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Immunologe über Corona: "Das Virus verschwindet aber die Entzündung geht weiter"


Mit Corona auf der Intensivstation
Weshalb eine Erkältung vor Covid-19 schützen könnte

  • Melanie Rannow
InterviewVon Melanie Rannow

Aktualisiert am 19.09.2020Lesedauer: 4 Min.
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Covid-19: Bei schweren Krankheitsverläufen kann eine intensivmedizinische Versorgung nötig sein. (Symbolbild)Vergrößern des Bildes
Covid-19: Bei schweren Krankheitsverläufen kann eine intensivmedizinische Versorgung nötig sein. (Symbolbild) (Quelle: Tempura/getty-images-bilder)

Warum manche Covid-19-Patienten schwer erkranken und auf der Intensivstation landen, ist noch immer unklar. Im Interview erklärt ein Experte, welche wesentliche Rolle das Immunsystem spielen könnte.

Der Immunologe Professor Dr. Andreas Radbruch hat bereits im t-online-Podcast "Tonspur Wissen" über die Auswirkungen des Coronavirus auf den Körper gesprochen. Im Interview erklärt er nun, warum das Immunsystem eine Covid-19-Erkrankung noch verschlimmern kann und was er von der aktuellen Forschungsarbeit zur Bradykinin-Hypothese hält.

t-online: Herr Professor Radbruch, neue Forschungen zeigen, dass Hormone für viele schwere Covid-19-Fälle verantwortlich sein könnten. Die sogenannte Bradykinin-Hypothese besagt, dass das Coronavirus körpereigene Funktionen wie die Regulierung des Blutdrucks durcheinanderbringt und zu einer Überreaktion des Immunsystems führt. Wie schätzen Sie als Immunologe diese Theorie ein?

Prof. Radbruch: Ich bin etwas überrascht über den Widerhall dieser Studie in den öffentlichen Medien. An sich ist das relativ trivial. Denn die Immunreaktion bei Covid-19-Patienten kann zu einer Entzündung führen und die ist eben von gefäßerweiternden Hormonen begleitet. In diesem Fall ein sogenanntes Peptid-Hormon mit dem schönen Namen "Bradykinin". Dieses ist nicht sehr viel anders als Histamin. Eine holländische Forschungsgruppe hat bereits im April diese Hypothese aufgebracht und Bradykinin ins Spiel gebracht. Die neue US-Studie hat einfach nur die Untersuchung anderer ausgewertet und aufs Papier geschrieben.

(Quelle: Gero Breloer)


Prof. Dr. Andreas Radbruch ist Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums und Präsident der European Federation of Immunological Societies.

Den Studienautoren zufolge stellt der Körper immer weiter Bradykinin her, das nicht abgebaut werden kann. Ein "Bradykinin-Sturm" soll dann verantwortlich für viele Todesfälle bei Covid-19-Patienten sein. Finden Sie das plausibel?

Ich finde, das kann man nicht als Sturm bezeichnen. Ich sehe das eher als eine Reflexion der andauernden Krankheit, die sich über Wochen und Monate hinziehen kann. Die Patienten sind leider teilweise sehr lange auf der Intensivstation. Das zeigt für mich, dass dort eine schwere Entzündung im Gange ist. Ob das Coronavirus konstant die Zellen dazu bringt, Bradykinin herzustellen, das ist vollkommene Spekulation.

Es ist auch sehr schwer, das Bradykinin nachzuweisen. Das ist in der Studie gar nicht passiert. Wenn sie wenigstens gemessen hätten, dass das Bradykinin selbst vor Ort extrem hoch konzentriert ist, dann hätte man einen Beleg.

Auch von einem "Zytokin-Sturm" wurde in vorherigen Arbeiten gesprochen …

Damit sind Entzündungszytokine gemeint, die plötzlich in großer Menge ausgeschüttet werden. Es gab eine Literatur, die behauptet hat, dass Covid-19-Patienten dadurch eine Sepsis, also eine Blutvergiftung, erleiden. Der Effekt ist vergleichbar mit einem anaphylaktischen Schock: Wenn man allergisch ist, kann es unter Umständen passieren, dass der Stich einer Biene reicht, um einen umzubringen.


Ich denke aber, dass es auch hier nicht passend ist, das als Sturm zu bezeichnen. Denn die Patienten sind ja gar nicht in einer stürmischen, sondern einer chronischen Entzündungssituation. Ein Sturm würde ja wieder vorbeigehen. Kommt dann eine Sepsis hinzu, ist das sehr gefährlich. Am Anfang ist sie extrem heftig und dann erholt man sich davon − oder eben nicht. Es ist heute noch ein riesiges medizinisches Problem, eine Sepsis zu beherrschen.

Stimmt es, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede gibt und Männer eher anfällig für Überreaktionen des Immunsystems sind?

Ja, es scheint so zu sein, dass die Reaktionen bei Frauen milder ausfallen. Männer reagieren da heftiger. Die Ursachen dafür sind aber noch unklar.

Das ist auch bei Autoimmunerkrankungen so, einige davon bekommen vorwiegend Männer, andere eher Frauen. Bei Frauen ist das Ganze ausbalancierter. Bis heute weiß man nicht genau, warum zum Beispiel vorwiegend Frauen Lupus bekommen und nicht auch mindestens genau so viele Männer.

Sie selbst haben in einem Forschungsteam die Immunantwort der Covid-19-Patienten auf der Intensivstation der Charité in Berlin untersucht. Was sind Ihre Erkenntnisse?

In unserem Manuskript beschreiben wir, dass das Coronavirus eine chronische Immunreaktion anstößt. Bei den schwer erkrankten Patienten, die wir auf der Intensivstation der Charité anschauen, verschwindet das Virus nach einer gewissen Zeit – aber die Immunreaktion und somit die Entzündung gehen weiter. Der Körper versucht, die Immunreaktion abzubremsen, aber er schafft es nicht. Warum das bei einigen Covid-19-Patienten so ist und bei anderen nicht, das ist immer noch ein großes Rätsel. Man kann davon ausgehen, dass es damit zusammenhängt, wie das Immunsystem des Infizierten mit dem Virus umgeht. Ob es einen Weg findet, das Coronavirus effizient und schnell zu klären oder eben nicht.

Wir vermuten auch, dass eine Autoimmunreaktion ausgelöst wird. Es gibt viele Krankheiten wie chronische Darmentzündungen, wo das Immunsystem gegen eigene Bestandteile reagiert, gegen die es aber nicht reagieren sollte. Das Zytokin, das wir angeguckt haben, heißt TGF-β. Die Patienten entwickeln im Laufe der Zeit immer mehr davon, die Zellen in der Lunge sind zum Beispiel voll damit. Eigentlich sollte das Zytokin die Immunreaktionen unterdrücken, doch das geschieht nicht. Die Patienten werden dann mit Medikamenten behandelt, um die Symptome in den Griff zu bekommen. Doch das Zytokin hat auch die unfreundliche Seite, dass es zu Vernarbungen im Lungengewebe führen kann. Das ist eine Nebenwirkung, die schon früher bei schweren Verläufen von Covid-19 beschrieben wurde.

Daraus können also dann Langzeitschäden entstehen …

Ja genau, die Schleimhäute können vernarben. Das Gewebe ist dann mitunter nicht mehr funktionsfähig.

Spielt es eine Rolle bei der Schwere der Erkrankung, wie gestärkt das Immunsystem vor der Infektion ist?

Patienten, die unter einem unterdrückten Immunsystem leiden, zum Beispiel bei Rheuma, wird nicht empfohlen, die Immunsuppression aufzuheben. Sie sollten ihre Medikamente weiterhin einnehmen. Es scheint also doch etwas anderes zu sein, ob man eine chronische Entzündung hemmt oder eine akute Immunreaktion gegen einen Erreger hat. Da gibt es bisher keine Hinweise darauf, dass diese Patienten mit unterdrücktem Immunsystem schlechter auf das Virus reagieren.

Es scheint eher so zu sein, dass die meisten Corona-Infizierten schon eine Art Vorprägung haben, weil der Körper so etwas Ähnliches mit verwandten Erregern bereits durchgemacht hat. Das Immunsystem besitzt dann Gedächtniszellen. Hat jemand eine Infektion mit anderen Erkältungsviren durchgemacht, kann es also sein, dass er sehr schnell und effizient auf SARS-CoV-2 reagiert. Die Patienten hingegen, die das nicht tun, die sind schlimm dran. Das scheint sehr viel entscheidender zu sein, ob jemand auf die Intensivstation muss oder nicht. Auch die Dosis des Erregers, seine Lebendigkeit und seine Fähigkeit, in die Tiefen der Lunge vorzudringen, entscheiden über den Verlauf.

Vielen Dank für das Gespräch, Prof. Radbruch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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