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Brandenburg: Kirche wird bei eBay versteigert


Buntes
Drei, zwei, eins - Kirche meins!

Von Theresa Münch, dpa

Aktualisiert am 18.03.2013Lesedauer: 4 Min.
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Die Kirche St. Bernhard in Brandenburg soll versteigert werden. (Quelle: dpa-bilder)

Zum Gottesdienst in der alten St. Bernhard-Kirche läutet nicht einmal mehr eine Glocke. Trotzdem kommt kein Gläubiger zu spät. Schon eine Viertelstunde vorher sitzen zehn ältere Damen und Herren auf den harten hölzernen Kirchenbänken - so verstreut, dass man meinen könnte, sie hätten Stammplätze. Die meisten der 18 Reihen bleiben leer. Mehr Leute kommen nicht, obwohl dies der einzige Gottesdienst der Woche ist. St. Bernhard stirbt aus.

Kirche im Internet für 120.000 Euro feilgeboten

Das Erzbistum Berlin will das kleine Gotteshaus in Brandenburg an der Havel deshalb loswerden - und bietet es im Internet an. Der "Berliner Kurier" hat die Anzeige im Kleinanzeigenportal des Online-Auktionshauses eBay kürzlich entdeckt: "Kirche im beliebten Wohngebiet" ist sie leicht geschönt überschrieben. Preis: 120.000 Euro. Ein geweihter Ort feilgeboten im Netz - und nicht der Einzige. Auf der Internetseite des Bistums steht auch die schmucke Kapelle "Maria Goretti" in Loitz in Mecklenburg-Vorpommern zum Verkauf.

Also "Drei, Zwei, Eins - Kirche meins"? Ganz so einfach sei es nicht, sagt Bistumssprecher Stefan Förner. "Sie können die Kirche nicht einfach bestellen wie Schuhe bei Zalando." Auch anonym versteigert werde nichts. Das Bistum will den neuen Nutzer kennenlernen und erfahren, was er mit dem Gotteshaus vorhat. Doch Kaufinteressenten sind rar. "Die stehen nicht gerade Schlange", berichtet Förner. Die hohen Räume sind schwer zu heizen, die Fenster nicht genormt - eine denkmalgeschützte Kirche ist eben kein Verkaufsschlager.

Doch die katholische Kirche hat kaum eine andere Wahl. In ganz Deutschland schrumpft die Zahl ihrer Mitglieder: Es gibt weniger Gläubige, weniger Priester, weniger Geld. Besuchte in den 50er Jahren noch jeder zweite Katholik regelmäßig Gottesdienste, sind es heute nach Zahlen der Deutschen Bischofskonferenz gerade noch 12,3 Prozent. Und eine wenig genutzte Kirche zu erhalten ist teuer, selbst wenn nur einmal in der Woche zum Gottesdienst geheizt wird.

Alte Menschen fürchten um ihren Lebensinhalt

Im zu DDR-Zeiten atheistisch geprägten Osten Deutschlands ist die Situation noch kritischer. Nur neun von hundert Berlinern sind katholisch, in Brandenburg sind es noch weniger. Im Jahr 2011 zählte die Bischofskonferenz im Erzbistum Berlin, zu dem auch Brandenburg und Vorpommern gehören, 44.043 Gottesdienstbesucher. Bei vielen herrscht Resignation. Wer an Gott glaubt, tut dies laut einer Milieu-Studie des Sinus-Instituts inzwischen individueller und braucht keine Kirche.

In den vergangenen zwölf Jahren hat das Berliner Erzbistum etwa zwei Dutzend Gotteshäuser verkauft. Jetzt steht St. Bernhard online. In der alten Stahlarbeitersiedlung in Brandenburg weckt das Entsetzen. "Die Kirche ist doch unser Lebensinhalt", sagt eine 81-Jährige. Zwar gibt es Gottesdienste in St. Bernhard nur noch donnerstags. "Aber jetzt ist eben der Donnerstag unser Sonntag." Bei diesen Worten wird ihre Stimme ganz fest und ernst: "Wenn sie die Kirche zumachen, das wäre schlimm."

Die Hälfte der Gläubigen ist an diesem grauen Wintertag trotz Kälte mit dem Fahrrad zum Gottesdienst gekommen. Für sie wäre der Weg in die Stadt zu weit. Und erst recht für die ältere Frau mit Krücken. "Wenn St. Bernhard verkauft würde, könnten einige überhaupt nicht mehr in die Kirche gehen", weiß der ehemalige Diakon Werner Kießig.

"Nicht, dass hier eine Disco reinkommt"

Die Übriggebliebenen haben Angst vor der Zukunft ihrer Kirche. "Nicht, dass hier eine Disco reinkommt", sagt die 81 Jahre alte Lektorin. "Dann gehen wir aber sammeln." Doch 120.000 Euro können die alten Leute wohl kaum aufbringen, um das 1934/35 gebaute graue Gotteshaus selbst zu kaufen.

Eine Disco werde es nicht, verspricht Bistumssprecher Förner. Hip-Hop statt Halleluja - wie es der "Spiegel" kürzlich nannte - gehe zu weit. Dann erzählt Förner von einem Kirchenkritiker in Polen, der ein Gotteshaus über Mittelsmänner gekauft und zum Bordell gemacht habe. "Vom Tempel zum Sündentempel" - auch so etwas wolle das Erzbistum nicht zulassen.

Aber als Galerie, Konzert- oder Wohnraum kann sich das Bistum seine Kirchen vorstellen. Eine früher zur Kirche umgebaute Scheune in Brandenburg sei inzwischen Teil eines Gasthauses. "Das geht, weil das Gebäude nie als Kirche gebaut wurde."

Kirche gehen die Schäfchen aus

Doch letztlich haben die Bistümer nur begrenzten Einfluss auf die Nutzung der entweihten Gotteshäuser. Ein Beispiel ist eine Kapelle im brandenburgischen Wiesenburg. Die Künstlerin Elvy Lütgen kaufte der Kirche das graue Gebäude 1999 ab und richtete eine Galerie ein. Mit viel Liebe sanierte sie das Haus, strich die Doppeltür mit dem Rundbogen strahlend blau. Die Weihwasserbecken und ein rotes Glaskreuz blieben erhalten. Dazu legte Lütgen eine Terrasse an, pflanzte englischen Rasen. "Ich habe mich geborgen gefühlt", erzählt sie. Anfang des Jahres zog es sie trotzdem zurück nach Berlin. Die Kapelle wurde verkauft - was die neue Besitzerin damit vorhat, musste sie der Kirche nicht verraten.

Auch weiter im Westen gehen der katholischen Kirche langsam die Schäfchen aus - besonders im Ruhrgebiet und in Norddeutschland. Viele der vor allem pragmatisch und günstig gebauten Kirchen sind überflüssig.

So hat das Bistum Essen allein 96 Gotteshäuser ausgemacht, die langfristig nicht mehr gebraucht werden. Bei eBay sei aber noch keine Kirche eingestellt worden, sagt Bistumssprecher Ulrich Lota. Die Verkaufsverträge enthielten die Klausel, dass der Bau auch nach der Entweihung etwas Besonderes sein müsse.

Dusche in der Sakristei

Anderswo wird pragmatischer gedacht. Da werden Kirchen nicht nur zu Cafés oder "Musentempeln" eines Künstlers. In einem Gotteshaus in Mönchengladbach steht nun eine Kletterwand. An beigen Wänden hängen bunte Klettergriffe, Überhänge wurden eingebaut. Die 13 Meter hohen Wände seien ideal, sagen die Sportler in der "Kletterkirche". Neben der Boulder-Wand strahlt die Sonne noch durch eines der runden Kirchenfenster mit buntem Mosaik. Geduscht wird in der Sakristei.

Als Kletterhalle wird sich die kleine St. Bernhard-Kirche in Brandenburg wohl allein wegen fehlender Höhe kaum eignen. Bei den Gläubigen käme eine solche Nutzung auch alles andere als gut an.

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