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Letzte Hexe Europas: Ein Gerücht wurde ihr zum Verhängnis


"Letzte Hexe"
Wie ein Gerücht Anna Göldi das Leben kostete


15.06.2025 - 14:40 UhrLesedauer: 4 Min.
Drei Frauen auf dem Scheiterhaufen, historischer Stich von 1883: In den deutschsprachigen Gebieten begann der Höhepunkt der Hexenverfolgung im 16. Jahrhundert und dauerte bis ins 17. Jahrhundert an.Vergrößern des Bildes
Drei Frauen auf dem Scheiterhaufen, historischer Stich von 1883: In den deutschsprachigen Gebieten begann der Höhepunkt der Hexenverfolgung im 16. Jahrhundert und dauerte bis ins 17. Jahrhundert an. (Quelle: H.Tschanz-Hofmann/imago-images-bilder)
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Im Jahr 1782 kursiert im Schweizer Kanton Glarus ein böses Gerücht: Eine Magd soll eine Affäre mit einem angesehenen Bürger haben. Doch was als Skandal beginnt, wird bald zur tödlichen Anklage. Ein Fall von Liebe, Macht und tödlicher Willkür.

Die Hexenverfolgungen forderten schätzungsweise 70.000 Todesopfer – betroffen waren vor allem Frauen, die der Magie bezichtigt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Sie waren nicht die Täterinnen, sondern Opfer eines fanatischen Justizsystems. Und diese Justiz wütete bis ins späte 18. Jahrhundert – mit tödlichem Ausgang.

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Am 13. Juni 1782 wurde im Schweizer Kanton Glarus die letzte Frau in Europa offiziell als Hexe hingerichtet: Anna Göldi. Ihr wurde der Kopf abgeschlagen – durch das Schwert des Henkers.

Der Familie ein Dorn im Auge

Göldi war eine Magd aus ärmlichen Verhältnissen. Sie arbeitete im Haus von Jakob Tschudi. Er war ein angesehener Glarner Arzt, Ratsherr, Richter und Regierungsrat. Als ein Gerücht über eine heimliche Affäre zwischen Göldi und Tschudi die Runde machte, nahm die verhängnisvolle Geschichte ihren Lauf: Die gesellschaftlichen und moralischen Konventionen jener Zeit duldeten solche Verbindungen nicht – schon gar nicht zwischen Arm und Reich.

Kurz darauf wurde Göldi beschuldigt, der Tochter Tschudis mit Magie geschadet zu haben: Sie soll mehrmals Stecknadeln in die Milch des Mädchens gezaubert haben. Außerdem soll die Tochter des einflussreichsten Protestanten nach Aussagen von Angehörigen der Familie Tschudi mehrfach Nägel gespuckt haben. So lauteten die fantastischen Vorwürfe. Aus einer privaten Affäre wurde ein öffentlicher Skandal, aus der Magd eine angebliche Teufelsdienerin.

Öffentliche Fahndung nach Anna Göldi

Die Behörden fahndeten nach Göldi, in den Schweizer Zeitungen wurde ein Steckbrief veröffentlicht. Sinngemäß lässt sich der Text heute so zusammenfassen: Der evangelische Stand Glarus setzt eine Belohnung von 100 Kronentalern aus, für die Person, die Anna Göldi auffindet und der Justiz übergibt.

Gleichzeitig werden alle Behörden und Beamten freundlich, aber ausdrücklich aufgefordert, bei der Festnahme dieser Person jede mögliche Unterstützung zu leisten. Der Grund: Anna Göldi wird einer äußerst schweren Tat beschuldigt. Sie soll durch geheime und kaum begreifliche Mittel, insbesondere durch das Verabreichen einer großen Anzahl Stecknadeln und anderer Gegenstände, ein achtjähriges Kind schwer geschädigt haben.

Beschreibung von Anna Göldi

Göldi wird in dem Steckbrief folgendermaßen beschrieben: Sie habe eine kräftige und große Körperstatur. Ihr Gesicht sei ebenmäßig geformt und weise eine auffallend rötliche Gesichtsfarbe auf. Ihre Haare und Augenbrauen seien schwarz. Ihre Augen seien grau, erschienen jedoch ungesund und seien häufig gerötet. Ihr Gesichtsausdruck sei niedergeschlagen. In ihrer Sprache sei ein deutlicher Dialekt aus Sennwald zu erkennen.

Ein Geständnis unter Folter

Schließlich fanden die Schergen die gesuchte Göldi. Unter Folter gestand sie, mit dämonischen Kräften zusammenzuarbeiten. Ihr Bekannter und Schwager der Familie Tschudi, Ruedi Steinmüller, wurde ebenfalls beschuldigt. Er war vermögend und vermutlich in einen Erbschaftsstreit mit der Familie geraten. Am 11. Mai 1782 beging er in Haft Suizid. Dies wurde als Schuldeingeständnis gewertet, sein Besitz konfisziert.

Der Prozess gegen Göldi wurde streng geheim geführt, das Urteil am 6. Juni 1782 gefällt. Am 13. Juni folgte die Hinrichtung.

Einer der letzten dokumentierten Hexenprozesse Europas

Im Urteil wurde der Begriff Hexerei bewusst vermieden – Göldi wurde stattdessen als Giftmörderin verurteilt. Dennoch gilt ihr Fall als einer der letzten dokumentierten Hexenprozesse Europas. Die Anklage hatte kein rechtmäßiges Fundament, denn Göldi war keine Bürgerin Glarus', sondern Auswärtige. Dennoch entschied der Evangelische Rat über Leben und Tod.

Die Öffentlichkeit blieb nicht stumm: Trotz Zensur berichteten Journalisten über den Fall. 2007 gelang es dem Historiker Walter Hauser, anhand von Tagebüchern des Journalisten Heinrich Ludwig Lehmann nachzuweisen, dass der Gerichtsschreiber Johann Melchior Kubli geheime Prozessakten an die Öffentlichkeit brachte – ein lebensgefährlicher Schritt. Kubli hatte sich bereits während des Verfahrens für Göldi eingesetzt. Wäre seine Rolle bekannt geworden, hätte auch ihm die Todesstrafe gedroht.

Letzter Hexenprozess 1943

Der Fall Anna Göldi ist nicht der letzte, bei dem Elemente eines Hexenverfahrens eine Rolle spielten. 1811 wurde Barbara Zdunk hingerichtet – offiziell wegen Brandstiftung. In Preußen galt Hexerei zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr als Straftatbestand.

Der letzte bekannte Hexenprozess fand aber erst vor 82 Jahren statt – 1943 in Schottland, gegen die Spiritistin Helen Duncan, nach dem britischen "Witchcraft Act" (Hexereigesetz). Im September 1943 wurde sie zu neun Monaten Haft verurteilt.

Sie hatte behauptet, bei Séancen Geister heraufbeschworen zu haben. Ein Auslöser für das Einschreiten der Behörden war ein angeblicher Kontakt mit dem Geist eines Matrosen der HMS Barham – eines Kriegsschiffes, dessen Versenkung damals geheim gehalten wurde.

Duncans Anhänger behaupten, dass ihr Prozess auf Druck abergläubischer Militärkreise erfolgte, die fürchteten, sie könnte Details über die geplante D-Day-Landung verraten. Sie wurde während einer Séance festgenommen, nachdem sie beim Vortäuschen einer Geistererscheinung ertappt worden war. Die Anklage umfasste: Verschwörung zur Umgehung des Hexengesetzes, Geldbeschaffung durch Vortäuschung falscher Tatsachen und Erregung öffentlichen Ärgernisses. Helen Duncan gilt als die letzte Person, die auf Grundlage des "Witchcraft Acts" verurteilt wurde.

Verwendete Quellen

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