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Russland – Experte zu Gift-Attentat: Eine Botschaft nicht nur an Alexej Nawalny


Experte: Das ist eine Botschaft nicht nur an Nawalny

  • David Ruch
Von David Ruch

Aktualisiert am 21.08.2020Lesedauer: 4 Min.
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Februar 2020: Alexej Nawalny auf einer Gedenkkundgebung für den getöteten Boris Nemzow in Moskau.Vergrößern des Bildes
Februar 2020: Alexej Nawalny auf einer Gedenkkundgebung für den getöteten Boris Nemzow in Moskau. (Quelle: Shamil Zhumatov/reuters)

Alexej Nawalny stellt wie kein anderer immer wieder die Machthaber in Russland bloß. t-online.de sprach mit dem Politikwissenschaftler Wladimir Gelman über die herausragende Rolle des Aktivisten und den aktuellen Fall.

In der russischen Stadt Omsk kämpfen die Ärzte um das Leben von Alexej Nawalny. Der bekannte Oppsitionsanführer hatte im Flugzeug nach Moskau das Bewusstsein verloren. Sein Umfeld geht von einer Vergiftung aus und bemüht sich laut einem Bericht der "Bild" um eine Weiterbehandlung in Deutschland.

Wie kaum ein anderer hat Nawalny die russische Politik der vergangenen Jahre geprägt. t-online.de sprach mit dem russischen Politikwissenschaftler Wladimir Gelman über Nawalnys herausragende Rolle, den aktuellen Fall und die nicht abreißende Serie von Giftanschlägen.

t-online.de: Was dachten Sie, als Sie heute von dem Vorfall um Alexej Nawalny hörten?

Wladimir Gelman: Ich sehe da ein weiteres Beispiel für eine in Russland weit verbreitete Praxis. Es gab in der Vergangenheit mehrere Vorfälle, die dem Fall Nawalny ziemlich ähnlich sahen.

Können Sie das bitte konkreter sagen?

Es gab mehrere Personen in Russland, die in Aktivitäten der Opposition involviert waren und auf ähnliche Weise vergiftet wurden. Nur ein Beispiel ist Wladimir Kara-Mursa jr., ein Aktivist und Berater des ermordeten Boris Nemzow. Er allein wurde zweimal vergiftet, 2015 und 2017.

Sie sprechen von einer Art Muster. Warum sind es immer Vergiftungen? Was ist das Symbol dahinter?

Weil es mehrere Signale gleichzeitig aussendet. Die Botschaft nicht nur an die Personen, die Opfer dieser Vergiftungen werden, sondern an ein größeres Publikum lautet: Wenn Sie sich falsch verhalten, können Sie in Schwierigkeiten geraten. Es geht darum, Angst zu verbreiten.

Und es ist das Signal: Sie können sich nirgendwo sicher fühlen. Richtig?

Genau. Es ist eine Art Demonstration: Sie mögen in Sibirien sein, Sie mögen in einem anderen Land wie Sergey Skripal und seine Tochter sein, die in Großbritannien vergiftet wurden. Es geht darum, ein starkes Gefühl der Unsicherheit zu erzeugen.

Gilt das Signal nur der einen Person oder einem größeren Publikum?

Letzteres trifft zu. Wenn Sie der Oppositionsbewegung angehören, ein Journalist sind oder nur ein Sympathisant, können Sie auch Probleme bekommen, soll das heißen.

Haben Sie Hoffnung, dass es eine angemessene Untersuchung geben wird?

Ich bezweifle es wirklich. In der Vergangenheit gab es zahlreiche Fälle, die nie aufgedeckt wurden. Ich erwarte diesmal nichts anderes.

Welche Rolle spielt Alexej Nawalny in der russischen Politik?

Er ist eine einzigartige Figur. Ihn kennen sehr viele Menschen. Seine Untersuchungen zu Korruption haben ihn landesweit bekannt gemacht. Seine Videos auf YouTube sind enorm beliebt, einige Clips haben Millionen von Zuschauern erreicht. Das wohl bekannteste Video brachte die Bestechlichkeit von Ex-Premierminister Dmitri Medwedew ans Licht.

Aber er hat sich nicht nur mit seinen Berichten einen Namen gemacht.

Sicher. Er ist auch der Anführer eines Netzwerks politischer Aktivisten in ganz Russland mit Ablegern in verschiedenen Provinzen. Genau in dieser Sache war er jetzt in Sibirien unterwegs, um Oppositionskandidaten bei den bevorstehenden Regionalwahlen in Tomsk zu unterstützen. Er ist der bekannteste russische Oppositionspolitiker.

Warum ist er mit seinen Kampagnen so erfolgreich?

Weil er auf viele Themen eingeht, die auch die russische Öffentlichkeit beschäftigen. Es ist nicht nur seine Haltung zur Korruptionsbekämpfung, sondern auch die Forderung nach Rechenschaftspflicht, nach Transparenz, nach einem verantwortungsbewussteren Verhalten der Regierung und ähnliches. Er erhält dafür Unterstützung aus vielen Ecken der russischen Gesellschaft.

Wie wichtig ist Nawalny für die russische Opposition?

Er ist natürlich eine zentrale Figur. Im Wahlkampf nutzte er überdies ein ganz besonderes Mittel, das Smart Voting. Nawalny suchte sich bestimmte Kandidaten heraus, von denen er annahm, sie könnten die Kandidaten der Regierungspartei besiegen. Er rief die Wähler auf, diese Kandidaten zu unterstützen – und das machte einen Unterschied.

Ohne über das Ergebnis seiner Behandlung zu spekulieren: Was ginge mit Nawalny verloren?

Ich hoffe nur, dass er überlebt und sich genug erholt. Seine Rolle ist herausragend, und ich bezweifle, dass in naher Zukunft jemand eine ähnliche Rolle einnehmen wird.

Erst vor wenigen Wochen festigte Wladimir Putin seine Macht mit dem Verfassungsreferendum. War das nicht genug? Warum jetzt dieser wahrscheinliche Giftangriff auf Nawalny?

Man muss unterscheiden: Die Verfassungsabstimmung war aus rechtlicher Perspektive wichtig, weil die Begrenzung der Amtszeit von Wladimir Putin bis auf das Jahr 2036 ausgedehnt wurde. Dabei ging es eher um staatlichen Institutionen als um das Hier und Jetzt. Putins Popularität ist dramatisch gesunken. Dieser Rückgang kann sich auf die Zustimmung für seine Partei und die von der Regierung unterstützten Kandidaten auswirken. Das beschäftigt den Kreml.

Nawalny stellt also weiterhin eine Bedrohung für den Kreml dar.

Ja. Weil er weiß, wie er Putins sinkende Popularität auszunutzen weiß. Dies kann nach den Kommunalwahlen im September von entscheidender Bedeutung sein, da in einigen Provinzen die von der Regierung unterstützten Kandidaten möglicherweise mit echten Problemen konfrontiert sind.

Herr Gelman, vielen Dank für das Gespräch.

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