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Eroberung von Luhansk: Das wäre für Putin ein Riesenerfolg


Putins historischer Traum
Moskau meldet Einnahme einer ganzen Region

Von t-online, cc

Aktualisiert am 01.07.2025 - 07:03 UhrLesedauer: 4 Min.
Der russische Präsident Wladimir Putin sprach zuletzt häufig von einem historischen Gebilde namens "Nowarussia". (Archivbild)Vergrößern des Bildes
Der russische Präsident Wladimir Putin (Archivbild): Zuletzt sprach er häufig von einem historischen Gebilde namens "Nowarussia". (Quelle: Valentina Pevtsova/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa/dpa-bilder)
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Russische Besatzungsbehörden melden die vollständige Einnahme der Region Luhansk. Machthaber Putin käme damit einem wichtigen Kriegsziel näher.

Seit mehr als dreieinhalb Jahren führt das russische Regime einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die völkerrechtswidrige Invasion des Nachbarlands hat laut Kremlchef Wladimir Putin die vollständige Unterwerfung der Ukraine und die Auslöschung der ukrainischen Kultur zum Ziel. Nun könnte Moskau diesem Ziel zumindest einen kleinen Schritt näher gekommen sein. Denn nach Angaben der Besatzungsbehörden haben russische Truppen die ostukrainische Region Luhansk zur Gänze erobert. Der Bericht über die vollständige Einnahme sei vor zwei Tagen gekommen, sagte der von Moskau eingesetzte Statthalter der Region, Leonid Passetschnik, im russischen Staatsfernsehen.

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Bislang gibt es allerdings keine Bestätigung dafür aus Kiew. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht. Auch das Verteidigungsministerium in Moskau hat die vollständige Besetzung des Gebiets Luhansk bislang nicht gemeldet. In der Vergangenheit kam die offizielle Bestätigung aus Moskau aber meist kurz nach den Erfolgsmeldungen der örtlichen Besatzungsbehörden.

Für Putin wäre die Einnahme der Region ein gewaltiger Propagandaerfolg, hat er Luhansk, ebenso wie die Regionen Donezk, Saporischschja und Cherson bereits 2022 zum integralen Bestandteil des russischen Territoriums erklärt – ebenso wie die 2014 ebenfalls völkerrechtswidrig annektierte Halbinsel Krim. Laut der Kreml-Propaganda zählen diese ukrainischen Regionen zu einem Territorium namens "Donbass und Noworussia", wie Putin erst am Montag bei einem Treffen zur sozioökonomischen Entwicklung der Region ausführte.

Die Kiewer Rus – eine multiethnische Föderation im Mittelalter

Das aktuelle russische Regime beansprucht weite Teile des Südens und Ostens der Ukraine für sich und leitet diesen Anspruch von einem historischen Konstrukt namens "Noworussia" ab. Putin und seine Propagandisten greifen dabei auf ein imperiales Konzept aus dem 18. Jahrhundert zurück. Damals trieb die russische Zarin Katharina II. die Unterwerfung der ukrainischen Region voran, unterjochte und vertrieb die dort ansässige Bevölkerung, unter anderem die Saporischschja-Kossacken, und führte damit fort, was ihr Vorgänger Peter I. ("der Große") begonnen hatte: die massive Ausweitung des russischen Kernlandes und Schaffung eines großrussischen Reiches durch Landnahme unabhängiger Regionen.

Der Begriff "Neues Russland" (Noworussia) wurde dabei von Peter I. geschaffen, um die russischen Besatzungsmaßnahmen zu legitimieren. Allerdings beließ es der Zar nicht bei der Okkupation von Territorien: So instrumentalisierten Peter der Große und seine Geschichtsschreiber den Begriff Rus für ihre eigenen Zwecke, denn eigentlich bezeichnete Rus ein mittelalterliches Großreich um die ukrainische Hauptstadt Kiew ("Kiewer Rus"). Diese Föderation von Teilfürstentümern existierte zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert, von ihr leiten sowohl die Ukraine, Belarus als auch Russland ihre heutige Existenzberechtigung ab.

Machthaber Putin leitet von der Erzählung des großrussischen Reiches, das seinen Ursprung vermeintlich in der Rus habe, seine imperialen Ansprüche ab. Die Ukraine, so heißt es aus Moskau immer wieder, sei schon immer Bestandteil Russlands gewesen. Eine eigene ukrainische Kultur oder ein eigener ukrainischer Territorialanspruch existiere historisch nicht. So antwortete Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag dem Bürgermeister der ukrainischen Hafenstadt Odessa, Gennadi Truchanow, Odessa sei "unabdingbar mit der russischen Geschichte verwoben". Truchanow hatte zuvor gesagt, Odessa sei keine russische Stadt und werde es auch niemals sein.

Historiker widersprechen dieser Lesart vehement: Die russische Erzählung ignoriere nicht nur die eigenständige Geschichte der Ukraine, sondern verfälsche auch bewusst historische Begriffe wie die "Kiewer Rus", die keineswegs als Ursprung eines großrussischen Reiches gelten könne. Vielmehr sei die Ukraine über Jahrhunderte ein eigenständiger Kultur- und Herrschaftsraum gewesen, mit klar unterscheidbaren politischen, sprachlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen.

Kreml-Offizielle erheben Anspruch auf Großteil der Ukraine

Das hält jedoch den Kreml nicht auf, weiter historische Unwahrheiten zu verbreiten. So sagte auch der Berater Putins, Wladimir Medinski, erst am Montag, Russen und Ukrainer "seien ein Volk", das sich "ein geschichtlich begründetes Territorium" teile. Die Ausmaße dieses Territoriums benannte Medinski auch: Demnach beansprucht Russland das Land zu beiden Seiten des Flusses Dnipro – was einem Großteil der heutigen Ukraine entspricht. Inzwischen bedienen sich Kreml-Offizielle wie Peskow, Medinski oder auch Außenminister Sergej Lawrow routiniert der unter Historikern umstrittenen Terminologie. Auch Machthaber Putin stellt dies in seinen Reden wiederholt unter Beweis. Erst kürzlich sprach der russische Präsident beim Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg am 9. Juni davon, "Russen und die Ukrainer seien in Wahrheit ein Volk", und mehr noch: "Die Ukraine ist Russland".

Um diesen Machtanspruch durchzusetzen, hat Putin die Angriffe auf die Ukraine seit Jahresbeginn massiv verstärkt. Der Bombenterror auf große ukrainische Städte, inklusive der Hauptstadt Kiew, nimmt stetig zu. Die Zahl der Bomben und Drohnen, die Russland auf das Nachbarland abfeuert, steigt. Die Zahl der ukrainischen Opfer auch. Immer mehr stehen dabei zivile Ziele im Mittelpunkt, wie Wohnhäuser, aber auch zivile Infrastruktur, wie Krankenhäuser und Kindergärten.

Zugleich verstärkt Russland seine Bemühungen an mehreren Abschnitten der Front. Staatsmedien und Kriegsbloggern zufolge rücken Putins Truppen im Osten der Ukraine immer weiter vor. Demnach nahmen sie eine erste Ortschaft in der zentral-östlichen Region Dnipropetrowsk ein. Die Truppen hätten am Montag auch die Kontrolle über das Dorf Dachnoje übernommen. Eine Bestätigung von ukrainischer Seite oder vom Verteidigungsministerium in Moskau lag zunächst nicht vor.

Ukraine hatte die Region 2022 teilweise zurückerobert

In den vergangenen zwei Monaten haben russische Truppen insgesamt rund 950 Quadratkilometer Gelände gewonnen. Der ukrainischen Beobachtergruppe Deep State zufolge kontrolliert Russland derzeit 113.588 Quadratkilometer ukrainisches Territorium. Zu den besetzten Gebieten gehören die Halbinsel Krim, über 70 Prozent der Regionen Donezk, Saporischschja und Cherson sowie Teile der Regionen Charkiw, Sumy und Dnipropetrowsk. Und nun steht womöglich die Region Luhansk zu 100 Prozent unter russischer Kontrolle.

Die Region war teilweise bereits 2014 unter die Kontrolle der von Moskau unterstützten Separatisten gelangt. Bei Kriegsausbruch gelang es den Russen innerhalb weniger Monate, den Großteil der Region zu erobern. Bei ihrer Gegenoffensive im Herbst 2022 konnten die Ukrainer einige Landstriche im Norden von Luhansk zurückerobern. Dennoch proklamierte Putin mit einem pompösen Staatsakt im Kreml die Region, wie auch Saporischschja, Donezk, Cherson und die Krim, für sich und machte sie offiziell zum Teil der Russischen Föderation.

Bestätigt sich die vollständige Einnahme der Region Luhansk, könnte er zumindest in diesem Fall seinem Traum von seinen großrussischen Expansionsbemühungen ein Stück näher gekommen sein. Er hätte dann einen wichtigen Etappensieg erzielt, bei dem Versuch, weite Teile der Ukraine unter russische Kontrolle zu bringen.

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