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DUH-Chef Resch überrascht mit Tempolimit-Aussage


Überraschende Experteneinschätzung
Beim Tempolimit wird es jetzt ganz schnell gehen

InterviewVon Markus Abrahamczyk

Aktualisiert am 19.10.2023Lesedauer: 4 Min.
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Es wird kommen: Das generelle Tempolimit auf deutschen Autobahnen sei unausweichlich, sagt DUH-Chef Jürgen Resch.Vergrößern des Bildes
Es wird kommen: Das generelle Tempolimit auf deutschen Autobahnen sei unausweichlich, sagt DUH-Chef Jürgen Resch. (Quelle: IMAGO/Frank Hoermann/SVEN SIMON)

"Eine Katastrophe für die Verkehrsinfrastruktur": Umwelthilfe-Chef Jürgen Resch stellt Verkehrsminister Wissing ein vernichtendes Zeugnis aus. Und überrascht mit einer Prognose.

Sie bedrohten und bespitzelten ihn. Sie manipulierten sein Smartphone und brachen bei ihm ein. Wer seine Feinde sind – Jürgen Resch kann es bislang zumindest nicht beweisen. Fest stehe nur: Alles begann mit "Dieselgate". Das Aufdecken des massiven Abgasbetrugs brachte Resch große Bekanntheit ein – und auch viele Feinde. Heute sagt der Chef der Deutschen Umwelthilfe (DUH): "Wir werden solche Skandale auch weiterhin erleben." Solange man sie nicht kontrolliere, würden die Autohersteller beispielsweise mit unwahren Stromverbrauchsdaten arbeiten. Auch Hinweise auf falsche Angaben zu Batteriegrößen gebe es bereits. Reschs Fazit acht Jahre nach Beginn des größten deutschen Industrieskandals: "Überall, wo man mit Betrug viel Geld verdienen kann und wo der Staat nicht hinschaut, betrügt die Industrie."

Nun erschien "Druck machen!", das neue Buch des streitlustigen Umweltschützers. Im Gespräch mit t-online stellt er Bundesverkehrsminister Volker Wissing ein vernichtendes Zeugnis aus – und erklärt, weshalb auf Deutschlands Autobahnen allen Widerständen zum Trotz schon bald ein Tempolimit gelten werde.

t-online: Herr Resch, seit 1988 sind Sie das Gesicht der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und damit der wohl bekannteste und meistgehasste Umweltschützer des Landes. In Ihrem neuen Buch "Druck machen!" schauen Sie zurück auf den Dieselbetrug deutscher Autobauer, aber auch nach vorne, etwa in der Diskussion um Tempolimits auf der Autobahn. Ihr Standpunkt?

Jürgen Resch: Wie in anderen Bereichen sollten wir hier zu anderen Industrienationen aufschließen. Deutschland ist weltweit das einzige Industrieland ohne generelles Tempolimit. Das ist aber aus vielen bekannten Gründen nötig: für die Verkehrssicherheit, um Staus zu vermeiden und – für uns ganz zentral – für den Klimaschutz.

Gerade da ist aber umstritten, was das generelle Tempolimit bewirken würde.

Wir können heute aufgrund von Berechnungen von mindestens elf Millionen Tonnen CO₂-Einsparung pro Jahr sprechen. Und das würde keinen Cent kosten.

Lassen sich Skeptiker von solchen Argumenten überzeugen?

Man sieht: Auch eine Mehrheit der ADAC-Mitglieder ist inzwischen für ein Tempolimit. Deshalb hat der ADAC seine Kampagne dagegen offiziell beendet und erklärt sich neutral. Vom Verkehrssicherheitsrat bis zu den Polizeigewerkschaften: Alle sind für ein Tempolimit.

Und warum gibt es dann keins?

Da erinnere ich mich gerne an ein Gespräch mit Ola Källenius (Vorstandsvorsitzender der Mercedes-Gruppe). Ich sagte ihm: 'Bitte erlauben Sie der Bundesregierung, ein Tempolimit zu erlassen.' Er antwortete: 'Nein, diese freie Fahrt ist unverzichtbar. Wir brauchen sie als Verkaufsargument für unsere Autos.' Merken Sie etwas? Källenius hat gar nicht erst bestritten, dass diese Entscheidung bei der Autoindustrie liegen würde. Genauso war es mit seinem Vorgänger Dieter Zetsche und anderen. Mir wird in diesen Gesprächen ganz selbstbewusst das Durchregieren der Autoindustrie bestätigt. In Verkehrsfragen entscheidet nicht der Minister, sondern die Autokonzerne.

Die Mehrheit der Deutschen ist für ein Tempolimit, auch SPD und Grüne wollen es. Wird es dennoch nie eine generelle Obergrenze auf deutschen Autobahnen geben – weil die Autoindustrie teure Sportwagen verkaufen will?

Doch. Die DUH macht Druck und klagt gegen die Bundesregierung auf Einhaltung des Klimaschutzgesetzes. Und offenbar sieht sich die Ampelkoalition unter großem Druck. Sie könnte in den nächsten Wochen dazu verurteilt werden, bis zum Jahr 2030 weitere 200 Millionen Tonnen CO₂ durch zusätzliche Maßnahmen einsparen zu müssen. Eine gewaltige Menge. Die einzige Maßnahme, die aber sofort wirkt und die eben pro Jahr mindestens elf Millionen Tonnen CO₂ einsparen könnte – also knapp die Hälfte des Defizits –, würde durch ein Tempolimit 100 auf Autobahnen, 80 außerorts und Tempo 30 in der Stadt eingespart. Deshalb sind wir sehr zuversichtlich: Eine Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Klimaschutzgesetz im Verkehrsbereich würde die Bundesregierung zum Handeln zwingen. Keine andere Maßnahme allein bringt ein ähnliches Ergebnis und ist ohne Kosten für den Staat.

Es wird also kurzfristig ein Tempolimit kommen?

Ja.

Was genau bedeutet kurzfristig?

Ich weiß nicht, ob die Politik mutig genug ist, das Tempolimit schon im kommenden Jahr einzuführen. Oder ob wir ein finales Urteil des Bundesverwaltungsgerichts abwarten müssen. Dann wird es 2025 oder 2026.

In spätestens drei Jahren wird es also ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen geben?

Auf jeden Fall. 2025 finden die nächsten Wahlen statt. Und ich kann mir nicht vorstellen, wie eine neue Regierung die gesetzlichen Verpflichtungen zum Klimaschutz ohne ein Tempolimit einhalten kann.

Um das erwähnte CO₂ einzusparen, haben die Minister der Ampelregierung eigene Sofortprogramme entwickelt. Volker Wissings Sofortprogramm des vergangenen Jahres bestand aus drei Seiten und wurde vom Expertenrat der Bundesregierung als nicht ausreichend und gesetzwidrig kritisiert. Wie bewerten Sie die Performance des Verkehrsministers generell?

In Schulnoten die Note sechs – ungenügend. Wissing ist eine Katastrophe für den Klimaschutz und für eine dazu passende Verkehrsinfrastruktur in Deutschland. Anstatt wie in der Schweiz und in Österreich die dringend notwendige Schienensanierung im Betrieb durchzuführen, soll bis 2030 der Fernverkehr der Bahn in Deutschland durch monatelange Komplettsperrungen von Hauptverkehrsstrecken ausgebremst werden. Gleichzeitig sollen 1.000 km Autobahnstrecke aus- und neu gebaut werden. Nicht einmal beim Deutschlandticket ist er bereit, den Ländern und Verkehrsverbünden ein dauerhaftes Flatrate-Ticket zu ermöglichen. Mit einer solchen Politik wird es nicht gelingen, Autofahrer zum Umsteigen auf die Bahn zu bewegen.

Nach Ihrem Kenntnisstand: Bleibt das Deutschlandticket bestehen?

Wir haben als DUH über Jahre dafür gekämpft und der starke Zuspruch der Menschen zeigt, wie wichtig ein attraktives Flatrate-Ticket für eine funktionierende Verkehrswende ist. Neben der strittigen Frage des Bundeszuschusses für das Ticket fehlten den Verkehrsverbünden derzeit aber auch die Mittel, die hoffnungslos veralteten Busflotten zu erneuern. Auch hier werden wir Druck machen für lebenswerte Städte und gut angebundene ländliche Räume, wie es die Schweiz seit Jahren schafft. So gelingt dann auch die Verkehrswende.

Herr Resch, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Jürgen Resch
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