t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikKolumne - Lamya Kaddor

Coronavirus-Krise: Die Integrations-Staatsministerin spielt "Hau den Muslim"


Corona-Krise
Die Integrations-Staatsministerin spielt "Hau den Muslim"

  • Lamya Kaddor
MeinungVon Lamya Kaddor

Aktualisiert am 09.04.2020Lesedauer: 5 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Annette Widmann-Mauz, Staatsministerin für Integration, hat Muslime zwei Wochen vor dem Fastenmonat Ramadan ermahnt, das Kontaktverbot einzuhalten.Vergrößern des Bildes
Annette Widmann-Mauz, Staatsministerin für Integration, hat Muslime zwei Wochen vor dem Fastenmonat Ramadan ermahnt, das Kontaktverbot einzuhalten. (Quelle: imago-images-bilder)

Die Corona-Krise schweißt die Gesellschaft zusammen? Leider nein. Nach der Schockstarre des Lockdowns in den ersten Wochen brechen alte Verhaltensmuster auf, beobachtet unsere Kolumnistin Lamya Kaddor.

Manche Dinge ändern sich nie. Die Verhaltensmuster, die ihnen zugrunde liegen, sind zu eingespielt. Trotz elementarer Krisen können einige Menschen diese nicht hinter sich lassen. Zu ihnen gehört die Integrations-Staatsministerin Annette Widmann-Mauz.

Der Lockdown in der Corona-Krise vermittelte für ein paar Wochen das trügerische Gefühl, die Menschheit könnte sich doch noch auf das Wesentliche konzentrieren. Manche meinten, das Coronavirus, dem es völlig egal ist, ob sein Wirt weiß oder schwarz, arm oder reich, christlich oder muslimisch ist, würde die Gesellschaft zusammenschweißen. Sie hofften angesichts der existenziellen Gefahr für alle, das Virus würde Solidarität beschwören: Stärkere helfen Schwächeren. Dass das bloß ein frommer Wunsch ist, war den Realisten klar, nun dürfen die Träumer wieder erwachen. Sie können die Realität zum Beispiel an dem beliebten Spiel "Hau den Muslim" ablesen: Wenn einem nichts mehr einfällt, holt man die Muslime heraus und drischt auf sie ein.

Widmann-Mauz reproduziert islamfeindliche Narrative

Annette Widmann-Mauz, angesiedelt im Kanzleramt, hält es für angebracht, Muslime zwei Wochen vor dem Fastenmonat Ramadan zu ermahnen, das Kontaktverbot einzuhalten. Funfact: Sie weiß gar nicht, was dann sein wird; bereits jetzt laufen Diskussionen über einen schrittweisen Ausstieg aus den Corona-Beschränkungen nach Ostern. "Gesundheit geht vor, da darf es aktuell auch für gemeinsame Gebete vor Ort keine Ausnahmen geben", sagte die CDU-Politikerin der "Welt". Sie werde mit den Verbänden per Videokonferenz daher darüber sprechen, was ab dem Ramadan-Beginn zu beachten sei. Ihre Aussagen zogen prompt Schlagzeilen nach sich wie: "Widmann-Mauz: Kontaktverbote wegen Coronavirus auch im Ramadan einhalten" oder "Widmann-Mauz nimmt Muslime vor Ramadan in die Pflicht".

Die Botschaft, die die Staatsministerin ausgesandt hat, lautet also: Muslime brauchen eine Extra-Ermahnung. Sie sind wegen ihres Muslimseins nicht in der Lage, sich an geltendes Recht zu halten. Sie stellen ihre religiösen Regeln über deutsche Gesetze.

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Bravo. Frau Widmann-Mauz reproduziert damit altbekannte islamfeindliche Narrative und verbreitet Vorurteile. Rassisten, Rechtsradikale und Islamfeinde deuten ihre Worte so: Muslime sind unzivilisiert, radikal und eine Gefahr für Deutschland. Da hilft es nichts, dass sie später auf Twitter klarstellen muss: "Selbstverständlich gilt das für alle Religionen."

Unpassender politischer Aufschrei

Dass ausgerechnet die "Integrations"-Staatsministerin Wasser auf die Mühlen der Spalter gießt, ist nicht nur tragisch, sondern völlig unpassend. Die islamische Welt wirft in der Corona-Krise gerade reihenweise Riten und jahrhundertealte Traditionen über den Haufen. Saudi-Arabien setzt die Pilgerfahrten aus, in Kuwait wird der traditionelle Gebetsruf (Adhan) in "Betet zu Hause" statt "Kommt zum Gebet" abgewandelt, überall in der islamischen Welt werden Freitagsgebete abgesagt, islamische Gelehrte erwägen die Aussetzung des Fastenmonats Ramadan, deutsche Islamverbände wie Ditib legen Corona-Risikogruppen bereits einen Fastenverzicht nahe, deutsche Muslime rufen seit Wochen dazu auf, zu Hause zu bleiben, entwickeln islamische Online-Angebote.

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Auslöser für Widmann-Mauz Mahnungen war der Gebetsruf einer Moschee in Berlin-Neukölln, der vergangenen Freitag rund 300 Menschen zusammenkommen ließ und einen Polizeieinsatz auslöste. Doch wo ist der politische Aufschrei aus dem Kanzleramt und die Ankündigung von Videokonferenzen, um beispielsweise mit Markthändlern zu sprechen? Auf dem Leipziger Wochenmarkt etwa drängten sich ebenfalls vergangenen Freitag Menschen dicht an dicht ohne Mundschutz und Gummihandschuhe, nachdem das Mitte März erlassene Verbot in Sachsen am 1. April abgelaufen war.

Und wo ist der politische Aufschrei aus dem Kanzleramt und die Ankündigung von Videokonferenzen, um mit den Kirchen über die Verhaltensweisen an Ostern zu sprechen? Die Kirche St. Afra im Berliner Stadtteil Mitte feierte am Wochenende ungeachtet der Kontaktsperren eine Messe ohne Mundschutz und Gummihandschuhe, dafür mit einer Mundkommunion, bei der Priester Gerald Goesche knienden Gläubigen die Hostie auf die Zunge legte. Das geschah nicht etwa versehentlich, der "Freundeskreis St. Philipp Neri", zu dem die Gemeinde gehört, klagt gegen "Gottesdienstverbote".

Muslime leiden unter Vorurteilen

"Ach, das sind nur Einzelfälle", dürften manche einwenden, "St. Afra ist keine normale Gemeinde, sondern eine traditionalistische. Sie rechnet sich nicht mal den Strukturen der Katholischen Kirche zu. Das darf man nicht verallgemeinern!" Natürlich darf man das nicht! Aber bei Muslimen, die seit Langem unter Vorurteilen leiden, darf man es? Gleichbehandlung heißt das Zauberwort. Nur durch Gleichbehandlung lassen sich Vorwürfe von Diskriminierung entgehen.

Die Dar as-Salam Moschee, die den Auflauf in Neukölln mit ihrem Gebetsruf bewirkt hat, ist eben so wenig "normal". Sie und ihr Trägerverein "Neuköllner Begegnungsstätte" sind Gegenstand von Kontroversen über Islamismus und Fundamentalismus, in die sich selbst der Berliner Verfassungsschutz eingeschaltet hat. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass der Imam Mohamed Taha Sabri laut Polizei mit den Beamtinnen und Beamten kooperiert hat, um die Menschenansammlung aufzulösen, und statt gegen ein Gottesdienstverbot zu klagen, wurde der Gebetsruf anschließend ausgesetzt. Dennoch konnte der stellvertretende Neuköllner Bezirksbürgermeister und Gesundheitsstadtrat Falko Liecke (CDU) nicht schnell genug handeln. Nur drei Tage später teilte er stolz auf Twitter mit, er habe der Moschee "heute untersagt, den Gebetsruf öffentlich durchzuführen."

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Für Gläubige ist ein Gebetsruf (Adhan) in Deutschland ein emotionales Ereignis. Plötzlich einen Muezzin hierzulande auf der Straße zu hören, stellt eine vollkommen neue Erfahrung dar. In der Regel wird ein lautsprecherverstärkter Adhan nicht praktiziert oder von Kommunen untersagt. Die Reaktionen in Neukölln haben daher nicht unbedingt mit Fundamentalismus zu tun. Wäre ich in Berlin gewesen, wäre ich wohl auch stehen geblieben und hätte mein Handy gezückt.

Der Hass auf "Andere" wird hochgespült

Von daher kann man sich fragen, ob es klug war, ausgerechnet in der Corona-Krise erstmals den Gebetsruf erklingen zu lassen. Schon vor Jahrzehnten gab es in Deutschland dagegen massive Ablehnung. Der Gedanke hinter der Idee ist sicherlich ein wunderbarer: Kirchenglocken und Muezzinruf sollen angesichts von Quarantäne und Isolation zur gleichen Zeit erklingen als Zeichen des Trosts und der Solidarität unter Gläubigen. An verschiedenen Orten in Deutschland und Europa geschieht das, ohne dass es Menschenansammlungen wie in Berlin gibt. Die Initiative dazu geht oft von christlichen Gemeinden aus – wie in Duisburg, wo der Muezzinruf der Ditib-Zentralmoschee so zum ersten Mal seit der Eröffnung vor zwölf Jahren vom Minarett scholl.

Loading...
Loading...
Loading...

Neben den positiven Gefühlen, die die Aktion auslöst, gehört zum Ergebnis leider: Der abgrundtiefe Hass auf "Andere" wird wieder hochgespült. Von "grauenvollem Gejaule" ist die Rede: "„Diese Moslems sollen dahin gehen, wo sie herkommen."

Die AfD und andere Rechtspopulisten greifen diese Stimmung begierig auf. Zu Beginn der Corona-Krise wussten sie nicht so recht, was sie tun sollten. Sie beschäftigten sich lieber mit sich selbst oder eierten herum: Sollten sie nun die Corona-Maßnahmen der verhassten Regierung Merkel verurteilen? Aber die macht doch genau das, was sie immer wollten: die Grenzen zu? Ein Echtes Dilemma. Jetzt können sie sich endlich wieder auf Altbewährtes stützen: ihren Islam-Hass.

Daraus lernen wir: Das Coronavirus ist nicht alles. Wir müssen den Blick langsam wieder weiten. Es gibt Themen, die Corona überdauern werden. Eines davon ist der antimuslimische Rassismus und die Islamfeindlichkeit.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website