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Interview: Alix von Melle ist Deutschlands beste Bergsteigerin


Aktiv- & Skiurlaub
Alix von Melle: Wie die Flachländerin auf den Berg gekommen ist

trax.de, Ein Interview von Hanna Engler

12.03.2013Lesedauer: 8 Min.
Höhenbergsteigerin Alix von Melle.Vergrößern des BildesAlix von Melle in gewohnter Umgebung: auf den Gipfeln der höchsten Berge der Welt. (Quelle: Luis Stitzinger & Alix von Melle / goclimbamountain.de)
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Mit einer gesunden Farbe im Gesicht steht an der Informationstheke des Globetrotters Frankfurt eine eher kleine, schmal wirkende, blonde Frau, und lächelt mich an. Ist das wirklich Alix von Melle, momentan die erfolgreichste Höhenbergsteigerin Deutschlands? Die Alix von Melle, die schon fünf 8000er bestiegen hat und dutzend andere Berge von Nepal über Pakistan bis China? Ja, sie ist es tatsächlich: Gebräunt von der Sonne, die sie in den letzten Wochen auf ihren Skitouren durch die Alpen begleitet hat, steht sie hier und nimmt sich vor ihrem Vortrag "8000er - drunter und drüber" noch Zeit, um mit mir über ihren Weg vom Hamburger Flachland in die höchsten Berge dieser Welt zu reden. Erhalten Sie einen Einblick in Leben und Leistung von Alix von Melle in unserer Foto-Show.

Alix von Melle: eine Hamburgerin entdeckt die Berge

Alix von Melle ist ein echtes Nordlicht, geboren in Hamburg, aufgewachsen im 30 Kilometer entfernten Ahrensburg (Schleswig-Holstein). Wie kommt eine Flachländerin zum Höhenbergsteigen? „Ungeplant“, sagt die 41-Jährige und lacht. Früher sei sie schon sporadisch Ski gefahren und war während der ersten zwei Jahre Studium in Hamburg auch öfter am Arlberg unterwegs, mit Freundinnen beim Freeriden. Doch richtig auf den Berg gekommen ist Alix erst 1992/1993, als sie zum Studieren nach München zog.

Der Nähe zu den Alpen folgt fast automatisch die Liebe zum Gebirge, der Schnee hat es der Extrembergsteigerin schnell angetan: Im Winter unternimmt sie Skitouren, geht Freeriden. Später sagt sie: „Schnee ist meine Materie“. Das Feuer in Alix ist geweckt, und eines Tages denkt sie: „Wenn die Alpen im Winter so schön sind, dann muss es auch im Sommer schön sein." Und so beginnt sie zu klettern, zunächst mit dem Hochschulsport in den nahen alpinen Gipfeln.

"Bergsteigen muss aus sich herauskommen"

Das war 1994, da war Alix – heute mit fünf bestiegenen 8000ern die erfolgreichste deutsche Bergsteigerin – schon 23 Jahre alt, eigentlich reichlich spät für eine Bergsportlerin. Über den Hochschulsport lernt sie 1996 ihren heutigen Mann kennen, den Höhenbergsteiger und Alpenverein-Bergführer Luis Stitzinger. Bei einer Ski-Durchquerung in der Schweiz führt er die Truppe an, sie treffen sich das erste Mal und es passiert - nichts. Zur Liaison sollte es erst später kommen, als das Bergsteiger-Feuer in Alix schon längst entfacht ist. Das ist ihr wichtig: „Das Bergsteigen muss aus sich herauskommen, nicht nur weil es der Partner macht. Deshalb bin ich froh, dass ich ohne Luis mit dem Klettern angefangen habe. Auch wenn er mich dann zum Höhenbergsteigen gebracht hat.“

Es beginnt zwei Jahre nach ihrer ersten Begegnung, 1998 treffen sie sich beim Klettertraining an der Uni wieder, an der Luis Sport und Englisch studiert, sie verlieben sich. Eines Tages fragt Luis, ob Alix im Winter mit zum Aconcagua will. „Im ersten Moment dachte ich: 'Wie doof ist das denn? 15 Stunden um die Welt zu fliegen, um einen Berg zu besteigen, wo man doch die Alpen vor der Tür hat!' Doch frisch verliebt wie ich war folgte ich Luis nach Argentinien“, schildert sie ihre damalige Reaktion. Bis dahin ist eigentlich Alix' Bruder der Aktive in der Familie von Melle, doch nach der ersten erfolgreichen Besteigung des 6000ers, nach der Begegnung nicht nur mit dem Berg, sondern mit einem fremden Land und einer fremden Kultur, ändert sich das – das Feuer in Alix brennt endgültig lichterloh.

Bergsteiger-Sohn trifft auf echten Fischkopp

Auf die Frage hin, wie Luis, Sohn einer Bergsteiger-Familie aus dem tiefsten Süden, und Alix aus dem hohen Norden zusammen passen - zwischen ihren Heimatstädten Füssen und Hamburg liegen nicht weniger als 800 Kilometer und die ganze Bundesrepublik -, antwortet die Extremsportlerin mit einer Anekdote. Sie erinnert sich, dass ihre Mutter am Anfang der Beziehung fragte, was denn Luis' Eltern dazu sagen würden, dass ihr Sohn einen echten Fischkopp heiraten wolle. Spätestens nachdem Alix ihrem Mann am Berg nichts nachstand, war das wohl keine Frage mehr.

Bei den meisten ihrer gemeinsamen Touren ist Luis Expeditionsleiter, als Bergführer des DAV ist es sein Job, die Teammitglieder sicher auf den Berg hoch und wieder runter zu bekommen. Alix ist „privat“ dabei. Sein Job sichert ihr in diesen Tagen überhaupt die Teilnahme, finanziell hätte sie es sich gar nicht leisten können. Doch diese Zeiten, so schön sie waren - und Alix betont immer wieder, dass sie keine einzige Tour in dieser Zeit missen will - haben sich geändert. Die Anfang-Vierzigerin möchte zukünftig mehr private Expeditionen mit Luis unternehmen, bei denen er nicht unter der Anspannung steht, die die Verantwortung als Bergführer mit sich bringt.

Keine Lust auf Everest und Jammern auf höchstem Niveau

Heute kann sie sich ihre Träume durch das Halten von Vorträgen und durch die Unterstützung von Firmen erfüllen. Man könnte denken, so viele Traumziele hätte die Vielgereiste nicht mehr, doch das Gegenteil ist der Fall: Die Wunschliste wird immer länger - nach Peru will sie gerne mal wieder und Skitouren in Norwegen machen. Und immer wenn Alix in den Alpen unterwegs ist - und das ist sie viel -, sieht sie von dem einen Berg aus die nächsten Täler, die entdeckt werden wollen.

Ob die hohen Berge nicht langsam langweilig werden, frage ich die Bergsteigerin, bei all den Expeditionen von Tibet über Pakistan bis Alaska. Das nicht, denn jede Besteigung und jedes Land sei anders, erwidert sie und trotzdem: „Eine 8000er-Besteigung, das ist Arbeit, kein Urlaub“. Und es kostet viel Zeit, zwei Monate sind dafür aufzubringen. Daher will sich das Bergsteigerpaar später einmal, wenn kein 8000er mehr ansteht, wieder auf kleinere Expeditionen stürzen, so wie "früher", als sie die Klassiker in den Dolomiten kletterten und Skidurchquerungen in den Alpen machten - das fehlte in den letzten Jahren ein wenig. „Aber das ist Jammern auf höchstem Niveau. Stattdessen habe ich ja andere tolle Sachen gemacht“.

Das hat sie wirklich: Neben den fünf 8000ern, unter anderem der Nanga Parbat, stehen mehr als 15 weitere Expeditionen auf ihrer Haben-Liste. Der Mount Everest allerdings nicht. Warum das so ist, wird klar, als ich sie auf den Massentourismus anspreche, der auch vor den Bergen unserer Welt nicht Halt macht: „Na klar, wenn mir einer die Hand hinstrecken und sagen würde, 'nimm das Geld und besteige den Everest', würde ich nicht Nein sagen, aber eigentlich schreckt er mich eher ab. Es gibt noch viele unbekannte Gipfel, die zum Teil noch nicht mal einen Namen haben, und der Everest ist eben ein Prestigeprojekt. Ja, man darf die Träume anderer Menschen nicht verurteilen, die sie sich am höchsten Berg der Welt erfüllen, doch für mich wäre das nichts. Am Mount Everest werden vielleicht irgendwann Regularien notwendig sein...“

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Von Frauenproblemen und Pinkelpullen

Wo wir von Massen an Bergsteigern sprechen – viele Frauen sind nicht unter ihnen. Meist ist sie die einzige, höchstens ein oder zwei andere Frauen sind bei manchen Expeditionen dabei. Doch das sei nicht so, weil Frauen es sich nicht leisten könnten. Alix geht eher von pragmatischeren Gründen aus: „Viele Frauen wollen das Risiko nicht eingehen, ihre Kinder daheim und im Falle eines Unfalls allein zu lassen. Außerdem können sie es sich nicht vorstellen, Wochen oder Monate aus dem gewohnten Alltag mit allem Komfort, der dazugehört, auszubrechen; mit einem schweren Rucksack anstrengende Touren zu unternehmen ohne tägliche Dusche, ohne Haare waschen, ohne eine ordentliche Toilette."

Apropos Toilette: Was macht man denn in mehreren 1000 Metern Höhe? Alix zuckt nur mit den Schultern: „Man hockt sich ganz einfach in den Schnee. Angenehm ist es nicht, aber es gehört dazu. Ich habe gehört, dass Gerlinde Kaltenbrunner auch nachts immer rausgeht, das kann ich kaum glauben! Es gibt die Pinkelpullen für das Zelt, nur die großen Geschäfte werden draußen erledigt...“ Das sei genauso ein Teil vom Bergsteigen wie der Geruch - alle riechen irgendwann. Doch nicht ganz so schlimm – durch die langsame Fortbewegung in hoher Höhe schwitzt man nicht so sehr wie bei kürzeren Touren in niedrigeren Gebirgen, erklärt sie. Auch wenn sich Alix immer auf das Duschzelt im Basecamp, und noch mehr auf die erste richtige Dusche daheim freut.

Banale Dinge schwieriger, das Leben dafür einfacher

Ob es nicht trotzdem unangenehme Momente gibt, so als Frau unter Männern. Auch hier verneint sie: "Beim Höhenbergsteigen reduziert sich alles auf das Wichtigste. Die banalen Dinge sind hier schwieriger zu erledigen, das Leben ist dafür einfacher, ohne den ganzen Luxus von daheim – dazu gehört auch so was Alltägliches wie der Wasserkocher in der Küche. Ich genieße dieses einfache Leben am Berg, es ist wie eine Erdung des eigenen Lebens. Jede Expedition ist eine kleine Pilgerreise für mich.“ Es ist Alix wichtig, Land und Leute kennen zu lernen. Die schönsten Momente am Berg sind oft die, in denen sie Kinder beobachtet, die in der Natur spielen, statt inmitten eines Überflusses an Spielzeugen nicht zu wissen, mit welchem sie sich denn nun beschäftigen sollen...

"Lieber ein traumhafter Weg ohne Gipfel, als ein beschissener Weg mit Gipfel“

Unzählige Berge hat Alix schon bestiegen - bleiben bestimmte Expeditionen stärker in Erinnerung? Auf Anhieb fallen ihr drei ein: Die Ama Dablam, das "Matterhorn Nepals", wo sie das Land lieben gelernt hat (während des Gesprächs fällt das Thema Nepal immer wieder), der Mount McKinley, weil sie damals immer schon nach Alaska wollte, und der Nanga Parbat, ihr zweiter 8000er. Doch sie setzt gleich nach: Jede Expedition hat ihre eigene Besonderheit.

Erst letztes Jahr zum Beispiel wollten Alix und Luis den Manaslu besteigen – und mussten 173 Meter vor dem Gipfel abbrechen. Trotzdem schwärmt sie von dieser Zeit, von dem tollen Team, von den perfekten Schneeverhältnissen: “Klar wäre der Gipfel das Sahnehäubchen gewesen. Aber auch wenn gescheiterte Bergsteiger immer sagen ‚Egal, der Weg ist das Ziel’: Wenn man einen 8000er besteigt, will man ganz klar auch den Gipfel erreichen und ist enttäuscht, wenn man umkehren muss - auch wenn ich es nicht richtig als Scheitern empfinde. Gescheitert wären wir, wäre ich, wenn einer von uns nicht mehr runtergekommen wäre. Und ich habe lieber einen traumhaften Weg ohne Gipfel, als einen beschissenen Weg mit Gipfel.“

Warum Alix Beipackzettel liest

Da die Besteigung von 8000ern die breite Masse am meisten interessiert, hat sich Alix von Melle durch die großen Expeditionen einen Namen gemacht. Doch eigentlich ist neben dem Höhenbergsteigen das Skitourengehen ihr liebster Bergsport, gesteht sie, obwohl es die Mischung macht, die die Jahreszeiten vorgeben - und sie liebt alle: Mountainbiken und Klettern in den warmen Monaten, Schneesport in vielen Varianten in den kalten und das alles als perfekte Vorbereitung auf ihre Expeditionen. Ist überhaupt irgendwann mal Entspannung angesagt? Nicht ohne Bewegung! Auch im Urlaub gehört der Sport für Alix dazu. Und wenn es mal der Strand ist, dann auf Korsika oder Griechenland, wo vormittags geklettert wird – aber nicht als Training oder Vorbereitung, sondern einfach aus Spaß.

Gegen den Stress im Alltag hilft ihr Yoga - und klassische Musik. Die begleitet sie auf ihrem MP3-Player auf jede Expedition. Noch wichtiger: Bücher! Aber nur bis zum Basislager. Wenn dort Warten auf besseres Wetter angesagt ist, braucht Bücherwurm Alix genügend Lesestoff und ihr Tagebuch, dringender als jeden Musikplayer. Einmal geschah es, dass sie zu wenig Bücher dabei hatte. Aus der Not heraus begann sie, Beipackzettel von Arzneipackungen zu lesen...

Das nächste Ziel von Alix und Luis wird im April/Mai 2013 der Shisha Pangma sein, der einzige komplett in Tibet gelegene und niedrigste 8000er. Die Expedition kann im Webtagebuch auf ihrer Homepage verfolgt werden unter: http://www.goclimbamountain.de/tagebuchuebersicht.php

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