Denn die Tech-Konzerne werden jeden Tag noch mächtiger und noch wertvoller. Ich glaube, die GAFA-Gruppe – also Google, Amazon, Facebook und Apple – sind jetzt schon so viel wert wie der gesamte deutsche Aktienindex zusammen. Jedes Mal, wenn Strafen gegen diese Unternehmen verhängt werden, steigen ihre Aktienkurse. Das sagt doch alles darüber, wie effektiv diese Strafen sind – und gleichzeitig, wie profitabel der Missbrauch des Marktes ist.

Eine interessante Zahl in diesem Zusammenhang: Im Jahr 2018 hat Google weltweit mehr Geld für Strafen ausgegeben als Steuern bezahlt. Was würde eine Digitalsteuer bringen?

Das kommt natürlich darauf an, wie man sie gestaltet. Aber ich finde es gut, in der Gesellschaft und der Politik überhaupt erst mal das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es so nicht weitergehen kann.

Wenn jemand zum Beispiel einen Schuh im Internet verkaufen will und dafür eine Anzeige bei Google schaltet, dann verlässt das Geld die EU, ohne dass relevante Gewinne oder Ertragsteuern abgeführt werden. In der Masse ergibt das einen makroökonomisch und gesellschaftlich fatalen Effekt. Denn wenn ein Großteil der Profite von Tech-Konzernen eingetrieben wird, der dem Steuersystem entgeht, muss man sich fragen, wer unsere Gesellschaft in Zukunft noch finanzieren soll.

Man würde gerade als Wirtschaftsraum EU wahrscheinlich gut daran tun, eine gemeinsame Lösung zu finden und sich nicht mehr mit Steuerbegünstigung gegenseitig auszuspielen. Das ist eine vollkommen offensichtliche Aufgabe der Politik. Und traurig zu sehen, wie lange wir schon daran scheitern.

Noch mal konkret: Wie können sich Nutzer und Unternehmen aus der Abhängigkeit von Google befreien?

Ich persönlich will niemandem verbieten, Google zu benutzen. Ich nutze Google auch jeden Tag, arbeite viel mit dem Chrome-Browser und besitze ein Android-Handy. Nutzer sollten aber verstehen, was hinter den Kulissen passiert und wie viel Geld mit ihren Daten verdient wird. Wenn man die Nutzer besser darüber aufklärt, wie diese Ökosysteme und Plattformen funktionieren, würde auch die Politik wieder verbraucherfreundlichere Entscheidungen treffen.

Durch meine Erfahrungen in den Firmen idealo und Ladenzeile habe ich gelernt, dass es wichtig ist, die Traffic-Ströme zu diversifizieren. Man darf sich nicht zu sehr vom Google-Traffic abhängig machen. Man muss andere Plattformen und Wege finden, um die Nutzer an sich zu binden. Im Kern geht es darum, ein besseres Produkt zu bieten als die Konkurrenz.

Herr Klöckner, vielen Dank für das Gespräch.

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