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Jörg Kachelmann: Tod im Zeltlager – kein Unwetter kommt plötzlich


Kachelmanns Donnerwetter
Tod im Zeltlager: Ahnungslos durch die Nacht

MeinungEine Kolumne von Jörg Kachelmann

Aktualisiert am 16.08.2018Lesedauer: 4 Min.
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Blitz: Kolumnist Jörg Kachelmann erklärt, warum kein Unwetter plötzlich über uns kommt.Vergrößern des Bildes
Blitz: Kolumnist Jörg Kachelmann erklärt, warum kein Unwetter plötzlich über uns kommt. (Quelle: Jan Eifert/imago-images-bilder)

Ein Unwetter kommt alles andere als plötzlich. Eine Erkenntnis, die sich in Deutschland noch nicht richtig durchgesetzt hat. Leider. Weil sie im Ernstfall überlebenswichtig ist.

Es passiert jeden Sommer. Ein Ferienlager. Blitz, Wasser, Sturm, schließlich Tote. Die folgende Berichterstattung ist immer gleich: Es wurde angeblich jemand "überrascht". In vorauseilendem Gehorsam nehmen die hiesigen Medien diese vorfreisprechende Diktion auf, die auch in Deutschland fast durchweg dazu führt, dass nie jemand schuld war, wenn Schutzbefohlene in einem Sommerlager sterben. Immer waren alle überrascht – was vielleicht nicht mal gelogen ist.

Es mag auch Menschen geben, die überrascht sind, was passiert, wenn sie mit 120 Kilometern pro Stunde in eine Wand fahren. Wer hingegen bei Trost ist, müsste allerdings nicht überrascht sein. So ist es auch mit den Sommerlagern: Niemand muss über ein Unwetter überrascht sein, egal wann, egal wo. Es ist immer Fahrlässigkeit der Grund, wenn Menschen in einem Unwetter sterben: immer, überall.

Folgenreiche Satzbausteine

In der Berichterstattung (an der t-online.de keine Schuld trägt) liest man immer wieder die Satzbausteine, die von vornherein suggerieren wollen, dass da leider nix zu machen war. Wie dem traurigen Fall eines 15-Jährigen, der im letzten Jahr in einem Zeltlager im baden-württembergischen Hotzenwald während eines Sturms umgekommen ist:


Darin kommen Sätze vor, mit denen bei jedem Unwettertoten suggeriert werden soll, dass alles "wie immer" unvermeidbar war:

  • "Wo sie der Orkan überrascht habe"
  • "Trotzdem erwischte es den kleinen Ort relativ überraschend"
  • "In der Art gibt es das nicht häufig bei uns."

Man sieht im Geiste den zuständigen Staatsanwalt begeistert die Akte wieder schliessen: War ja nix zu machen. Was natürlich völliger Blödsinn ist. Blicken wir zurück auf den Moment, als das Unwetter auf Rickenbach im Hotzenwald hereinbrach:

Sie können selber von hier aus in Fünf-Minuten-Schritten in die Vergangenheit nachvollziehen, wie das Gewitter mit Ansage auf Rickenbach zugezogen ist (andere Zeiten und Regionen via Menü). Wenn man sämtliche Blitze zwischen 1.30 und 2 Uhr betrachtet, sieht man, welch ungeheures Feuerwerk an Licht und Donner die Menschen am Waldrand erlebt haben, bis das Gewitter da war:

Das Unwetter kam mit einer sehr lauten und deutlichen Ansage. Es war mehr als eine halbe Stunde praktisch ununterbrochen hell. Der Donner hörte nie auf. Die Verantwortlichen hatten mehr als eine halbe Stunde Zeit, sich und die Jugendlichen in Sicherheit zu bringen. Und taten nichts. Hauptgefahr bei Gewitter: Bäume, sei es bei Sturm oder Blitzeinschlag. Regel Nummer Eins: Einfach zuerst weg von Bäumen. Was passierte? Nichts. Lass Dich überraschen mit dem deutschen Roulette, dem auch diesen Sommer wieder Menschen zum Opfer fielen.

Große Verantwortung

In diesem Monat war es ein Ferienlager an der Ardèche in Südfrankreich, das überschwemmt wurde, ein toter Betreuer war die Folge. Hier Zitate aus den Medienberichten, es ist alles wie immer:

  • "Laut Medien war der Valat d'Aiguèze, ein Nebenfluss der Ardèche, plötzlich über die Ufer getreten."
  • "Die Kinder wurden vom Wasser überrascht"

Ja, mag schon sein, dass die Kinder überrascht waren. Damit das nicht passiert, sind Betreuer dabei. Betreuer sollten scharf nachdenken, wenn sie Ferienlager an einem Fluss bauen. Sollte uns das zu denken geben? Leider nein. Es war wahrscheinlich auf der Wetter-App einfach ein Regensymbol zu sehen und im Dschungelcamp passiert in einem solchen Fall ja auch nie was.

Aber wenn man auf Kinder und Jugendliche aufpassen will, sollte man eben als Betreuer irgendwas wie Verantwortung spüren, alle wieder lebend nach Hause zu bringen: im Sommer 2017 im Hotzenwald, wie auch diesen Sommer in der Ardèche. Dies war die Regenmengen-Vorhersage für die Region am Vorabend der Flut, damals wie heute für jeden einseh- und nachvollziehbar.

Stundenlange Regenfälle

Man muss kein Meteorologe sein, um zu sehen, dass grosse Dinge passieren würden. Selbst wenn man sich fahrlässig nicht im Vorfeld informieren will, muss man als Beobachter wissen, dass die Medienberichte immer falsch sind, wenn es heisst, dass ein Fluss "plötzlich über die Ufer" treten würde. Die Lügengeschichte derjenigen, die ihren Job nicht gemacht haben, ist da immer schon inbegriffen. Es hat an der Ardèche stundenlang gegossen wie aus Kübeln. Die Natur ist nicht so gnadenlos, sie zeigt uns dadurch: Bei so viel Wasser von oben ist es eine bescheuerte Idee, an einem Fluss zu sein. Nichts ist plötzlich, nichts ist überraschend, so wenig wie die immer gleichen Satzbausteine in den deutschen Medienberichten: Wenn Deutsche und nicht Ausländer fahrlässig waren.

Die Franzosen nehmen keine falschen Rücksichten. Sie tun, was in Deutschland nach solchen Ereignissen fast nie passiert: Ernsthaft ermitteln und hoffentlich durch einen Prozess und, wenn angemessen, Verurteilungen dafür sorgen, dass in Zukunft alle heil nach Hause kommen. Einfach, weil die Betreuer wissen, dass die Räubergeschichte mit der "Überraschung" nicht mehr sicher funktioniert. Alles immer nur in Gottes Hände zu legen, ist manchmal zu wenig.

Jörg Kachelmann ist Meteorologe und Unternehmer. Er arbeitet seit vielen Jahren als Wetterexperte für das Fernsehen. Zudem hat er seine eigenen Wetterdienste gegründet. Seit 2015 ist er Chef der Wetterplattform kachelmannwetter.com.

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