Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Über Falschmeldungen Der Papst ist schon wieder tot

Die österreichische Autorin Elfriede Jelinek wurde fälschlicherweise für tot erklärt. Mindestens einem Papst erging es ähnlich. Unsere Kolumnistin seziert die Schwachstellen einer sich immer schneller drehenden Nachrichtenwelt.
Es ist die Zeit der Sommerfeste. Wollen Sie auf so einem demnächst mal glänzen? Als jemand mit Ahnung von Hochkultur UND Zeitgeist? Na, dann aufgepasst, dann hab' ich heute was für Sie. Werfen Sie mal diese Frage in die Runde: Was haben Papst Benedikt und die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek gemeinsam? Antwort: Beide sind mehrere Male gestorben.

Zur Person
Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf X – wo sie über 120.000 Fans hat. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz". Mehr
Benedikt wurde bereits 2018 für tot erklärt. Via Twitter, wie X damals noch hieß. Der Account, der auf Deutsch das Ableben des aus Deutschland stammenden Stellvertreter Gottes auf Erden verkündete, gehörte angeblich dem Erzbischof von Salzburg. Dennoch verbreiteten nur polnische Medien die Todesnachricht – die sich nach rund 20 Minuten als Ente entpuppte. Account wie News waren Fälschungen gewesen.
2022, einige Monate vor dem tatsächlichen Tod Benedikts, muss sich der eine oder andere polnische Nachrichtenjournalist dann doch sehr gewundert haben: "Papst Benedikt ist schon wieder tot!" Denn erneut geisterte diese Meldung auf Twitter herum. Aber: Es stimmte auch dieses Mal nicht. Wieder steckte dahinter ein Fake Account, wieder handelte es sich um Fake News. Diesmal waren mehr Medien darauf hereingefallen als beim ersten Mal und mussten sich anschließend korrigieren.
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Es passiert immer wieder
Hinter den Fälschungen steckte ein Italiener namens Tommaso Debenedetti. Dieser arbeitete früher mal als Journalist, bis er aufflog: Er hatte Interviews erfunden. Mittlerweile ist er Lehrer – und fälscht anscheinend nur noch in seiner Freizeit.
2011 verbreitete er den angeblichen Tod des damaligen syrischen Machthabers Baschar al-Assad. 2020 traf es den Schriftsteller Milan Kundera. Die Liste ließe sich fortsetzen; Debenedetti ist umtriebig.
Einen Menschen irrtümlich für tot zu erklären, ist für Redaktionen ein äußerst peinlicher Fehler. Erstens natürlich aus Pietätsgründen, zweitens offenbart es einen groben Verstoß gegen simple handwerkliche Regeln. Das Zwei-Quellen-Prinzip ist guten Journalisten heilig: Demnach melden Redaktionen eine brisante Nachricht erst dann, wenn sie von zwei seriösen, voneinander unabhängigen Quellen bestätigt worden ist – oder unmittelbar von einer verursachenden Person oder Institution stammt. Das ist nicht die hohe Kunst, sondern Grundlagenwissen. Quasi das kleine Einmaleins des Journalismus.
Trotzdem passiert es immer wieder: Die "New York Times" ist Debenedetti schon auf den Leim gegangen, die "Neue Zürcher Zeitung", der "Guardian", viele andere – und gestern auch t-online.
"Es ist schon das zweite Mal"
Gestern nämlich war Elfriede Jelinek gestorben. Zumindest, wenn man namhaften deutschsprachigen Medien glaubte. Dort wurde die Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin für tot erklärt. Sie ahnen es: Stimmte nicht, Debenedetti hatte erneut zugeschlagen. Und auch in Jelineks Fall ein zweites Mal: Bereits im vergangenen Jahr hatte er einen sogenannten Hoax über den Tod der Österreicherin verbreitet. Als Hoax bezeichnet man via Social Media absichtlich verbreitete Falschmeldungen.
Über einen X-Account, der täuschend echt so aussah, als werde er vom renommierten Rowohlt-Verlag betrieben, wurde Jelinek für tot erklärt – und in den darauffolgenden Stunden von einigen Webseiten leider auch die journalistische Ethik. Denn es stellte sich heraus: Elfriede Jelinek lebt. Den Beweis konnte sie selbst erbringen. Die Nachrichtenagentur AFP fragte bei Jelinek nach, ob sie wisse, dass man sie als tot gemeldet habe. Ihre Antwort: "Ach, schon wieder? Es ist das zweite Mal, dass ich tot bin." Kann auch nicht jeder von sich sagen.
Die Aktionen haben zwei Gründe
Nun mag man sich fragen: Was soll das? Was ist in Tommaso Debenedetti gefahren?
Kann man sich und andere fragen – oder auch einfach ihn selbst. Auch das ist ja eine ganz elementare journalistische Vorgehensweise. Die Kollegen von der "Tagesschau" haben das vor einigen Jahren getan.
Seine Aktionen, sagte Debenedetti in dem lesenswerten Interview, dienten seinem Amüsement. Schwierig, finde ich. Aber gut, jeder hat seine eigene Vorstellung von gelungener Freizeitgestaltung. Die einen treffen sich zur Weltmeisterschaft im Steckenpferdreiten (und nennen es, weil es dann vielleicht nicht ganz so verrückt klingt, "Hobby Horsing"), die anderen finden ihre Erfüllung beim Extrembügeln. Und wieder andere verbreiten eben falsche Todesmeldungen über Promis im Netz.
Hinter seinem Treiben stecke aber auch noch ein ernsthafter Grund, sagt Debenedetti: "Die Dinge, die im internationalen Journalismus nicht funktionieren, sollen ans Licht gebracht werden. Es ist auch ein Mittel, um die Presse, die Journalisten auf ihre Verantwortung aufmerksam zu machen und vor den Risiken ihres Berufes zu warnen."
Es sind eben keine seriösen Quellen
Das ist ihm nun ein weiteres Mal gelungen. Debenedetti hat den Finger in eine klaffende Wunde gelegt – derer sich alle Nachrichtenmedien sehr bewusst sind, deren Heilung aber äußerst schwierig ist. Zum einen ist der Konkurrenz- und Zeitdruck in den vergangenen Jahren wahnsinnig gestiegen. Wer hat die News als Erster, wer blickt im Nachrichtendschungel überhaupt noch durch, welche Quelle ist seriös, welche ist es nicht? Das alles zu berücksichtigen und dabei in einem immer härter umkämpften Markt erfolgreich zu bleiben, ist aufreibend.
Soziale Netzwerke scheinen ein höchst willkommenes Hilfsmittel zu sein: Wie oft verkünden namhafte Politiker, international anerkannte Institutionen, seriöse Quellen ihre News zuerst (und nicht selten auch exklusiv) auf X, Facebook, Instagram und anderen Plattformen? Joe Bidens heiß diskutierter, erwarteter Rückzug als Präsidentschaftskandidat der Demokraten – zuerst kommuniziert über die sozialen Medien. Die Unterstützung seiner Nachfolgerin im Rennen um das Weiße Haus, Kamala Harris, durch die Popikone Taylor Swift? Verkündet via Social Media. Meistens geht es gut, meistens dienen die Plattformen als Verbreitungsinstrument für Pressemitteilungen.
Manchmal aber geht es daneben. Und erinnert uns alle daran: Die Social Networks sind eben nicht so seriös wie echte Quellen. Wie unser erlerntes Handwerk. Deshalb braucht es Journalismus. In dem solche Fehler zwar immer wieder passieren, aber Gott sei Dank so selten, dass sie selbst zur Nachricht werden, wenn es dann doch einmal geschieht.
Der Schaden hielt sich in Grenzen
Nun ist es, wie gesagt, nicht schön, jemanden fälschlicherweise zumindest publizistisch zu Grabe zu tragen. Es ist weder schön, wenn dies wider besseres Wissen geschieht, noch, es versehentlich zu tun. Im Fall Jelinek ist die Falschnachricht schnell als solche entlarvt worden. Ausmaß, Schaden und Kreis der Betroffenen sind überschaubar. Es gibt aber ganz andere Desinformationen von ganz anderer Dimension, die sich nicht oder nicht so leicht identifizieren lassen und ungleich massiveren Schaden anrichten können.
Der gestrige Tag hat erneut gezeigt, wie groß die Verantwortung des Journalismus ist. Wie wichtig er ist. Wie viel seriöser er sein muss und vor allem sein kann und sein wollen muss als das, was Tag für Tag, rund um die Uhr durch die Timelines rauscht.
Elfriede Jelinek hat es mit Gelassenheit genommen. Vielleicht mit der Redensart im Hinterkopf und/oder Herzen, wonach Totgesagte länger leben. Demnach wird sie steinalt. Zu wünschen wäre es ihr.
- Eigene Meinung
- t-online: Wie es zur Falschmeldung über den angeblichen Tod Elfriede Jelineks kam
- tagesschau.de: "Wenn der Verschwörer zweimal klingelt – Wie ein Faktenfinder einem Hoaxer auf den Leim ging"