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Prostitution und Menschenhandel: Das älteste Gewerbe wird neu aufgemischt


Ausbeutung bei Prostitution
Das älteste Gewerbe wird neu aufgemischt

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

18.04.2018Lesedauer: 4 Min.
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Gezwungen zur Liebe: Bundespolizei durchsuchte am Mittwoch 62 Objekte, weil Schleuser und ihre Komplizen dort thailändische Sex-Arbeiter ausgebeutet haben sollen.Vergrößern des Bildes
Gezwungen zur Liebe: Bundespolizei durchsuchte am Mittwoch 62 Objekte, weil Schleuser und ihre Komplizen dort thailändische Sex-Arbeiter ausgebeutet haben sollen. (Quelle: Kai Pfaffenbach/Reuters-bilder)

Deutschland hat den bisher größten Einsatz der Bundespolizei gegen Menschenhandel im Rotlichtmilieu erlebt. Die Branche steht vor

Der bisher größte Einsatz der Bundespolizei im Rotlichtmilieu wirft ein Schlaglicht auf Bedingungen im ältesten Gewerbe der Welt. t-online.de erklärt, wie Prostitution in Deutschland heute aussieht – und welcher Umbruch im ältesten Gewerbe der Welt ansteht. "Man kann ganz sicher davon ausgehen, dass es in Deutschland künftig weniger Anbieter und Orte der Prostitution geben wird", sagt Simone Wiegratz, Leiterin der Beratungsstelle Hydra.

Worum geht's im aktuellen Fall?

Mehrere Hundert Transsexuelle und Frauen aus Thailand sollen von einem Rotlicht-Ring ausgebeutet worden sein, an 62 Orten wurde am Mittwoch durchsucht. Die Thailänder wussten den Ermittlungen zufolge, wofür sie nach Deutschland kamen – aber nicht, dass sie dann fast wie Sklaven arbeiten sollten. Sie waren dann "über Jahre hinweg menschenverachtender und grenzenloser Profitgier ausgeliefert", erklärte die Bundespolizei. Alle 82 angetroffenen Opfer haben den Angaben zufolge Zugang zu psychosozialer Betreuung.

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Zunächst sollen die Thailänder jeweils nach Siegen gebracht worden sein. Eine Frau und ihr Mann, die dort drei Betriebe führen, gelten als Hauptbeschuldigte, während der Kern der Bande 17 Leute umfassen soll. Insgesamt gegen 54 Personen wird aber ermittelt wegen Vorwürfen wie bandenmäßiger Schleuserei, bandenmäßiger Zwangsprostitution, Zuhälterei und nicht gezahlter Sozialabgaben. Sie ließen die Thailänder angebliche Kosten von mindestens 16.000 und bis zu 36.000 Euro für das Einschleusen abarbeiten, vermuten die Ermittler. Vom Geld der Freier wurden fast 100 Prozent einbehalten.

Wie typisch ist der Fall?

Asiatische Männer als Opfer von Menschenhandel im Rotlichtbereich spielen zumindest im Lagebild 2016 des BKA eine verschwindend kleine Rolle. In Ermittlungsverfahren kamen 13 Prozent der 488 erfassten Opfer aus Asien – von den 488 Opfern waren 95 Prozent Frauen. "Es ist auch immer eine Frage, welcher Ring gerade aufgedeckt wird", sagt Simone Wiegratz, Leiterin der Beratungsstelle Hydra in Berlin. "Es gab auch schon Razzien, um Chinesinnen aus der Prostitution zu holen." Den BKA-Zahlen zufolge machen Deutsche mit 26 Prozent die größte Gruppe unter erfassten Opfern aus. Das liegt aber auch daran, dass Deutsche geringere Hürden haben, auszupacken. Thailänderinnen in der Sex-Branche sind oft schon vor Jahren nach Deutschland gekommen, sagt Hydra-Chefin Wiegatz. Sie seien aber meist nach einer Trennung oder mit Wissen eines deutschen Partners in der Prostitution gelandet.

Wie viele Sex-Arbeiter arbeiten selbstbestimmt?

Die Zahl von Prostituierten in Deutschland wird seit Jahren auf 400.000 geschätzt, deutlich mehr als in jedem anderen europäischen Land. Kaum eine der Sex-Arbeiterinnen arbeitet wirklich völlig selbstbestimmt, sagt Wiegratz. "Es sind ökonomische Zwänge, es geht darum, die Miete und das Essen zu zahlen, wo fängt da Selbstbestimmung an?"

Es lasse sich aber nicht sagen, wie viele in dem Gewerbe hohe Abgaben zahlen müssen an den eigenen Partner, Familienmitglieder oder Geschäftemacher im Rotlichtmillieu. "Es gibt den Graubereich, von 5 bis 50 Prozent ist alles möglich. Und wenn Menschen auf freiwilliger Basis andere Menschen so ernähren, können Sie nichts machen." Durch das Prostituiertenschutzgesetz werde sich künftig ein ganz anderes Lagebild ergeben. Das Gesetz gilt seit Juli 2017, die Umsetzung lässt aber zum Teil noch auf sich warten.

Wie kann ein Freier erkennen, ob eine Prostituierte ausgebeutet wird?

Kaum, sagt Wiegratz, "er sollte aber die Frage an sich selbst stellen, wie sein Menschenbild und wie respektvoll seine Haltung und sein Umgang mit dem Gegenüber ist". Flatrate-Bordelle oder Gang-Bangs sind aber im Prostituiertenschutzgesetz verboten. Und das Gesetz schreibt explizit vor, dass Frauen Weisungen und Kunden ablehnen und Preise selbst festlegen dürfen. Betreiber müssen das in Betriebskonzepten darlegen. Prostituierte brauchen mit dem Gesetz auch einen Ausweis – den dürfen Kunden aber nicht verlangen. "Erpressungspotenzial dadurch gibt es trotzdem", fürchtet Wiegratz.

Garantiert der Ausweis bessere Zustände?

Die zuständigen lokalen Behörden sollen bei der Anmeldung auch über die gesetzlichen Rechte der Betroffenen aufklären. Das nötige Dokument sollen sie erst gar nicht ausstellen, wenn sie Anzeichen von Zwang und Gewalt entdecken. Dann sollen auch andere Stellen hinzugezogen werden. Trotzdem kein probates Mittel gegen Ausbeutung, glaubt Wiegratz: "Da, wo Organisationen am Werk sind, werden die die Frauen schon zur Anmeldung bringen und den Frauen schon vermitteln, was sie zu sagen haben."

Und wie später die Kontrollen in den Betrieben aussehen werden, sei auch noch völlig offen und werde regional sehr unterschiedlich sein. Das wird auch Einfluss auf das Ausmaß von Prostitution im Untergrund haben. Das Gesetz sei auch an vielen Stellen schwammig formuliert.

Wird es weniger Prostitution geben?

Davon geht die Leiterin der Beratungsstelle aus: In Berlin allein wurde bisher von 6000 bis 8000 Sex-Arbeitern ausgegangen – Anmeldungen soll es aber nur 1000 geben, sagt sie. Viele Frauen und Männer im Sexgewerbe rechneten damit, dass sich die Konkurrenzsituation entschärfen wird. "Die, die sich ordnungsgemäß verhalten, gehen davon aus, wieder ordentliche Preise nehmen zu können."

Wird es weniger Betriebe geben?

Typisch an dem Fall aus Siegen ist, dass sich viele der Dienstleistungen in Wohnungen abspielten: Prostitution dort hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen, der schwer zu kontrollierende Bereich machte laut BKA 2016 bei den Ermittlungsverfahren 55 Prozent aus. Doch durch das Prostitutionsschutzgesetz ist die Konzession nötig, die wegen der Anforderungen im Gesetz für Wohnungen nur schwer zu haben sein wird. "Die verbreitete Wohnungsprostitution wird es kaum noch geben, dafür eine Tendenz zu Großbetrieben." Es sei davon auszugehen, dass es künftig nur noch ein Fünftel oder Viertel der Adressen geben werde. Dafür würden Prostituierte aber vermehrt zu den Kunden gehen. "Es werden mehr Frauen einzeln arbeiten, das birgt auch gewisse Gefahren."

Verwendete Quellen
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