"Wir bilden im 'Flight Simulator' die Welt ab"
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Der neue "Flight Simulator" verspricht Nutzern einen noch nie dagewesenen Realismus. Im Interview erklΓ€ren zwei leitende Entwickler, wie sie die Erde in die Flugsimulation packen konnten und was Spieler erwartet.
Mit Microsoft verbinden viele Menschen Dinge wie Windows, Office oder Xbox β und die Γ€ltere Generation vermutlich auch den "Flight Simulator". Die erste Version der Flugsimulation erschien 1982 β und ist damit sogar Γ€lter als Windows (1985) selbst.
Nicht-Piloten konnten sich dank des Titels selbst hinter das Steuer eines Flugzeugs setzen und so das Fliegen erleben. Im Laufe der Jahre verΓΆffentlichte Microsoft regelmΓ€Γig neue Versionen, verbesserte die Grafik und fΓΌgte Inhalt hinzu. 2006 erschien der "Flight Simulator X" β danach wurde es ruhig um die Reihe. Doch 2019 verkΓΌndete Microsoft auf der Gaming-Messe E3 ΓΌberraschend einen neuen Teil.
Der soll unter anderem durch seinen Realismus beeindrucken: Das von Microsoft beauftragte franzΓΆsische Entwicklerstudio Asobo Studios verwendet Karten von Bing Maps, um die Welt abzubilden. Von Wind bis Wetter soll alles so realistisch wie mΓΆglich dargestellt werden. Mindestens zehn Jahre lang will Microsoft den Simulator mit neuen Inhalten versorgen. Eine VR-UnterstΓΌtzung soll beispielsweise noch 2020 folgen.
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Am 18. August soll der "Flight Simulator 2020" erscheinen. Kurz vor der VerΓΆffentlichung erklΓ€ren im Interview Microsofts "Flight Simulator"-Chef JΓΆrg Neumann und Martial Bossard β Lead Software Engineer von Asobo Studios β wie sie den Planeten in die Simulation packen konnten, warum manche Entwickler fΓΌr den "Flight Simulator" einen Pilotenschein gemacht haben und warum auch AnfΓ€nger mit dem Flugsimulator SpaΓ haben kΓΆnnen.
t-online.de: Auf YouTube liefern Sie regelmΓ€Γig Neuigkeiten zum "Flight Simulator 2020". Wer sich die Kommentare durchliest, merkt, dass viele Nutzer vor allem eins wollen: ΓΌber ihr Haus fliegen. Haben Sie das in der Simulation auch schon gemacht?
Martial Bossard: Es ist praktisch das erste, was jeder tut. Und es ist nicht nur das Haus: auch der Ort, wo man aufgewachsen ist, wo man zur Schule ging β oder generell Orte, die man besucht hat.
JΓΆrg Neumann: Jeder folgt erst mal den Spuren seiner eigenen Geschichte. Danach besuchen viele Menschen Orte, die sie schon immer kennenlernen wollten. Manche werden auch richtig kreativ: Einige Testnutzer jagen zum Beispiel StΓΌrme. Andere besuchen die sieben Weltwunder oder berΓΌhmte GebΓ€ude. Oder sie halten nach Tieren Ausschau. Ich selbst habe Sets von Filmen besucht, die ich mag. Wir haben hier die Welt abgebildet β und jeder kann hingehen, wohin er mΓΆchte.
Sie haben die gesamte Welt in einen Flugsimulator gepackt? Wie ist das denn mΓΆglich?
Neumann: Hier mΓΌssen wir zwischen drei Bereichen unterscheiden: die statische, die dynamische und die lebende Welt. Starten wir am besten mit der statischen.
Bossard: Die entsteht unter anderem dank der Cloud. Wir nutzen Daten in der GrΓΆΓe von zwei Petabyte ...
Neumann: ... das sind etwa 1,7 Millionen DVDs ...
Bossard: Es ist jedenfalls eine gigantische Datenbank vom Kartendienst Bing Maps, mit der wir gearbeitet haben. Mithilfe entsprechender Berechnungen garantieren wir, dass Objekte wie BΓ€ume und GebΓ€ude an den richtigen Stellen auftauchen. Die Berechnungen werden mithilfe der Microsoft Azure-KI in der Cloud gemacht. Lokal greift der Rechner auf alle Daten zu und vermischt sie, um die Simulation abzuspielen.
Neumann: Die nΓ€chste Herausforderung war, Wind und Wetter richtig zu simulieren. Das ist die dynamische Welt. Wir haben dafΓΌr mit der Schweizer Firma meteoblue (ein Unternehmen fΓΌr Wettervorhersagen, Anm. d. Red.) kooperiert. Die haben allerhand Daten wie Windrichtungen, Temperaturen oder Feuchtigkeitsgrad. Die haben wir fΓΌr unsere Windsimulationen genutzt. Zudem haben wir Echtzeitwetterdaten des gesamten Planeten. So kΓΆnnen Nutzer zum Beispiel StΓΌrme jagen gehen.
Und was ist die lebende Welt?
Bossard: Hierbei handelt es sich um den Flugverkehr, wovon wir Echtzeitdaten haben. Das heiΓt: Wenn man irgendwo hinfliegt, kann man Flugzeuge sehen, die aktuell in der Luft sind.
Auf Bing Maps sind manche Stellen aber verpixelt, beispielsweise an Punkten mit MilitΓ€rkomplexen. Wie haben Sie denn dieses Problem gelΓΆst?
Bossard: Unsere KI kann mit solchen Problemen umgehen. Wir haben zum Beispiel einen MilitΓ€rkomplex in der NΓ€he von Bordeaux mitten im Wald. In der Rekonstruktion wird dieser verpixelte MilitΓ€rkomplex durch einen Wald ersetzt. In stΓ€dtischen Bereichen werden eher GebΓ€ude verwendet.
Gab es auch andere Probleme?
Neumann: Wenn man ein Gebiet super dargestellt hat, will man das erneut so hinbekommen. Es war darum schwer, vorherzusagen, wann der Titel fertig wird. Das war ein Grund, warum wir ΓΌber unsere Arbeit geschwiegen haben: Wir wollten keine falschen Erwartungen zum Erscheinungsdatum schΓΌren. Wir wollten so lange wie nΓΆtig daran arbeiten, damit es gut wird. Am Ende hat die Entwicklung etwa vier Jahre gedauert. Es hΓ€tten genauso gut aber auch zwei Jahre lΓ€nger sein kΓΆnnen.
Aber der letzte Flugsimulator erschien 2006 β das war vor 14 Jahren. Wieso kommt denn erst jetzt ein neuer Teil?
Neumann: Jeder Flugsimulator war technisch ein groΓer Schritt nach vorne. FΓΌr den aktuellen "Flight Simulator" haben wir uns ΓΌberlegt, was der nΓ€chste sinnvolle Schritt sein kΓΆnnte: Und der war eben eine korrekte Darstellung der Erde. In den vergangenen Flugsimulator-Teilen flog man vor allem mit Blick auf die Bordinstrumente. Jetzt kΓΆnnen Nutzer sich aber auch an der Landschaft orientieren. Aber ohne Bing Maps und die Datenzentren von Microsoft, um das alles zu berechnen, wΓ€re das Projekt unmΓΆglich. So etwas geht erst seit einigen Jahren.
Macht Sinn.
Neumann: Es ist nicht nur das: Das Ganze ist unendlich kompliziert und man braucht sehr viele Partnerschaften, um alles zum Laufen zu bringen. Wir sind zum Beispiel keine Wetterforscher und mussten erst welche finden. Ich habe nie an einem Produkt gearbeitet, fΓΌr das wir so viel Expertise zusammensuchen mussten.
Haben Sie auch echte Piloten um Rat gefragt?
Neumann: Martial Bossard und Sebastian Wloch (CEO of Asobo Studios, Anm. d. Red.) sind im Laufe der Entwicklung sogar selbst Piloten geworden.
Sie haben fΓΌr den "Flight Simulator" einen Pilotenschein gemacht?
Bossard: Ich glaube nicht, dass man ohne Ahnung vom Fliegen so ein Produkt entwickeln kann. Wir hatten vorhin ΓΌber komplexe Windberechnungen gesprochen: Es wΓ€re sinnlos, solche Dinge darzustellen, wenn man sie nicht versteht.
Neumann: Bei dem Projekt haben wir auch sehr eng mit Flugzeugherstellern gearbeitet. Die haben uns entweder Zugang zu ihren Designern oder Testpiloten gegeben. Wenn die ΓΌber das Thema sprechen, braucht man Leute, die das Ganze begreifen. Wahre Hingabe zum Fliegen und zur Avionik ist unerlΓ€sslich fΓΌr das Projekt. Asobo hat jetzt sogar Leute, die Spezialisten fΓΌr den Bordcomputer der Boing 787 sind.
Es gibt drei Versionen vom Flugsimulator und in jeder gibt es mehr als 37.000 besuchbare FlughΓ€fen. Aber je nach Spielversion haben Sie nur bis zu 40 FlughΓ€fen hΓ€ndisch detailliert nachgebaut. Wie haben Sie diese FlughΓ€fen ausgewΓ€hlt?
Neumann: Generell wollten wir eine gute internationale Abdeckung haben: Wir hoffen, dass Nutzer den gesamten Planeten erkunden. Und wir haben sogenannte Landing Challenges bei bekannten FlugplΓ€tzen β wie Lukla (in Nepal, Anm. d. Red). Die sind vor allem fΓΌr ihre Windbedingungen und kurzen oder steilen Landebahnen bekannt. Wir bekommen aber stΓ€ndig neue Daten, mit denen wir die Simulation ausbauen kΓΆnnen. Wenn wir Updates liefern, kann es natΓΌrlich sein, dass wir in bestimmten Regionen weitere FlughΓ€fen nachbauen oder andere Inhalte hinzufΓΌgen.
Vor allem diese Landing Challenges klingen so, als wΓ€ren sie nur was fΓΌr Profis. Kann ein "Flight Simulator"-Neuling ΓΌberhaupt mit dem Produkt SpaΓ haben?
Bossard: Als ich das erste Mal in echt geflogen bin, wirkte es sehr einfach. Aber es saΓ ja mein Ausbilder neben mir: Der ΓΌbernahm komplizierte Dinge wie Funk oder Instrumente. Wir machen das im 'Flight Simulator' genauso: Alles, was kompliziert ist, kann man einem Assistenzsystem anvertrauen und so die Simulation genieΓen. Wenn man sicherer wird, kann man mehr Dinge selbst ΓΌbernehmen.
Neumann: Es gibt acht Tutorials, die viele Neulinge auch machen. Die Γ€hneln vom Umfang und Inhalt her sehr den ersten 30 Stunden eines Flugunterrichts. Es ist ein sehr eleganter Weg, die Kunst des Fliegens zu lernen.
Also kann ich nach einiger Zeit am "Flight Simulator" ein Flugzeug fliegen?
Neumann: Lassen Sie es mich so erklΓ€ren: Wenn man fΓΌr eine Weile in einem fremden Land lebt, kann man sich irgendwann verstΓ€ndigen. Auch wenn man keine Ahnung hat, wie die Grammatik funktioniert. Das ist vergleichbar. Wenn Sie eine Weile Flugsimulatoren spielen und danach Flugstunden nehmen, erkennen die Ausbilder, dass sie eine ungefΓ€hre Ahnung von der Materie haben. Es ist praktisch ein Schritt in diese Richtung.
Am 18. August erscheint nun das fertige Produkt. Wie geht es dann weiter?
Neumann: Das Produkt wird niemals fertig sein, wir werden mindestens die nΓ€chsten zehn Jahre daran arbeiten. Wir wollen im Laufe der Zeit die Welt verbessern. Und es gibt viele Inhalte, die sich die Nutzer wΓΌnschen β wie Jahreszeiten, Drohnen oder Helikopter. Wir schauen monatlich, was die Community will und versuchen, das umzusetzen. Aber Helikopter zum Beispiel sind kompliziert: Die haben ein anderes Flugmodell, da mΓΌssen wir noch eine Menge lernen.
Viele Fans wΓΌnschen sich ja auch einen neuen "Combat Flight Simulator". Wie sieht die Entwicklung hier aus?
Vielleicht werden wir eines Tages daran arbeiten, aber er wird nicht Teil des 'Flight Simulator' sein β und auch nicht 'Combat Flight Simulator' heiΓen. Denn der 'Flight Simulator' wird sich nicht in dieses Richtung entwickeln. Unsere Flugzeuge sind nur fΓΌr die Darstellung einer zivilen Flugsimulation lizenziert. Da kann man keine Waffen oder Explosionen einbauen. Die Flugzeuge bei uns nehmen ja auch keinen physischen Schaden: Die Hersteller sind fΓΌr solche Sachen sehr sensibel.
Mit welchem Flugzeug erkunden Sie die Welt im "Flight Simulator" denn am liebsten?
Bossard: FΓΌr mich ist es das DR400: Das ist ein sehr franzΓΆsisches Flugzeug, mit dem ich auch fliegen gelernt habe β und ich kenne es in- und auswendig. Wir haben auch eine Nachbildung mit Cockpit bei uns im Unternehmen stehen. Das half uns dabei, die Simulation von allen Seiten zu beleuchten.
Neumann: Mein Lieblingsflugzeug ist das Schock Cub, weil es ΓΌberall landen kann. Ich liebe es, an kleinen StrΓ€nden oder Flussufern im Dschungel zu landen. Mit dem Icon A5 geht das auch auf Wasser, darum ist das mein zweitliebstes Flugzeug. Manchmal fliege ich damit in die Rockies, lande in einem See, schaue mich um und denke mir: 'Das ist wirklich toll'.
Vielen Dank fΓΌr das GesprΓ€ch.
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- Eigenes Interview