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Staufen-Prozess: "Ganz Deutschland muss aus dem Horror Lehren ziehen"


Presseschau zum Staufen-Prozess
"Ganz Deutschland muss aus dem Horror Lehren ziehen"

Von dpa
Aktualisiert am 08.08.2018Lesedauer: 5 Min.
Der wegen Kindesmissbrauchs angeklagte Lebensgefährte (M., helle Weste) und die angeklagte Mutter (r) sitzen in einem Saal des Landgerichts.Vergrößern des BildesDer wegen Kindesmissbrauchs angeklagte Lebensgefährte (M., helle Weste) und die angeklagte Mutter (r.) sitzen in einem Saal des Landgerichts. (Quelle: dpa-bilder)
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Der Staufener Missbrauchsfall erschüttert Deutschland – und wirft etliche Fragen auf. Nun ist das Urteil gegen die beiden Haupttäter gefallen. Ein Blick in die Kommentarspalten.

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt zum Staufen-Prozess: "Die Spur führt wieder einmal ins Darknet, den anonymen Teil des Internets, in dem sich Millionen Nutzer bewegen. Vom Waffenverkauf bis zum Mordauftrag sind dort schon viele illegale Geschäfte abgewickelt worden. Auch dem Missbrauch hat sich das schwer zu durchdringende "dunkle Netz" weit geöffnet. Der Junge aus Staufen wurde dort anderen Männern gegen Geld zum Sex vermittelt; die Taten wurden gefilmt und verbreitet.

Der Vergleich mit früheren Fällen (...) führt nicht weiter. Denn das Internet hat die Möglichkeiten vervielfacht, Menschen zum Missbrauch anzubieten wie auf einem Markt. Man muss sich das vorstellen: Die Bewegtbilder aus Staufen kursieren weiter in einschlägigen Netzwerken. Einem Kind wurde nicht nur unendliches Leid zugefügt. Es hat nicht einmal die vollständige Kontrolle über sein künftiges Leben."

Die "Badische Zeitung" aus Freiburg kommentiert das Urteil so:
"Der Staufener Missbrauch ist allenfalls in seiner Dimension eine Ausnahmeerscheinung. Das gilt selbst für die Rolle von Müttern, die weit häufiger Missbrauch ihrer Kinder dulden, ja an ihm teilhaben, als gemeinhin geglaubt wird: Familie als Schutzraum - eine beileibe nicht überall gelebte Realität. Diese Vorstellung war im Staufener Fall aber offenbar für die beteiligten Ämter oder Gerichte so weltfremd, dass sie sich haben täuschen lassen. Statt genauer hinzuschauen, nachzuhaken, sich stärker ums Kindeswohl zu sorgen, haben sie auf Normalbetrieb geschaltet. Behördenversagen - davon sprechen gerne die, die es auch erst hinterher besser wissen. Aber jetzt wissen es ja alle besser."

In den "Stuttgarter Nachrichten" ist zu lesen: "Abgesehen vom 39-jährigen Hauptangeklagten, dessen Aufklärungshilfe das Gericht hervorhob, gestanden alle Täter nur das, was schon belegt war. Besonders zugeknöpft war die Mutter, die wenig zur Aufklärung beitrug und überhaupt kaum Mitgefühl zeigte.

Ausgerechnet die Mutter! Dieser Gedanke ist so naheliegend wie falsch. An den Fällen von schwerer Gewalt gegen Kinder in Deutschland haben Täterinnen fast einen ebenso großen Anteil wie Täter. Bei sexualisierter Gewalt ist der passiv duldende Anteil der Mütter ein bekanntes Phänomen, der aktive Part sexueller Übergriffigkeit durch Frauen, insbesondere auch durch Mütter auf ihre Kinder, wird Fachleuten zufolge aber unterschätzt."

Die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" schreibt: "Ganz Deutschland muss aus dem Horror von Staufen Lehren ziehen. Lehrsatz Nummer eins: Auch die Mutter kann die Täterin sein. Im Denken der Jugendämter und Familiengerichte, man muss den Mitarbeitern da keinen Vorwurf machen, kommt diese Variante kaum vor. Die praktische Erfahrung geht ja meist in eine ganz andere Richtung. Was aber, wenn doch die Horrorvariante stimmt? Staufen erzwingt ein neues Denken. Lehrsatz zwei lautet: Der schreckliche Missbrauch hätte durch etwas mehr Misstrauen verhindert werden können. Aus Sorge ums Kindeswohl hatte das Jugendamt den Jungen bereits aus der Familie nehmen wollen. Doch das Jugendamt wurde von ebenso wohlmeinenden wie ahnungslosen Familienrichtern gestoppt."

Die "Schwäbische Zeitung" in Ravensburg kommentiert so den Prozess: "Das Urteil gegen die Hauptangeklagten ist gefallen, aber der Staufener Missbrauchsfall ist keineswegs abgeschlossen. Der Junge wird sein Leben lang mit den Folgen dessen kämpfen, was Mutter und Stiefvater ihm angetan haben. Der jahrelange Missbrauch durch mehrere Männer und die Eltern erschüttert, das Ausmaß mag singulär sein. Doch Studien und Umfragen in ganz Europa zeigen seit Jahren dasselbe Bild. Missbrauch und Gewalt in Familien sind zu weit verbreitet. Fast jeder und jede Zehnte berichtet von sexuellem Missbrauch in der Kindheit. Die meisten Täter begehen ihre Verbrechen dort, wo die Kinder sich am sichersten fühlen sollten: in der Familie. Um möglichst viele Fälle aufzudecken und am besten zu vermeiden, müssen die beteiligten Behörden aus Fehlern lernen. Die interne Aufarbeitung der Fehler muss öffentlich gemacht werden. Und es müssen die richtigen Konsequenzen folgen. Das gebietet der Respekt vor allen Opfern."

"Der Tagesspiegel" aus Berlin meint: "Als hätten Mütter weder Aggression noch Triebstärke scheint es oft noch undenkbar, Frauen, die die Kinder geboren haben, als Täterinnen in Betracht zu ziehen. Diese Vorstellung kollidiert mit dem Mythos Mütterlichkeit. Noch im jetzt ergangenen Urteil, das gegen den Mittäter härter ausfällt als gegen die Mutter, könnte ein solcher Wunschrest mitschwingen.

Katastrophal ist die Tatsache, dass sich die Justizminister der Länder, zuletzt erneut Anfang 2018, gegen verpflichtende Fortbildungen für Familienrichter aussprechen. Vielmehr sollten sie "neutral" urteilen können unvorbelastet durch fachliche Kenntnisse und Erkenntnisse. In diesem Vakuum der Ignoranz verhallten bisher sogar die Argumente der bundesweit besten Fachleute. "Staufen" ist für die Gesellschaft der Extremfall, der akute Defizite in unerträglicher Schärfe ins Licht hebt. Wie unter einem Brennglas können Politik und Behörden an diesem Fall die Mängelliste im Kinderschutz ablesen - und tätig werden."

In der "Leipziger Volkszeitung" heißt es: "Staufen hinterlässt Lehrsätze, die nicht nur unbequem sind, sondern grausig, wie mit Säure geschrieben. Lehrsatz Nummer eins: Auch die Mutter kann die Täterin sein. Im Denken der Jugendämter und Familiengerichte, man muss den Mitarbeitern da keinen Vorwurf machen, kommt diese Variante kaum vor. Die praktische Erfahrung geht ja meist in eine ganz andere Richtung. Was aber, wenn doch die Horrorvariante stimmt?

Staufen erzwingt ein neues Denken. Lehrsatz zwei lautet: Der schreckliche Missbrauch hätte durch etwas mehr Misstrauen verhindert werden können. Aus Sorge ums Kindeswohl hatte das Jugendamt den Jungen bereits aus der Familie nehmen wollen. Doch das Jugendamt wurde von ebenso wohlmeinenden wie ahnungslosen Familienrichtern gestoppt."

Die Ulmer "Südwest Presse" schreibt: "Die gesellschaftlichen Fragen aber kann das Gericht nicht lösen. Denn von einer echten Kultur des Hinsehens sind wir weit entfernt. Lieber schaut man beiseite - oder ängstigt sich vor Popanzen, die es so kaum gibt: Kinderschänder, das sind für viele immer noch fremde böse Männer, die in dunklen Autos um Schulen kreisen. Die Wahrheit ist viel unbequemer, sie tut weh: Die Täter sind nicht fremd. Die Gefahr, das zeigt die Statistik, lauert fast immer im engen Umfeld, meist der eigenen Familie."

Jan Hollitzer, Stellvertretender Chefredakteur von t-online.de, schreibt im "Tagesanbruch": "Die Diskussion um Behörden- und Amtsversagen ist in diesem Zusammenhang wichti aber leidlich. Mich interessiert viel mehr, wie man diesen, verzeihen Sie, Monstern zuvorkommen kann.

Der Chef der Freiburger Kriminalpolizei, Peter Egetemaier, sagte gestern im "ARD-Morgenmagazin", er wolle mit animierten Kinderpornos im Internet Jagd auf Täter machen.

Mich erschüttert, dass man Ermittlern keine effektiven Werkzeuge an die Hand gibt, um Straftaten zu vermeiden und nicht erst qualvoll erschütternde Beweise sichten muss, um Kriminelle zu bestrafen."

Verwendete Quellen
  • dpa
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