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Kaminer zum Leben nach Corona: Lauterbach und die Masken bleiben uns erhalten


Leben nach Corona
Warum Masken und Karl Lauterbach nie mehr verschwinden werden

MeinungVon Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 30.05.2021Lesedauer: 4 Min.
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Biergartenstimmung und Karl Lauterbach (Bildcollage t-online): Die gute Laune kommt, der SPD-Gesundheitsexperte wird uns erhalten bleibt, sagt Wladimir Kaminer.Vergrößern des Bildes
Biergartenstimmung und Karl Lauterbach (Bildcollage t-online): Die gute Laune kommt, der SPD-Gesundheitsexperte wird uns erhalten bleibt, sagt Wladimir Kaminer. (Quelle: getty-images-bilder)

Die Ärzte bringen immer mehr Impfstoff unter die Leute. Zeit, sich Gedanken zu machen, was nach Corona kommt. Karl Lauterbach wird sicher weiter das Fernsehen unsicher machen, sagt Wladimir Kaminer.

Langsam trauen sich die Menschen wieder an die frische Luft. Zunächst kamen die Fassbiertrinker, die Avantgarde unserer Zivilisation. Die frischgetesteten Ganztagskonsumenten schnuppern auch bereits in den Shoppingzentren herum, und die ersten Touristen rollen die großen Koffer wieder über die Straßen Berlins.

Darf man schon wieder reisen? Na klar, mit einem frischen Test und einer Einreiseanmeldung, möglicherweise ohne danach in Quarantäne zu müssen. Bereits kurz vor Pfingsten sah ich eine echte japanische Reisegruppe, mit Fotoapparaten und einer kleinen Fahne, wie in alten Zeiten.

Selbst das Wetter bremste die Bundesnotbremse aus

Ich traute meinen Augen nicht, dachte, das wären Komparsen in einem Corona-Warnfilm, aber nein, die Touristen waren real. Sie standen auf einmal vor dem Brandenburger Tor. Die Velorikschas, der Bratwurstverkäufer, die Eisverkäuferin, die Taxifahrer, alle starrten die Japaner an. Geht es jetzt schon los? Scheu und unsicher zückte ein Japaner seine Spiegelreflexkamera, seine Landsleute bauten sich zu einem Gruppenbild vor dem Tor auf.

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit rund 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Büchern gehört "Russendisko". Kürzlich erschien sein neuestes Buch "Der verlorene Sommer. Deutschland raucht auf dem Balkon".

Wir schauten alle wie gebannt hin. Wir wussten natürlich nicht, ob das die echten Japaner aus Japan oder nur die ausgeliehenen aus München oder Düsseldorf waren, ob internationale Fernflüge schon möglich sind, ob sie vielleicht gar keine Touristen waren, sondern bloß Virologen im Austausch. Und trotzdem starrten alle die Japaner an, als wären sie Gäste aus einer anderen Zeit.

Alle warteten gespannt auf das Geräusch des Auslösers, als würde sie uns allen einen Startschuss geben und eine neue Ära beginnen lassen. Genauso schön wie die alte – nur besser. Die Kamera hat dann leise geknackst und sofort fing es zu regnen an. Die Bundesnotbremse hatte ihre krassen Nebenwirkungen auch beim Wetter hinterlassen, der Frühling wurde dieses Jahr mächtig ausgebremst, es hagelte und schneite im Mai fast jeden Tag.

Ungeahnte Probleme in den Klassenräumen

Trotzdem standen Krokusse, Narzissen und Tulpen ungewöhnlich lange in voller Pracht, als wären sie alle schon zwei Mal geimpft, die Maiglöckchen wurden auf später vertröstet, sie würden, glaube ich, erst Ende Juni oder Mitte August einen Termin bekommen. Wie die Kinder und Jugendlichen, die hatten es auch besonders schwer in der Pandemie. Allein schon diese Schultestpflicht war eine enorme Herausforderung für die Kids.

In der gesamten Geschichte der Menschheit hat der Staat noch nie so lange und eindringlich in den Kindernasen gebohrt. Eine Freundin von mir, die Erstklässlerin ist, erzählte, wie überrascht ihre Schule von dem Montagstest war. Jedes Kind sollte sich selbst das Stäbchen in die Nase stecken, mindestens zwei Zentimeter tief, heftig drehen und dann wieder rausnehmen. Und natürlich stellte sich die Frage, wohin mit den Popeln?

Zum Glück hatte ihre Klasse einen Torsten, der schon früher gerne seine Popel aß. Man kann über die ästhetischen Aspekte dieser Leidenschaft streiten, aber Geschmack ist nun mal Geschmack. Die Klasse hat ihn an einem Tag für ein ganzes Jahr im Voraus damit versorgt. Doch die Schwierigkeiten fingen damit erst an.

"Du hast Corona, Mona!"

Wenn ein Kind positiv getestet wurde, gab es Tränen und Geschrei, als würde das junge Leben zu Ende gehen. Also wurde auf Lolli-Tests umgerüstet, sie mussten nicht mehr mit den Stäbchen in der Nase bohren, sondern 30 Sekunden anonym lutschen. Sollte unter den Kindern jemand Corona-positiv sein, musste die ganze Klasse einzeln noch einmal getestet werden. Kaum kommen wir zusammen, werden wir schon wieder getrennt und in Gruppen aufgeteilt.

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Wir sind jetzt eine 3G-Gesellschaft, wurde uns von der politischen Führung des Landes mitgeteilt. Nur auserwählte Arten dürfen in den Garten: Genesene, Geimpfte und Getestete. Eigentlich sind wir 4G, aber die Gestorbenen müssen nicht in die Biergärten, deswegen bleiben wir bei 3.

Das Leben gewinnt unverhofft wieder die Oberhand. Trotz des schlechten Wetters blüht der Flieder und die Menschen kehren auf die Straßen zurück, sie erobern ihren sozialen Raum wieder. Auch den, der früher fast ausschließlich den Obdachlosen zustand. Auf jeder Bank, unter jeder Brücke, auf jedem Kinderspielplatz picknicken die nicht geimpften und nicht getesteten Personen. Die Kinder auf dem Spielplatz gegenüber von meinem Haus spielen statt Versteck- jetzt Ansteckspiele. "Du hast Corona, Mona!" – "Steck an!" Sie laufen einander hinterher und wer angesteckt wird, muss in die Quarantäne unter die Bank.

Es wird geküsst werden

Was wird Corona hinterlassen? Werden wir weiter die soziale Distanz bewahren, Masken tragen, einander nicht die Hand geben? Alles wird schnell vergessen sein, wir haben schon Schlimmeres vergessen. Wir werden einander umarmen, küssen und schmusen, alle Haushalte einladen und feiern, bis der Arzt mit der nächsten Spritze kommt.

Die Hunde werden bleiben, viele hatten sich während der Pandemie Tiere angeschafft, das Homeoffice für zwei Tage die Woche auch, dazu Mund-Nasen-Schutz in der Autoschublade, Karl Lauterbach im Fernsehen ... und das Picknicken an der frischen Luft soll auch bleiben, weil es so nett war, auf einer Bank neben der Mülltonne sitzend in dem auf den Knien befindlichen Pappteller herumzustechen.

In einem Jahr werden wir uns fragen: War da was? Ein Ausrutscher auf dem Seil des Fortschritts. Ein Picknick auf dem Spielplatz. Sorry, wir haben die Hände nicht gewaschen.

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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