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Eklat am Reichstag: "Sie sind unter uns. Sie bleiben unter uns"


Nach Eklat am Reichstag
"Sie sind unter uns. Sie bleiben unter uns"

  • Gerhad Spörl
MeinungVon Gerhard Spörl

Aktualisiert am 31.08.2020Lesedauer: 3 Min.
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Berlin: Hunderte Menschen demonstrierten am Wochenende mit Reichskriegsflaggen den Reichstag und versuchten, dass Gebäude zu stürmen.Vergrößern des Bildes
Berlin: Hunderte Menschen demonstrierten am Wochenende mit Reichskriegsflaggen den Reichstag und versuchten, dass Gebäude zu stürmen. (Quelle: imago-images-bilder)

Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut. Aber wer sie so nutzt, wie die Querdenker am Wochenende in Berlin, hat seinen Anspruch darauf verwirkt. Politik und Justiz sind nun gefordert.

Aus zwei Perspektiven kann man die wilde Ansammlung von Menschen betrachten, die gegen Corona und die Regierung auf die Straße gehen. Die Zahlenmäßige: Es ist ja nur ein versprengtes Häufchen von Spinnern, die nicht ins Gewicht fallen, weil die übergroße Mehrheit der Deutschen die staatlichen Einschränkungen akzeptiert. Die Inhaltliche: Wer mit Plakaten rumläuft, auf denen Wissenschaftler und Politiker in Häftlingskleidung abgebildet sind, wer mit Reichskriegsflaggen den Reichstag stürmen will, wer zum Wegklatschen von Journalisten aufruft oder Jens Spahn bespuckt, bepöbelt und mit Schwulenhass-Tiraden bedenkt, wie in Bergisch Gladbach, der ist ein Feind dieser Demokratie.

Kleine radikale Minderheit mit erstaunlicher Wirkung

Dass eine kleine radikale Minderheit erstaunliche Wirkung erzielen kann, wissen wir schon länger. Nehmen wir sie also ernst. Was sich in Berlin ereignet hat, wird sich ja wiederholen, solange das Wetter noch einigermaßen freundlich ist. Auf ihren Webseiten feiern sie sich, loben sich für ihren Mut vorm Feindesthron, bejubeln ihre Kunst der Provokation. Sie sind unter uns und sie bleiben unter uns.

Die drei Polizisten vor dem Reichstag geben ein Beispiel für professionelle Courage. Natürlich ist es ihre Aufgabe, gegen fahnenschwenkende Reichsbürger und ihre Entourage aus Esoterikern, Neonazis und Waldschraten vorzugehen, die das Parlament zumindest symbolisch einnehmen wollen. Aber es ist unsere Aufgabe, den Polizisten dafür Dank zu zollen, so wie wir in der ersten Phase der Pandemie gelernt haben, die Arbeit von Krankenschwestern und Pflegern zu würdigen. Der Bundespräsident hat heute eine Abordnung aus Polizisten eingeladen. Gut so.

Polizisten halten den Kopf für uns hin

Diese Polizisten halten den Kopf für uns hin. Sie sind schlecht bezahlt, sie werden nur zu oft – von Linken mehr noch als von Rechten – beleidigt und geschmäht. Wir im Nörgeln geübte Journalisten könnten ja auch mal in uns gehen, denn die Aufrufe im Netz, Fernsehteams zu jagen, müssen wir ernst nehmen. Und wer schützt uns im Zweifelsfall?

Den Gerichten, die Versammlungsverbote aufheben können, dürfte es beim nächsten Mal schwerer fallen, gegen den Innensenator zu entscheiden. Zum Wesen der Corona-Gegner gehört es, staatliche Maßnahmen für Auswüchse des tyrannenartigen Staates zu halten und gegen Auflagen wie Abstand und Masken gezielt zu verstoßen. Zur Choreographie dieser Demonstrationen gehört auch die Auflösung durch die Polizei. Erst dann geht es richtig los, wie die Richter nunmehr wissen können. Ja, Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut, aber wer sie so nutzt wie die Querdenker, der verwirkt seinen Anspruch darauf.

Gilt Versammlungsfreiheit auch für Leute, die sie systematisch missbrauchen?

Wenn ein Innensenator von einem Gericht gemaßregelt wird, sieht er schlecht aus. Andreas Geisel hat das Verbot juristisch so gut begründet, wie er es begründen konnte. Dass er zusätzlich sagte, er sei nicht bereit, ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht werde, kann man als Fehler ansehen, weil der Satz nichts zur Rechtsfindung beiträgt. Aber genau darum wird es beim nächsten Mal gehen: Gilt die Versammlungsfreiheit auch für Leute, die sie systematisch missbrauchen?

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Politisch ist wichtig, dass sich die AfD an die Querdenker dranhängt. Björn Höcke war in Berlin dabei. Fraglos sieht der Mann, der sich einen Faschisten nennen lassen muss, im Dunstkreis der Demonstranten ein Potential für seine Gefolgschaft. Ironisch nur, dass die Reichsbürger mit ihrer Reichskriegsflagge, die aus dem Kaiserreich herrührt und bis 1935 von den Nazis geschwenkt wurde, die AfD verachten, wie sie alles verachten, was Nachkriegsdeutschland ausmacht.

Unter den 30.000 oder 40.000 Demonstranten in Berlin waren natürlich auch harmlose Zeitgenossen, die aus Sorge oder Unsicherheit oder aus anderen Gründen die Nähe von Gleichgesinnten suchen. Sie bilden die Kulisse für die Feinde der Demokratie, ob sie wollen oder nicht. Vielleicht gehen sie ja in sich und fragen sich, ob sie sich auch das nächste Mal als die netten Menschen für den Mob aus Nazis und Reichsbürgern hergeben wollen. Diese zweite Berlin-Demonstration ist eine Zäsur, politisch wie juristisch. Ich bin gespannt, was wir fürs nächste Mal daraus lernen.

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