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Nach französischem Vorbild | Massen-Aufruf zum Tankboykott passt in AfD-Strategie


Nach französischem Vorbild
Massen-Aufruf zum Tankboykott passt in AfD-Strategie

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 22.11.2018Lesedauer: 5 Min.
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Einen Tag später Tanken, um damit gegen die hohen Preise zu protestieren? Unter Autofahrern gibt es viel Unmut, und Rechtspopulisten versuchen, diese Menschen zu gewinnen.Vergrößern des Bildes
Einen Tag später Tanken, um damit gegen die hohen Preise zu protestieren? Unter Autofahrern gibt es viel Unmut, und Rechtspopulisten versuchen, diese Menschen zu gewinnen. (Quelle: imago-images-bilder)

Viele Menschen nervt es schon: Derzeit grassiert ein Aufruf, am Montag nicht zu tanken, um "gegen die hohen Preise" zu demonstrieren. Doch manchen geht es um mehr.

Nach Massen-Protesten von Autofahrern in Frankreich gegen die Regierung fordert die AfD "ungeteilte Sympathie" – und in sozialen Netzwerken kursieren passend Aufrufe für erste Proteste deutscher Autofahrer. Die Aufrufe sind absurd, aber sie zeigen, wie versucht wird, unzufriedene Menschen anzustacheln.

Derzeit lassen sich im Netz zahlreiche genervte Beiträge lesen. Viele Menschen können die Aufrufe über Facebook und WhatsApp nicht mehr lesen. Darin werden sie dazu aufgefordert, am Montag, 26. November, nicht zu tanken, sondern stattdessen vorher am Sonntag. Das soll eine Protestaktion gegen die hohen Spritpreise sein.

Über die Aktion wird zwar viel gewitzelt, allerdings zeigt die weite Verbreitung der Aufrufe auch den Unmut vieler Autofahrer. Menschen aus allen politischen Lagern schicken den Protestappell an Freunde. Das ist eine Debatte, die parallel die AfD auch öffentlichkeitswirksam anstößt. AfD-Bundessprecher Alexander Gauland träumte am Mittwoch im Bundestag von Demonstrationen von Autofahrern in Deutschland.

"Es geht darum, Wut zu instrumentalisieren"

"Hier werden von Rechtspopulisten mit einer Agenda Dinge vermischt, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Es geht darum, Wut zu instrumentalisieren", meint Dr. Jochen Wilhelm, Geschäftsführer des Tankstelleninteressenverbandes mit 1000 Mitgliedern, im Gespräch mit t-online.de. Derartiger Protest ist grundsätzlich nicht neu. "In jeder Hochpreisphase gibt es einen Sturm der Entrüstung", sagt ein Sprecher des Kartellamts.*

Gauland ging am Mittwoch im Bundestag auf die Demonstrationen in Frankreich ein. Dort hatten am Samstag geschätzt 280.000 Menschen protestiert und hatten Straßen blockiert, nachdem über Gruppen in sozialen Netzwerken dazu aufgerufen worden war. Es gab zwei Todesopfer: Eine Autofahrerin geriet in Panik und überfuhr eine Frau. Ein Motorradfahrer starb, weil er an einer blockierten Straße mit einem wendenden Lkw zusammen stieß. Landesweit wurden mehr als 400 Menschen verletzt.

Gauland sprach den demonstrierenden französischen Autofahrern seine "ungeteilte Sympathie" aus. "Ob die Demonstrationen auch Deutschland erreichen?", fragte er. "Gründe gäbe es genug."

Frankreichs Innenminister beklagt Radikalisierung

Auf Facebook gibt es anknüpfend an die gelben Westen der Protestler in Frankreich auch schon Versuche, in Deutschland Demonstrationen mit entsprechenden Westen zu organisieren. Der Protest in Frankreich wird dabei auch mit ganz anderen Zielen vereinnahmt. Ein vorgebliches "Frauenbündnis" aus Kandel ist bereits zur Unterstützung in Frankreich gewesen und kündigt in einem mehr als 7000 Mal geteilten Beitrag an, künftig bei Demos in Kandel auch mit gelben Westen zu laufen.

Auf anderen Fotos von Westen ist auch "Migrationspakt stoppen" zu lesen. Zum Teil haben Aktivisten aus dem AfD-Unterstützerumfeld Hinweise darauf und auf den "Tankboykott" nacheinander geteilt. Auf Fragen nach dem Sinn ist als Erwiderung zu lesen: "Einigkeit zeigen!"

In Frankreich spricht Innenminister Christophe Castaner davon, dass es inzwischen völlig widersprüchliche Forderungen unter den Demonstranten gebe. Es gebe eine Radikalisierung. "Was anfangs mit guten Absichten begonnen hat, hat sich nun in eine völlig andere Richtung entwickelt", sagte er. Auch in Belgien gab es am Dienstag Proteste von Autofahrern.

Bei den Appellen zum "Tankboykott" in Deutschland geht es bislang zumindest vordergründig nur um die hohen Preise. "Das ist bei uns aber etwas ganz anderes als in Frankreich", sagt Wilhelm vom Tankstelleninteressenverband. "In Frankreich sind die Bürger gegen eine staatliche Entscheidung auf die Straße gegangen, die Steuern auf Treibstoff weiter anzuheben. In Deutschland haben wir hohe Preise durch eine Ausnahmesituation, für die niemand etwas kann."

"Verbrennungsmotor-Partei wäre zweistellig"

Das Bundeskartellamt, das mit der Preisbeobachtungsstelle für Treibstoffpreise die Lage sehr genau im Blick hat, bestätigt das: Ein Sprecher nannte es "plausibel, dass die hohen Preise Folgen des Brandes einer Raffinerie bei Ingolstadt und der höheren Transportkosten durch das Niedrigwasser von Rhein und Nebenflüssen sind." Der ungewöhnliche Preisunterschied zwischen deutlich teurerem Süden und Norden bestätige das. Es lasse sich nicht empirisch untersuchen, ob die Mineralölindustrie zusätzlich noch einen Schluck nehme.

Spritpreise könnten in den Augen des Tankstellenverbands-Geschäftsführers Wilhelm aber auch nur ein Vehikel sein, um Autofahrer insgesamt abzuholen. "Wenn es eine Verbrennungsmotor-Partei geben würde, hätte die über Nacht ein zweistelliges Ergebnis. Damit lässt sich populistisch Stimmung machen. Es ist ja nicht nur der Diesel."

AfD-Prominenz halten sich bei Tank-Boykott zurück

Den Diesel, bei dem Fahrverbote und Wertverlust zu viel Unmut bei vielen Autobesitzern führen, sprach Gauland aber gezielt an. Er erzählte von einem viral verbreiteten Video einer Bretonin und ihrem Unmut, dass die man sie als Fahrerin eines einst als umweltfreundlich angepriesenen Diesel jetzt mit einer deftigen Steuererhöhung abkassieren wolle. Das unterschlägt allerdings, dass in Frankreich auch die Steuern für Benzin deutlich gestiegen sind, wenn auch nicht so stark wie Diesel.

Während der Aufruf zum vorgezogenen Tanken insgesamt weit und auch viel von AfD-Unterstützern und NPD-Funktionären verbreitet wird, halten sich prominente Politiker der AfD zurück. Der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Dr. Rainer Balzer hat ihn gepostet. Balzer löst aber in der Partei auch vielfach Stirnrunzeln aus mit Aktion wie der Kür von Herbert Grönemeyer zum "Nazi der Woche". Balzer hat eine Anfrage von t-online.de nicht beantwortet, welchen Sinn es hat, vorgezogen zu tanken und ob es ihm um etwas anderes geht.

"Kloboykott am Montag" als Witz-Reaktion

Strategen in seiner Partei dürften aber genau verfolgen, ob der Tank-Aufruf einen Nerv trifft – wenn er auch noch so unsinnig ist. Die Seite mimikama.at nennt die Tank-Aktion gar "eine der unüberlegtesten Muskelspielaktionen seit langem auf Social Media". Gewitzelt wird inzwischen darüber auch mit satirischen Protestaufrufen gegen die hohen Wasserpreise ("Alle am Sonntag auf die Toilette gehen!") oder gegen die hohen Preise für Gurken.

Tankstellen-Funktionär Wilhelm erklärt, es sei völlig egal, wenn die Leute an einem anderen Tag tanken. Würde gar nicht getankt – was aber für die meisten Autofahrer ja nicht möglich ist – dann treffe das vor allem die Tankstellenpächter. Die haben auf die Preisgestaltung keinen Einfluss und seien selbst Opfer hoher Preise: "Pächter erhalten ja keine prozentuale Beteiligung, sondern einen Festbetrag pro Liter. Wenn bei hohen Preisen weniger getankt wird, kommt weniger beim Pächter an."

Tanken am Sonntag kann teurer sein

Am Sonntag statt am Montag zu tanken würde auch nicht Kunden automatisch beim Sparen helfen. "Wir können nicht feststellen, dass es bei den Wochentagen noch einen signifikanten Unterschiede gibt", heißt es von der Preisbeobachtungsstelle.

Wer günstig tanken will, muss zur richtigen Uhrzeit tanken – in der Regel vor dem großen Feierabendverkehr. Weil an Wochenenden zu der Zeit mehr Menschen unterwegs sind, hält sich der Eindruck, dass es sonntags günstiger ist. "Einfluss auf die Preise hat es aber, wo die Kunden tanken. Wir empfehlen deshalb Benzinpreis-Apps", so der Sprecher des Kartellamts.

Untersuchungen dort haben in den vergangenen Jahren keine Belege erbracht, dass die Konzerne bei einer kurzfristigen höheren Nachfrage an der Schraube drehen. Für diese These höherer Preise bei Beginn der Osterferien fanden sich keine Belege. Alle Fachleute halten es deshalb auch für fast ausgeschlossen, dass vermehrtes Tanken am Sonntag die Preise hochtreiben würde – falls denn überhaupt nennenswert Menschen mitmachen.

*Dieses Zitat wurde nachträglich ergänzt.

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