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"Zwickelerlass" 1932: Als "Gehirnverrenkungen" den Badespaß vermiesten


"Zwickelerlass"
Als "unsittliche Gehirnverrenkungen" den Badespaß vermiesten

Von Marc von Lüpke

Aktualisiert am 09.08.2020Lesedauer: 3 Min.
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Badeurlauber in den 1920er Jahren: Seit 1932 trübte der "Zwickel-Erlass" manchen Spaß.Vergrößern des Bildes
Badeurlauber in den 1920er Jahren: Seit 1932 trübte der "Zwickel-Erlass" manchen Spaß. (Quelle: our-planet.berlin/ullstein-bild)

"Pack die Badehose ein", heißt ein beliebter Schlager. 1932 wurde dies für viele Deutsche ein wenig mühsamer, denn ein sittenstrenger Bürokrat sorgte für Empörung – mit dem Zwang zum Zwickel im Schritt.

Geradezu ein Glaubenskrieg wütete 1932 in Preußen, ausgetragen mit schärfsten Worten. "Unsittliche, kulturwidrige Gehirnverrenkungen" warf die eine Seite der anderen vor, diese konterte mit dem Verweis auf "Sittsamkeit" und "Christentum". Es war im wahrsten Sinne des Wortes eine Auseinandersetzung unterhalb der Gürtellinie – nicht um die Bedrohung der Weimarer Republik durch die Nationalsozialisten oder die Millionen an Arbeitslosen der Weltwirtschaftskrise.

Nein, es ging um die Badehose. Badehose? Ja, richtig. Beziehungsweise um den "Zwickel" darin. Als "keilförmigen Einsatz an Kleidungsstücken" beschreibt der Duden diesen Fetzen Stoff, der seit dem Herbst 1932 in Badehosen und -anzügen im Schritt angebracht sein musste, wenn der Träger oder die Trägerin in Preußen Ärger mit den Behörden vermeiden wollte.

Badehose des Reichspräsidenten sorgte für Skandal

Der Grund war in gewisser Weise anschaulich: Viele Jahre lang hatten sich Frauen und Männer an deutschen Badestränden in reichlich Stoff hüllen müssen. Bloß nicht allzu viel Haut zeigen, so diktierte es die Sittlichkeit. Gerade in den Zwanzigerjahren wurden manche Deutsche allerdings lockerer: und die Badebekleidung entsprechend kürzer wie knapper.

Moralapostel beschworen den Verfall der Sitten. Die Verwendung des Zwickels sollte Abhilfe schaffen, indem er den Blick auf weibliche und männliche Intimbereiche von Badegästen erschwerte, die sich ansonsten etwa durch herkömmliche Badehosen hätten bemerkbar machen können. Noch 1919 hatte ein Foto des Reichspräsidenten Friedrich Ebert in Badehose für einen handfesten Skandal gesorgt.

Es war dann die "Ergänzung der Badepolizeiverordnung vom 18. August 1932", die den Zwickel landesweit in Preußen vorschrieb – und dem dafür Verantwortlichen Spott und Schande einbrachte. Dieser hieß Franz Bracht, war ehemals Oberbürgermeister von Essen, dann seit Juli 1932 faktisch preußischer Innenminister und stellvertretender Reichskommissar. Aufgrund des sogenannten "Zwickelerlasses" wurde er im ganzen Deutschen Reich durch den Kakao gezogen.

"Wirklich keine anderen Sorgen?"

Denn für Spaßmacher und Kabarettisten war der Zwickel-Zwang ein gefundenes Fressen, gerade in dieser an Fröhlichkeit eher sparsamen Zeit. Andere Zeitgenossen stellten sich darüber hinaus die Frage, was in aller Welt die Regierung Preußens als größtem Land des Deutschen Reiches zu solchen Maßnahmen trieb. Die "Frankfurter Nachrichten" sinnierten nicht ganz unberechtigt, ob "gegenwärtig wirklich keine anderen Sorgen als Rückenausschnitte an Badetrikots und Zwickel" wichtig wären?

Der Verweis auf "Rückenausschnitte" ist dabei ebenfalls ein Seitenhieb auf Franz Brachts Furcht vor zu viel Haut zurückzuführen, denn Frauen war durch seinen Erlass Weiteres verwehrt. "Vollständig bedeckt" mussten "Brust und Leib an der Vorderseite des Oberkörpers" sein, der "Rückenausschnitt des Badeanzugs" hatte "nicht über das untere Ende der Schulterblätter" zu reichen.

Derart viel Prüderie war eine Steilvorlage für liberalere politische Kräfte. Der Sozialdemokrat Alexander Möller, damals ein junger Abgeordneter, wetterte etwa im Preußischen Landtag: "Naive Leute haben im Sommer dieses Jahres geglaubt, Reichsregierung und Reichskommissare würden sich den Kopf darüber zerbrechen, wie in diesem Winter sieben Millionen Arbeitslose ernährt und bekleidet werden sollen", begann der spätere Bundesfinanzminister. "Die Herren Reichskommissare aber haben sich den Kopf darüber zerbrochen, wie im Sommer die Badenden ausreichend bekleidet werden könnten."

"Zelotischen Eifer" warf der Linke den Bürokraten vor, den Weg hin zum Zwickel-Zwang als "Dokumente unsittlicher, kulturwidriger Gehirnverrenkungen". Unterstützung bekamen die Sittenwächter hingegen von konservativer Seite. Franz Graf von Galen, ein Politiker der katholischen Zentrumspartei, bezeichnete die Einschränkung des Badespaßes als "sittliche Erneuerung des Volkes auf dem Boden des Christentums".

Zwang zu Klamotten

Kein Wunder, denn für selbsternannte Tugendwächter brachte der "Zwickelerlass" nicht nur die ersehnte Verhüllung beziehungsweise Verdeckung von brisanten Körperpartien der Badenden mit sich. Wer lieber gar nichts beim Baden trug, verstieß fortan eklatant gegen die Bestimmungen: "Das öffentliche Nacktbaden ist untersagt."

Schlechte Nachrichten für alle Nudisten. Und auch wer artig zur Badehose griff, musste im und am Wasser durchaus damit rechnen, dass Ordnungshüter prüften, ob auch wirklich ein Zwickel im Schritt saß.

"Hilfe" von Herstellern und Händlern

Wie bei vielen staatlichen Eingriffen in das Leben der Bürger lag der Teufel auch in Sachen Badebekleidung im Detail. Wie genau "richtige" Badeanzüge auszusehen hatten, war die Frage. Hersteller entsprechender Utensilien schalteten etwa Anzeigen, die mit Abbildungen die Kunden informierten.

So wurde der Zwickelerlass eine der letzten Possen der Weimarer Republik, am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt, der die Demokratie beseitigte. Wenige Monate später starb Franz Bracht an einer Erkrankung. Hohn und Spott hatte er notgedrungen ertragen. Er ahnte nicht, welche Erfindung des Franzosen Louis Réard seit 1946 für eine echte Revolution an den Badestränden sorgen sollte: der Bikini.

Verwendete Quellen
  • Gerd Stein: Adolf Stein alias Rumpelstilzchen. "Hugenbergs Landsknecht", 2014
  • "Süddeutsche Zeitung": Schäm dich!
  • "Duden": Zwickel
  • Alex Möller: Tatort Politik, 1982
  • Walter Schübler: Anton Kuh. Biographie, 2018
  • Bundesarchiv: Sitzung des Preußischen Staatsministeriums vom 12. August 1932
  • Deutscher Bundestag: Stenographischer Bericht
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