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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bergsteiger zum Fall Dahlmeier "Ihr Überleben ist kein realistisches Szenario mehr"

Olympiasiegerin Laura Dahlmeier wird beim Aufstieg von einem Steinschlag getroffen. Bergsteiger Hans Kammerlander schätzte im Interview ihre Überlebenschancen ein.
Der Laila Peak im pakistanischen Karakorum-Gebirge zählt mit seinen 6.069 Metern Höhe und seinem markanten, steil zulaufenden Gipfel zu den eindrucksvollsten Bergen Asiens. Besonders bei ambitionierten Alpinisten gilt er als anspruchsvolles Ziel. Die frühere Biathletin und Olympiasiegerin Laura Dahlmeier versuchte sich an einer Besteigung. Doch das Unternehmen nahm ein abruptes Ende: Während des Aufstiegs wurde sie von einem Steinschlag getroffen.
Das Drama um eine verunglückte Alpinistin am Leila Peak in Pakistan berührt Menschen weit über die Bergsteigerwelt hinaus. In einem Interview mit t-online spricht der renommierte Bergsteiger Hans Kammerlander, der selbst viele Höhen und Abstürze erlebt hat, über tödliche Risiken und bittere Verluste.
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t-online: Der Laila Peak im Karakorum-Gebirge gilt als gefährlich. Was macht diesen Berg aus?
Hans Kammerlander: Es ist ein wunderschöner, fast matterhornähnlicher Berg. Kühn, einladend, aber auch fordernd. Ich weiß nicht, auf welcher Route Laura unterwegs war, aber Steinschlag kann überall passieren, besonders auf hochalpinen Fels-Eis-Kombinationen. Solche Berge bringen Risiken mit sich – das gehört dazu.
Der Rettungseinsatz erweist sich als sehr schwierig.
Sehr. In Pakistan ist man in solchen Situationen auf sich allein gestellt. Rettungsdienste wie bei uns gibt es nicht, und das Wetter entscheidet alles. Wenn es schlecht ist, kommt kein Helikopter hoch. Wer da verunglückt, ist in einer extremen Abgeschiedenheit – eine Nacht verletzt zu überstehen, ist fast unmöglich. Wer dort oben verletzt ist, hat kaum eine Überlebenschance. Die Nächte – viel zu kalt. Das ist bitter, aber das ist die Realität.

Zur Person
Hans Kammerlander (geboren am 6. Dezember 1956 in Ahornach, Südtirol) zählt zu den renommiertesten Extrembergsteigern Italiens. Als Profi-Alpinist und Buchautor hat er weltweit bedeutende Spuren hinterlassen. Sein Name steht für anspruchsvolle Expeditionen in verschiedenste Gebirgszüge der Erde. In den Alpen gelangen ihm zahlreiche Erst- und Alleingänge, doch auch in Asien und Südamerika bestieg Kammerlander zahlreiche Gipfel – darunter zwölf der vierzehn Achttausender. Ein Meilenstein seiner Karriere war die erste Doppelüberschreitung zweier Achttausender in direkter Folge: Gemeinsam mit Reinhold Messner überquerte er zunächst den Gasherbrum II und anschließend den benachbarten Hidden Peak.
Sie kennen die Gegend?
Ja, ich war nicht selbst am Leila Peak, aber ich kenne Pakistan gut. Es sind die schönsten Berge der Welt – die "Matterhörner" der Kontinente. Diese Berge sind wild, unberührt, keine Massen wie am Everest. Aber genau das macht sie auch besonders.
Wird es dadurch gefährlicher?
Nicht unbedingt. In Europa gibt es mehr Infrastruktur, Fixseile, Absicherungen. Aber gefährlich ist jeder Berg, wenn man ihn unterschätzt. Das Restrisiko bleibt. Und wenn jemand wie Laura abstürzt – das ist hart. Das trifft einen. Als ich die Nachricht hörte, war ich sehr traurig. Auch weil ich weiß, wie schnell es gehen kann. Ich habe selbst viele Freunde verloren, darunter sehr enge. Und manchmal direkt neben mir.
Was ist passiert?
Ich war am Manaslu, einem Achttausender in Nepal. Kurz vor dem Gipfel mussten wir abbrechen – Wetterumschwung. Innerhalb von vier Stunden starben zwei meiner Partner.
Einer stürzte ab, wohl wegen eines gelösten Steigeisens. Der andere, mein bester Freund, wurde vom Blitz getroffen – nur wenige Meter von mir entfernt. Mein bester Freund – tot in einer Sekunde. Ich bekam selbst Verbrennungen. Solche Erfahrungen prägen. Man lernt, mit dem Risiko zu leben.
Wie geht man mit solchen Momenten um?
Es gibt keine Regeln. Jeder muss seinen Weg finden. Man kann nicht alles kontrollieren – das ist das Wesen eines Abenteuers. Ohne Risiko ist es kein echtes Abenteuer. Der Berg stellt Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Ich habe erlebt, wie man nur durch das Weitermachen wieder ins Leben zurückfindet.
Sie haben also nie aufgegeben?
Ich wollte. Nach dem Blitzschlag war für mich Schluss. Doch dann kam mein Patenkind, ein zehnjähriger Junge, dem ich versprochen hatte, ihn auf einen Hausberg in den Dolomiten zu begleiten. Er erinnerte mich daran. Und ich ging mit ihm. Eine einfache Tour. Aber abends am Gipfel spürte ich: Das tut gut. Das heilt. Das ist der Weg zurück. Dies war mein Wendepunkt. Man muss weitergehen. Je länger man wartet, desto schwerer wird es.
Wie schätzen Sie die aktuelle Situation am Laila Peak? Hat Laura Dahlmeier noch Chancen, zu überleben?
Ohne Helikopter gibt es kaum Chancen. Eine Bodenrettungsaktion ist aussichtslos – zu Fuß dauert es schlicht zu lange. Der Weg würde Tage kosten. Bei Verletzungen sehe ich keine Überlebenschance mehr. Ihr Überleben ist leider kein realistisches Szenario mehr.
Wie groß ist das Risiko für die Rettungskräfte selbst?
Sehr groß. Die Piloten starten oft in Situationen, in denen sie sonst nicht fliegen würden. Aber wenn oben jemand liegt, verletzt, vielleicht noch lebend – dann zögern sie nicht lange. Trotzdem: Bei Wind, Wolken, schlechter Sicht ist kein Flug möglich. Da geht es um Leben und Tod – für beide Seiten.
Gibt es Unterschiede zwischen Sommer- und Wintertouren?
Jetzt ist eigentlich die beste Zeit. Im Winter sind diese Berge brutal. Stürme, extreme Kälte. Jetzt war alles gut gewählt, gut vorbereitet, und trotzdem – das Restrisiko bleibt. Und selbst die besten Alpinisten hat es schon getroffen.
Wie erklären Sie die Faszination von Bergen?
Wer nie dort war, kann das schwer verstehen. Aber: Jeder Mensch sucht sich sein Risiko. Ich finde: besser ein erfülltes, intensives Leben als eines in Angst. Sollte das Schlimmste eintreffen, dann gilt immer noch: Laura war eine großartige Leistungssportlerin, mutig, stark – sie hat gelebt. Das ist mehr, als viele von sich sagen können.
Vielen Dank für dieses offene, sehr persönliche Gespräch.
Danke auch. Und vielleicht gibt es doch noch ein Wunder. Auch wenn meine Erfahrung dagegen spricht – Wunder gibt es. Manchmal.
- Interview mit Hans Kammerlander