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Debatte um muslimischen CSU-Kandidaten: Was ist Integration noch wert?


Debatte um muslimischen CSU-Kandidaten
Der Offenbarungseid von Wallerstein

  • Lamya Kaddor
MeinungVon Lamya Kaddor

Aktualisiert am 09.01.2020Lesedauer: 5 Min.
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Sener Sahin verzichtet auf seine Kandidatur als Bürgermeister für die CSU: Das zeigt das ganze Desaster der Integrationsdebatte, sagt unsere Kolumnistin.Vergrößern des Bildes
Sener Sahin verzichtet auf seine Kandidatur als Bürgermeister für die CSU: Das zeigt das ganze Desaster der Integrationsdebatte, sagt unsere Kolumnistin. (Quelle: Montage: t-online.de/dpa)

Lernt Deutsch, haltet die Gesetze ein und passt euch an! Dann stehen euch alle Wege offen. So lautet das Integrationsversprechen. In Bayern kann Sener Sahin wegen seines islamischen Glaubens und seiner türkischen Herkunft kein CSU-Bürgermeister werden. Was ist Integration dann noch wert?

Zwei deutsche Institutionen: der Duden und die CSU. Während es das Wort "Inschallah" in die eine schafft, bleibt dem Muslim Sener Sahin der Weg in die andere versperrt. "Inschallah" ist als eines der 100.000 häufigsten Wörter in den Duden aufgenommen worden mit der Erläuterung: "auf ein zukünftiges Ereignis bezogener Ausdruck in der muslimischen Welt; wenn Allah will". Die Türen zum CSU-geführten Rathaus im schwäbischen Markt Wallerstein indes sind zu für Sahin. Er kann dort nicht Bürgermeister werden, finden manche in der CSU. Sein Glaube und die Christlich-Soziale Union in Bayern — das passe nicht zusammen, sagen sie, woraufhin Sahin die ihm vom Ortsvorstand seiner Partei angetragene Kandidatur zurückzieht.

Der Fall steht exemplarisch für ein Kernproblem, das Deutschland bis heute weitgehend ignoriert: die mangelnde Integrationsbereitschaft in Teilen der Mehrheitsgesellschaft. Wallerstein veranschaulicht, was viele Menschen mit einem Migrationshintergrund erleben: Ablehnung aufgrund unveränderlicher persönlicher Merkmale.

Wie kann jemand integrierter sein als dieser Mann?

Geprügelt wurde ich 2016 für eine Aussage aus meinem Buch "Die Zerreißprobe", wonach Mehrheitsgesellschaften ebenfalls eine Aufgabe gegenüber Zuwanderern und ihren Nachkommen haben. Nämlich: Zuwanderer und ihre Nachkommen als gleichberechtigt anzuerkennen, wenn sie ihre Integrationsleistung erbringen. Seit Jahrzehnten wird ihnen zugerufen: "INTEGRIERT EUCH!", vor ihrer Nase wird mit der Leitkultur-Keule gewedelt, verbunden mit dem Versprechen: Wer die deutsche Sprache beherrscht, sich an die deutsche "Hausordnung" hält und sich anpasst, dem steht nichts im Weg.


Sener Sahin ist offenkundig ein Musterbeispiel. In Bayern geboren und aufgewachsen. Unternehmer am Ort. Im örtlichen Sportverein aktiv. Mit einer Christin verheiratet. Zwei Kinder. Bereit, CSU-Mitglied zu werden. 44 Jahre alt. Wie kann jemand "integrierter" sein in Deutschland als dieser Mann? Und trotzdem reicht es für ihn nicht, denn er ist Muslim. Und selbst wenn er seinen Glauben ablegen würde, hätte er weiterhin türkische Wurzeln, und manche in der CSU würden wohl sagen: "Der Türk kimmd dahana ned roi."

Mit Akzeptanz ist es in Wallerstein nicht weit her

"Viele haben allein schon wegen meines Namens ein Problem", sagte Sahin der "Süddeutschen Zeitung": "Die vom Ortsvorstand haben gesagt: Das glauben wir nicht. Wir unterstützen dich. Und da habe ich mir gedacht: Ich mach’s." Inzwischen heißt es im tiefen Westen Bayerns, man sei offenbar noch nicht so weit auf dem Lande. Das ist ein Offenbarungseid: Die Verhältnisse in Wallerstein wurden offengelegt und es kam heraus, dass es mit Akzeptanz, Toleranz und dem Demokratieprinzip der Gleichbehandlung nicht weit her ist.

Dabei scheint Sahin fast zu gut für diese Welt: "Ich war bestimmt öfter in der Kirche als die, die mich jetzt nicht wollen", sagte er dem Bayerischen Rundfunk. Er zeigt selbst Verständnis für die, die ihn ablehnen, weigert sich, in eine Opferrolle zu schlüpfen, und übt am Ende den Verzicht auf eine Kandidatur mit der Begründung, in der Wallersteiner CSU solle es wegen ihm nicht zu einer Spaltung kommen…

Die Strahlkraft dieses Falls reicht weit über Bayern hinaus und wirkt auf Menschen mit Migrationshintergrund demotivierend und demoralisierend. Manche fühlen sich in ihrer Verunsicherung bestätigt: "Seht ihr, die 'Deutschen' wollen uns eben nicht". Einige von ihnen werden sich in ihre Wagenburg zurückziehen, statt rauszugehen und sich politisch zu engagieren, wodurch die Integrationsprobleme bloß verlängert werden.

Am Fall Wallerstein kommen wir künftig nicht mehr vorbei

Wer künftig über Integration reden will, wird am Fall Wallerstein nicht mehr vorbeikommen. Die Integrationsdebatte lässt sich nur mit einem Zweiklang führen: Der Fingerzeit auf "die" Migranten (und ihre Nachkommen), die sich zu integrieren haben, wird ohne Mahnung an die Mehrheitsgesellschaft, Migranten (und ihre Nachkommen) dann auch anzuerkennen, nicht auskommen. Und wer dennoch einseitig auf Migranten blickt, wird sich kritische Fragen gefallen lassen müssen, ob oder wie er sich dann von rechtsradikalem und rassistischem Denken abgrenzt? In diesem Sinn bewirkt Wallerstein vielleicht etwas Positives für Deutschland.

Aber Vorsicht! Der Fall steht nicht allein für die Migrationsdebatte und er taugt nicht zum Schimpfen auf die CSU. Sahin wurde vom Ortsvorsitzenden Georg Kling gefragt, ob er als Bürgermeisterkandidat antreten wolle. Er und andere Vorstände in der Partei standen hinter ihm; bis heute weiß niemand so genau, ob seine Gegner oder seine Fürsprecher in der Wallersteiner CSU die Mehrheit haben; es gibt keine Umfrage.

Beeindruckende Reaktion von CSU-Führung

Ziemlich beeindruckend war schließlich, wie ernst die Parteiführung das Thema nahm, als der Fall bekannt wurde. Vom Ehrenvorsitzenden Theo Waigel über Parteichef Markus Söder und Parteivize Dorothee Bär bis hin zum CSU-Kreisvorsitzenden Ulrich Lange haben sie deutlich Stellung zugunsten Sahins bezogen. Selbst Peter Gauweiler sagt in der NZZ über Sahin, "dass er einer von uns ist." Der Generalsekretär Markus Blume wurde beauftragt, den Unternehmer zu überreden, die Kandidatur doch wieder aufzunehmen. Sahin hatte von oben volle Rückendeckung. Fraglich, ob sich eine CSU-Spitze, nur fünf Jahre zurückgedacht, ebenso verhalten hätte?!

Gewiss, in München weiß man, dass man für künftige Wahlerfolge in Bayerns Städten offen sein muss für Atheisten oder Angehörige anderer Religionen, Deutschland ist bunt. Auch dass es angesichts zunehmender Bedrohungen von Politikerinnen und Politikern immer schwieriger wird, Kandidatinnen und Kandidaten für Ämter zu finden, ist bekannt. Aber wenn die CSU jetzt noch jenen Kommunalwahl-Kandidaten in Wallerstein auf den Zahn fühlt, die mit Rückzug gedroht hatten, sollte Sahin als Bürgermeisterkandidat aufgestellt werden, kann eine demokratische Partei kaum stärker intervenieren.

Die CSU-Spitze scheint die Chance erkannt zu haben, an einem modernen Konservatismus zu arbeiten. Einer, der fit ist für die Zukunft. Der auf politische Inhalte und Werte setzt, statt mit völkischen Gedanken verbunden zu werden und sich über die Ausgrenzung von "Anderen" zu definieren. Eine solche weltoffene CSU wird in Deutschland gebraucht, sie ist wichtig für das Parteiensystem.

Frieden lässt sich nur durch Gleichberechtigung erzielen

Zurückhaltend sollten außerdem all jene sein, die Wallerstein allzu schnell als "Ausländerding" abtun möchten. Die Vorgänge stehen nicht zuletzt symbolisch für ein gesamtgesellschaftliches Problem: Es gibt zu viele Leute, die wir mit der Idee des friedlichen Zusammenlebens in einer Gesellschaft voller unterschiedlicher Menschen nicht erreichen. Denn es ist nicht damit getan, Bürgerinnen und Bürger, die "anders" sind, bloß zu dulden.

Gesellschaftlicher Frieden lässt sich nur durch Gleichberechtigung erzielen. Und da hapert es an vielen Stellen: etwa bei Kindern aus sozial benachteiligten Familien, bei Frauen im Vergleich zu Männern, Ostdeutschen im Vergleich zu Westdeutschen, bei gleichgeschlechtlichen Partnern, Menschen mit Beeinträchtigung, bei Menschen mit (rechts-)konservativen Haltungen, die voreilig in eine Nazi-Ecke gestellt werden, etc. Wir haben noch ziemlich viele Ungerechtigkeiten im Land und jede Gruppe spürt das für sich. Und wenn sie darauf hinweist, muss sie damit rechnen, angefeindet zu werden, während sie auf Empathie, Unterstützung und Hilfe hofft.

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Wallerstein sollte am Ende vor allem eins sein: Eine Ermutigung, weiter für Offenheit, Freiheit und Gleichheit einzutreten. Es gibt viel zu tun.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e. V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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