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Ukraine-Krieg: "Winter kam unerwartet hart" – so ist die humanitäre Lage


Lage in der Ukraine
"Der Winter kam unerwartet hart"


29.12.2023Lesedauer: 5 Min.
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Spuren des Krieges im Eis: Zerstörte gepanzerte Fahrzeuge sind am Ufer des gefrorenen Flusses Siwerskyj Donez zurückgeblieben. (Quelle: Evgeniy Maloletka/ap)

Der zweite Kriegswinter in der Ukraine trifft die Menschen hart. Russland hat es erneut auf die kritische Infrastruktur abgesehen – und macht auch vor Hilfsorganisationen nicht Halt.

Die kalte Jahreszeit hat die Ukraine wieder fest im Griff. Auch im zweiten Kriegswinter werden wieder massive Angriffe Russlands auf die kritische Infrastruktur in der Ukraine erwartet. Russland horte bereits verschiedene Raketentypen für seine Attacken, warnte Mitte Dezember der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, Jurij Ihnat.

Allein die Hauptstadt Kiew wurde im Dezember schon mehr als ein Dutzend Mal Ziel von Luftangriffen. Am Freitag hat es einen der bisher massivsten Angriffe mit Drohnen und Raketen seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar 2022 gegeben: "Derart viele rote feindliche Ziele haben wir seit Langem nicht mehr auf unseren Monitoren gehabt", sagte Ihnat im ukrainischen Nachrichtenfernsehen. Es hat Tote und Verletzte gegeben, dazu trafen Geschosse Infrastruktur und Zivilgebäude.

Der größte Leidtragende ist die Zivilbevölkerung – und das im ganzen Land. Gelingt es Russland wie im vergangenen Winter, die kritische Infrastruktur in hohem Maße zu beschädigen, fehlt es den Menschen an überlebenswichtigen Dingen: Strom, Gas und Wasser können knapp werden. Unter den harschen Bedingungen des ukrainischen Winters sind außerdem insbesondere Wärmequellen essenziell.

Mehr denn je sind deshalb aktuell neben Waffenlieferungen auch humanitäre Hilfen gefragt. Christof Johnen, Leiter der internationalen Zusammenarbeit beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) bestätigt das t-online: "Der Winter verschärft die Lage der Menschen." Was also brauchen die kriegsgeplagten Ukrainerinnen und Ukrainer jetzt? Und welche Hilfen werden bereits geleistet? t-online hat mit drei Hilfsorganisationen gesprochen.

Plötzlicher Wintereinbruch in der Ukraine

"Der Winter kam in diesem Jahr unerwartet hart und unerwartet früh", beschreibt Hannah Kikwitzki die Situation. Sie arbeitet für die Hilfsorganisation Caritas in der Ukraine. Dort sei es ab November "sehr schnell sehr kalt" geworden. "Dazu hat es in vielen Regionen meterhohen Schnee und Stürme gegeben", sagt Kikwitzki t-online. Manche Dörfer seien zumindest zeitweise unerreichbar gewesen. "Das ist dramatisch für die Menschen, die auf humanitäre Hilfen angewiesen sind."

Ende Dezember sind die Temperaturen in den meisten Regionen wieder leicht über dem Gefrierpunkt. Dennoch sind es schwierige Bedingungen für die Zivilbevölkerung. Die Kälte setzt den Menschen zu. Und dazu kommt die "Rasputiza", die Schlammperiode: Zuvor gefrorene Böden tauen wieder auf und verwandeln ganze Landstriche in Schlammlandschaften. Welche Auswirkungen dies auf die Kämpfe an der Front hat, sehen Sie in diesem Video:

Video | Vorstöße kaum möglich: Front versinkt im Schlamm
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Quelle: t-online

Die Luftangriffe der russischen Streitkräfte hätten in den vergangenen Wochen spürbar zugenommen, bestätigt Kikwitzki Berichte. Zumindest in Kiew sei die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser weitestgehend gewährleistet. Doch immer wieder würden auch zivile Einrichtungen und Wohngebäude von Luftangriffen oder Raketentrümmern getroffen. Dann komme es auch zu zivilen Opfern.

In ländlichen Regionen gibt es andere Probleme.

Lager von Hilfsorganisationen werden zum Ziel russischer Angriffe

"Viele Häuser in der Ukraine sind beschädigt und nicht winterfest", sagt Kikwitzki. "Mancherorts sind ganze Dörfer zerstört, die Häuser nicht mehr bewohnbar." Dazu kämen rund vier Millionen Binnenvertriebene in der Ukraine. "Das sind Menschen, die alles zurücklassen mussten." Insgesamt habe sich die Lage mit dem einsetzenden Winter weiter verschlimmert, sagt Kikwitzki. "Die humanitäre Situation ist angespannt."

Russlands Angriffe zielen dabei nicht mehr nur auf die Energieinfrastruktur der Ukraine. Auch die Hilfsorganisationen geraten ins Visier der Kremltruppen. Im September wurde ein Lagerhaus der Caritas in Lwiw mit rund 300 Tonnen an Hilfsgütern von russischen Drohnen angegriffen. Das Gebäude brannte ab, ein Mitarbeiter kam dabei ums Leben.

Auch die Hilfsorganisation Care wurde bereits zum Opfer russischer Angriffe. Die stellvertretende Länderdirektorin der Organisation in der Ukraine, Franziska Jörns, erzählt t-online von einem "direkten Raketentreffer" auf ein Hilfszentrum von Care in Cherson in der Südukraine. "Glücklicherweise wurde keiner unserer Mitarbeiter verletzt, aber so etwas kommt vor", sagt Jörns. Die Hilfsorganisation verteile die Güter nun auf verschiedene Lagerhäuser.

Jörns nennt den ständigen Beschuss und die russischen Luftangriffe die größte Herausforderung für ihre Arbeit in der Ukraine. Auch die zerstörten Straßen sowie Probleme mit dem Internet und der Kommunikation behinderten die Hilfen immer wieder.

"Viele Menschen haben traumatische Dinge erlebt"

"Je länger ein bewaffneter Konflikt – wie jetzt in der Ukraine – andauert, desto größer wird im Regelfall die Belastung für die Bevölkerung", sagt zudem Christof Johnen vom DRK. Daher sei andauernde und langfristige humanitäre Hilfe dringend notwendig. Das DRK stellt dazu unter anderem soziale Dienstleistungen wie häusliche Pflegedienste und hilft den Menschen auch mit Bargeld aus. Dazu installiert die Organisation betonverstärkte Schutzräume und stellt etwa Stromgeneratoren für kritische Infrastruktur bereit. Hunderte solcher Generatoren wurden bereits im vergangenen Winter geliefert.

Neben der Unterstützung mit Sachgütern hebt Caritas-Mitarbeiterin Hannah Kikwitzki die Notwendigkeit von psychologischer und sozialer Unterstützung für die Ukrainerinnen und Ukrainer hervor. Das betreffe vor allem die Kinder, "die sichere Orte brauchen, wo sie trotz des Krieges einfach Kinder sein können". Viele Menschen hätten traumatische Dinge erlebt. "Sie stehen unter großem Druck", erklärt Kikwitzki. Angst, Unsicherheit und Depressionen sind Folgen der russischen Angriffe.

Spendenbereitschaft nimmt ab

Für die Arbeit von Care liegt der Schwerpunkt laut der stellvertretenden Länderdirektorin Franziska Jörns auf den Frauen in der Ukraine. "Wir schaffen sichere Räume für Frauen und Mädchen, in denen sich die Binnenflüchtlinge erholen, Gesellschaft finden und die Hilfe bekommen können, die sie brauchen", sagt sie. Ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit seien die Entwicklung der Führungsqualitäten von Frauen sowie die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt.

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Die Spendenbereitschaft in Deutschland habe im Laufe des Krieges abgenommen, berichten die Hilfsorganisationen. Das habe einerseits mit der geringeren öffentlichen Aufmerksamkeit für den Krieg, aber auch mit der lang andauernden Notlage zu tun. "Das ist ein Phänomen, was wir in allen Krisenkontexten sehen", sagt Christof Johnen vom DRK. Gespendet werde dennoch weiterhin: "Das ist wichtig, denn unsere Hilfe vor Ort wird noch lange benötigt werden und um nachhaltig helfen zu können, sind wir natürlich auch auf Spendengelder angewiesen." Wie Sie für die Ukraine spenden können, erfahren Sie hier.

Auch der Deutsche Spendenrat beobachtete diese Entwicklung. In den ersten drei Quartalen 2023 ist die Zahl der Geldspender einer Erhebung der Organisation zufolge so niedrig gewesen wie lange nicht. Seitdem habe es demnach noch nie so wenige Spender gegeben wie dieses Jahr. Auch beim Spendenvolumen gab es einen Rückgang. Zwischen Januar und September kamen rund 3,2 Milliarden Euro zusammen. Das sind rund 600 Millionen Euro weniger als im Vorjahreszeitraum (rund 3,8 Milliarden Euro). Eine mögliche Erklärung dafür sei die hohe Teuerung, etwa von Lebensmitteln oder Energie, sagte Bianca Corcoran-Schliemann von der Consumer Panel Deutschland GfK. "Das beeinflusst uns alle, das beeinflusst unseren Geldbeutel."

Verwendete Quellen
  • Interview mit Hannah Kikwitzki von der Caritas
  • Statements von Christof Johnen (DRK) und Franziska Jörns (Care)
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