Der große Kirchenrebell Wie Hans Küng seinen Tod nahen sieht
Es ist ein leiser Abschied eines lauten Unruhestifters. Hans Küng verabschiedet sich mit einem Buch von der Öffentlichkeit. Hände und Augen versagen ihm den Dienst. Begehrt er noch ein letztes Mal gegen die Amtskirche auf?
Am Schluss wird Hans Küng auf einmal sehr persönlich. Er schreibt, wie seine Lebensenergie schwindet und wie er den Tod kommen sieht. Dass er - einer der einflussreichsten katholischen Theologen und Kirchenkritiker - bald nicht mehr in der Lage sein wird, zu schreiben und zu lesen.
Der dritte Band seiner Memoiren, der an diesem Dienstag erscheint, soll sein letztes Buch werden - der 85-Jährige nimmt wohl endgültig Abschied von der Öffentlichkeit. Und er deutet an, dass die Inszenierung seines Todes noch ein letzter Protest gegen die Amtskirche sein könnte.
Bis heute kennt man den Tübinger Theologen als starken, unbeugsamen Rebellen. Unermüdlich hat er gegen die römische Kurie und gegen die Päpste rebelliert, die die Kirche seiner Meinung nach in den vergangenen Jahrzehnten zu einer "geistlichen Diktatur" umgebaut haben. So ist er zum theologischen Bestsellerautor und zu einem der wichtigsten Vordenker für reformorientierte Katholiken geworden.
Wie es dazu kam, steht im Mittelpunkt in diesem dritten und letzten Band seiner Autobiografie, die Küng "Erlebte Menschlichkeit" genannt hat. Sie beginnt im Jahr 1980, also kurz nachdem Johannes Paul II. ihm wegen seiner Zweifel an der Unfehlbarkeit des Papstes die Lehrerlaubnis entzogen hatte.
Der Kampf gegen die Amtskirche
Auf 600 Seiten beschreibt Küng seinen Kampf, sich nicht mundtot machen zu lassen. Er erzählt aber auch, wie er schließlich zu seinem zweiten großen Thema, der Versöhnung der Weltreligionen, kam und dafür rund 350 Orte bereiste: "Religion kann man schwerlich nur aus Büchern kennenlernen."
Doch natürlich geht es immer wieder um Rom und die Päpste. Johannes Paul II. (1920 bis 2005) hält er vor, die Kirche wieder zurück in die Vergangenheit geführt zu haben. Noch mehr hat ihn gewurmt, dass 2005 sein einstiger Weggefährte und langjähriger Widersacher Joseph Ratzinger zum Papst gewählt wurde.
Das ist inhaltlich nichts Neues. Doch Küng gewährt immer wieder Einblicke in die Hintergründe solcher Auseinandersetzungen und auch in seine persönliche Gefühlswelt. Etwa als Benedikt XVI. als neuer Papst vorgestellt wurde. "Ich sei aschfahl geworden, hätte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen", sollen seine Mitarbeiter später erzählt haben. Sehr anschaulich beschreibt er auch sein vielbeachtetes Treffen mit Ratzinger wenige Monate später in Castel Gandolfo.
"Am Abend des Lebens"
Doch dann kommen die bemerkenswerten letzten 100 Seiten. Mit der Zeile "Am Abend des Lebens" hat Küng sie überschrieben. Dort beschreibt der 85-Jährige, der nie viel Privates von sich preisgegeben hat, erstmals offen seinen schlechter werdenden Gesundheitszustand. Er, der bis zuletzt alle seine Bücher handschriftlich verfasst hat, könne nur noch mit Mühe lesbare Buchstaben aufs Papier bringen.
Seit gut einem Jahr weiß er, dass er an Parkinson leidet und zudem durch eine Makula-Degeneration schon bald seine Sehkraft verlieren wird. Ein Schock sei das gewesen, gibt er zu. "Ein Gelehrter, der nicht mehr schreiben und lesen kann? Was dann?", fragt er sich selbst.
Küng erinnert an seinen engen Freund, den Philologen Walter Jens, der durch eine Demenz die letzten Jahre in geistiger Umnachtung lebte und in diesem Sommer starb. "Ich will nicht als Schatten meiner selbst weiterexistieren", macht er klar. Dann denkt er darüber nach, notfalls mit Hilfe einer Schweizer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben zu scheiden. "Der Mensch hat ein Recht zu sterben, wenn er keine Hoffnung mehr sieht auf ein nach seinem ureigenen Verständnis humanes Weiterleben." Es wäre ein letzter Affront gegen die Kirche, die diese Form der Sterbehilfe strikt ablehnt.
Sein Grab auf dem Tübinger Stadtfriedhof, unweit der letzten Ruhestätte von Walter Jens, hat Küng schon längst ausgesucht. Er empfinde keine Furcht, sondern glaube fest an ein Leben nach dem Tod.