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Sachsen Verfassungsschutz "zu dämlich" für Beobachtung von AfD-Abgeordneten


Affäre um Speicherung
Sachsens Verfassungsschutz "zu dämlich" für AfD-Beobachtung

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

02.07.2020Lesedauer: 3 Min.
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Landesamt für Verfassungsschutz in Dresden: Die Behörde mit 200 Mitarbeitern soll rechtswidrig Daten über AfD-Abgeordnete gesammelt haben und muss sie löschen.Vergrößern des Bildes
Landesamt für Verfassungsschutz in Dresden: Die Behörde mit 200 Mitarbeitern soll rechtswidrig Daten über AfD-Abgeordnete gesammelt haben und muss sie löschen. (Quelle: Arno Burgi/zb/dpa-bilder)

Sachsens Verfassungsschutz muss löschen, was er monatelang an Material über AfD-Abgeordnete zusammengetragen hat. Das halten sogar die Linken für nachvollziehbar, weil der Verfassungsschutz sich beim Sammeln offenbar nicht ans Recht gehalten haben soll.

Der sächsische Verfassungsschutz hat nach Darstellung des sächsischen Innenministeriums rechtswidrig Daten über AfD-Abgeordnete gespeichert. Jetzt werden öffentlich verfügbare Informationen gelöscht, die über Monate zusammengetragen wurden – und der alte Verfassungsschutzchef wird ein Fall für den Staatsanwalt. Selbst die Linken halten das Löschen angesichts der Umstände für unvermeidlich.

Der Streit um den Umgang mit Erkenntnissen zu AfD-Abgeordneten hatte die "Sächsische Zeitung" öffentlich gemacht. Der frühere Behördenchef Gordian Meyer-Plath hatte dort einen Eindruck vermittelt, der ein hässliches Klischee bedient: Sachsens Landesregierung bremst den Kampf gegen rechtsextreme Entwicklungen. Die Botschaft: Das Land zwingt den Verfassungsschutz, bei möglicherweise verfassungsfeindlichen Bestrebungen nicht so genau hinzusehen.

Lösch-Anordner ist jetzt der Lösch-Verantwortliche

Der alte Verfassungsschutzchef sollte auf Anweisung von Dirk-Martin Christian, dem damaligen Referatsleiter im Innenministerium, löschen. Doch Meyer-Plath weigerte sich: Er warnte vor einem Ausscheren Sachsens aus dem Verfassungsschutzverbund, prophezeite einen verheerenden politischen Eindruck, wenn Sachsen die Beobachtung extremistischer Strukturen innerhalb der AfD erschwere.

Nun ist der Jurist Christian selbst fürs Löschen zuständig. Das Kabinett hat ihn zum neuen Chef des Verfassungsschutzes gemacht, sein Vorgänger Meyer-Plath wurde versetzt. Christian saß am Donnerstag als neuer Leiter der Behörde bei einem Pressegespräch neben Innenminister Roland Wöller (CDU). Beide skizzierten ein Amt, das ein Eigenleben geführt hat und sich nicht um Richtlinien des Bundesamts für Verfassungsschutz und Weisungen aus dem Ministerium geschert habe. Wegen des Vorgehens von Meyer-Plath hat Wöller nach seinen Angaben die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Das Durchstechen von Verschlusssachen sei ein bemerkenswerter und einmaliger Vorgang.

Grüne: Speichern war "rechtswidrig und ungeheuerlich"

Und es wird absehbar gelöscht, kündigten sie an. Das Vernichten der Daten wird von den Grünen, die in der Kenia-Koalition mitregieren, ebenso verteidigt wie von den oppositionellen Linken. "Rechtswidrig und ungeheuerlich" nannte Grünen Innenexperte Valentin Lippmann am Donnerstag das fortgesetzte Speichern. Das Einschreiten des Ministeriums sei "richtig und notwendig" gewesen.

Die Linken, aus deren Reihen am Morgen noch gekommen war, dass ein "erheblich rechtsblinder Verfassungsschutz-Chef durch einen noch rechtsblinderen ersetzt" wird, schlugen aber auch andere Töne an. Das "Landesamt für 'Verfassungsschutz' sei "zu dämlich, gegenüber dem Innenministerium zu begründen, weshalb es Daten von AfD-Abgeordneten speichern muss", erklärte Kerstin Köditz, Sprecherin der Linksfraktion für antifaschistische Politik.

Das Speichern von Material über Abgeordnete ist durchaus zulässig. In Einzelfallprüfungen müssen dann aber Belege erbracht werden, dass Abgeordnete ihr Handeln klar und aggressiv gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richteten. Das betonte Innenminister Wöller. Er sagte, die Bedrohung durch Rechtsextremismus müsse noch stärker in den Fokus genommern werden, "aber das kann nur auf Grundlage geltenden Rechts geschehen."

Wöller: Gewonnene Prozesse adeln AfD

Im anderen Falle drohe das Ziel, dass sich das Ziel ins Gegenteil verkehre, die Verfassung zu schützen. "Jeder Prozess, den die AfD gewinnt, ist eine Adelung", sagte Wöller. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, der Verfassungsschutz werde politisch instrumentalisiert.

Andere Verfassungsschutzbehörden hätten bei anderen Abgeordneten die Notwendigkeit fürs Sammeln belegen können, die sächsische Behörde nicht. Das ist überraschend und löst auch in anderen Verfassungsschutzbehörden Irritationen aus: Waren die Belege so schwach - oder legte das Ministerium doch die Hürden so hoch an? Wöller bestritt das. Die Fraktions-Vize der mitregierenden SPD, Sabine Friedel, ist sich da noch nicht sicher: Wer Recht habe, lasse sich nur sagen, wenn man mehr über die Daten wisse, teilte sie mit.

Die sächsische AfD gilt als besonders stark durch den völkischen Flügel geprägt, den der Verfassungsschutz im März zur rechtsextremistischen Bestrebung erklärt hat. Der Dresdner Bundestagsabgeordnete Jens Maier schätzte den Anteil des Flügels in der Sachsen-AfD auf 70 Prozent. Maier wird in einem vertraulichen Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz ebenso als Flügel-Anhänger genannt wie der sächsische Landes- und Fraktionschef Jörg Urban.

Ramelow-Urteil nutzt AfD-Abgeordneten

Bei dem Material, das nun gelöscht werden muss, geht es laut Christian nicht etwa um heimlich abgehörte Telefonate oder mitgelesene Post. Geheimdienstliche Mittel, die vom Landtagspräsidenten genehmigt werden müssen, seien nicht eingesetzt worden, so Wöller und Christian. Zusammengetragen wurden Zeitungs- und TV-Berichte und Postings in sozialen Netzwerken. Das freie Mandat ist aber auch vor solchen Sammlungen besonders geschützt, für Sammlung von belastendem Material über Abgeordnete braucht es besondere Rechtfertigung. Die Ironie daran: Das Innenministerium verweist dafür auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow von den Linken erstritten hatte.

Sachsen schere auch nicht aus dem Verbund aus oder wähle nun einen Sonderweg, sagte Wöller. Im Gegenteil habe der sächsische Verfassungsschutz in der Vergangenheit entschieden, eine Handreichung des Bundesverfassungsschutzes zum Umgang mit Abgeordneten nicht umzusetzen.

Verwendete Quellen
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