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Rammstein und das System Till Lindemann: Von nun an stigmatisiert?


Das System Lindemann
Die übliche Heuchelei

  • Gerhad Spörl
MeinungVon Gerhard Spörl

Aktualisiert am 08.06.2023Lesedauer: 3 Min.
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Till Lindemann: Der Rammstein-Sänger äußert sich nicht persönlich zu den schweren Vorwürfen gegen ihn.Vergrößern des Bildes
Till Lindemann: Der Rammstein-Sänger äußert sich nicht persönlich zu den schweren Vorwürfen gegen ihn. (Quelle: Imago)

Die guten Tage für Rammstein sind gezählt. Möglich, dass bald weitere Frauen von verstörenden Erfahrungen berichten. Denn Zeiten ändern sich zum Glück.

Die ersten Groupies hatte Frank Sinatra in den Vierzigerjahren, als ihn bei Auftritten Tausende kreischender weiblicher Fans umschwärmten. Zum festen Begriff wurden sie in den Sechzigerjahren – etwa bei den Rolling Stones oder Led Zeppelin. Sie gehörten zum Inventar wie die Drogen und der Alkohol. Der Exzess ist fester Bestandteil der Popgeschichte.

Es gab emanzipierte Groupies wie Uschi Obermaier oder Anita Pallenberg, die Stars ihrer Zeit sammelten wie Trophäen. Sie kehrten die Verhältnisse um, sie behielten die Kontrolle und ließen die verlassenen Größen leiden. In der "Süddeutschen Zeitung" stand gerade die Geschichte von Rosemarie Heinikel, einer Schwabinger Kommunardin, die von sich sagte, da war sie 24, Musiker wie Frank Zappa würden sie "scharf" machen. Im Hotelbett wollte Zappa wissen, ob sie die Pille nehme. Zu lesen in ihrer Autobiografie.

Das ist das Problem mit Till Lindemann

Natürlich wissen wir nur von Frauen, die sich nahmen, was sie wollten. Von den vielen anderen Frauen mit anderen Erinnerungen an Sex, Drogen und Alkohol wissen wir nichts. Im Normalfall war und ist das Verhältnis zwischen Fan und Idol ein Gefälle, ein Machtgefälle. Die Kontrolle liegt beim Idol, nicht beim Fan. Pink Floyd haben ein passendes Lied geschrieben, es heißt "Summer '68" und handelt vom Abschied nach einer kurzen Nacht mit einer Frau, die der Typ weder kennt noch mag: "Would you like to say something before you leave?"

Das Problem mit Bandleadern wie Till Lindemann besteht darin, dass sie offenbar ein System entwickelt haben, damit ihr sexueller Appetit gestillt wird, vor, während und nach den Auftritten. Inzwischen wissen wir mehr über Lindemanns Bedürfnisse, als wir jemals wissen wollten.

Dass Rammstein sich flugs von "Übergriffigkeiten" distanzierte, gehört zur üblichen Heuchelei, wenn sinistre Gewohnheiten in grelles Licht getaucht werden und Anwälte den Fall übernehmen. Die Veranstalter werden sich jetzt fragen, ob sie Rammstein unter diesen Umständen auftreten lassen. Der Verlag, der Lindemanns Gedichte veröffentlichte, hat sich schon zurückgezogen.

Lindemann mit seiner Vorliebe für vulgäre Lieder ("Zu groß, zu klein / Er könnte etwas größer sein") ist jetzt stigmatisiert. Das System der Zuführung junger Frauen aus der "Row Zero", bestimmt für einen 60-jährigen Sänger, ist widerwärtig. Mehrere Frauen bringen jetzt Vorwürfe gegen Lindemann in die Öffentlichkeit. Die eine ließ sich rekrutieren und fühlte sich dann unbehaglich, wie sie sagt – vielleicht wurde ihr das Missverhältnis, das Machtverhältnis bewusst. Die andere Frau wachte, angeblich von K.-o.-Tropfen außer Gefecht, beim unfreiwilligen Sex mit Lindemann auf, so gab sie zu Protokoll. Das erinnert an ein Lindemann-Gedicht mit diesen Zeilen: "Ich schlafe gerne mit dir / Wenn du schläfst".

Der Sänger streitet die Vorwürfe ab. Auch für ihn gilt die Unschuldsvermutung. Dass es zu einer Gerichtsverhandlung kommen wird, ist eher unwahrscheinlich. Bands wie Privatpersonen in ähnlichen Lagen streben meistens außergerichtliche Vereinbarungen an, bei denen dann größere Beträge fließen.

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Doch die Rammstein-Songs werden jetzt zwangsläufig neu gelesen. Eine Vorliebe für Morbides und Psychopathen spricht daraus. Da gibt es Lieder über den "Kannibalen von Rotenburg" ("Denn du bist / Was du isst") und über Josef Fritzl ("Wiener Blut"), der seine Tochter 24 Jahre lang als Gefangene hielt und ihr sieben Kinder machte. Und das sind nur zwei von unzähligen weiteren Beispielen, in denen der Sänger mal von "Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr" fabuliert oder dann in "Du riechst so gut" das lyrische Ich sagen lässt: "Ein Raubtier, das vor Hunger schreit."

Glücklicherweise sind diese Zeiten vorbei

Vor allem muss Lindemann erklärende Worte für sein Pornovideo mit Brutalo-Sex-Passagen finden. Die "Welt" zitiert einen Freund Lindemanns, der dieses so rechtfertigt: "Till ist ein Ausnahmekünstler, der die vermeintlichen Grenzen aller Extreme selbst überschreitet. Er lebt als Kunstwerk." Echt jetzt? Die Zeiten, als Rockstars sich nach Gutsherrenart austoben durften, sind glücklicherweise vorbei.

In Zeiten wie unseren gibt es keinerlei Verständnis für die Lindemanns dieser Erde mehr. Gut so. Doch es kommt jetzt auch auf die Fans an. In München kamen sie wie immer in Massen, unbeeindruckt von den Vorwürfen. Die Frage ist, ob es dabei bleibt, wenn noch mehr über Lindemanns abstoßendes Leben nach den Konzerten herauskommt.

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