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Tote 14-Jährige gewinnt Verfahren: Sie darf eingefroren werden


Tote 14-Jährige gewinnt Verfahren
"Ich sterbe, aber in 200 Jahren bin ich wieder da"

Von t-online
Aktualisiert am 20.11.2016Lesedauer: 4 Min.
Chirurgen bei der Arbeit - irgendwann auch an Körpern, die schon lange tot sind?Vergrößern des BildesChirurgen bei der Arbeit - irgendwann auch an Körpern, die schon lange tot sind? (Quelle: dpa)
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Der Fall ist mit Sicherheit einzigartig - und rührt an die Ängste und Hoffnungen der meisten Menschen: Eine mittlerweile verstorbene 14-jährige Britin hat vor Gericht erstritten, dass ihr Körper nach dem Tod eingefroren wird, um irgendwann in der Zukunft wieder aufgeweckt und geheilt zu werden. Ein Londoner Richter hat jetzt den Weg dafür freigemacht.

Prozessgegner des Mädchens, dessen Name unbekannt ist und das an einer seltenen Krebs-Variante litt, war ausgerechnet ihr Vater. Er stand vor Gericht der Mutter gegenüber - seiner geschiedenen Frau.

In ihren letzten Lebensmonaten hatte "JS" - so wird das Kind von der britischen Presse genannt - im Internet über "Kryonik" recherchiert. So bezeichnet man die noch in den Kinderschuhen steckende Technik, nicht nur Spermien, Eizellen oder Haustiere, sondern ganze menschliche Körper einzufrieren, um sie in der Zukunft wieder zu beleben.

"Ich will nicht in der Erde begraben liegen"

JS erschien die Kryonik wie eine Möglichkeit, den eigenen, frühen Tod zu überleben. Ihre Angst und ihre Hoffnung schilderte sie in einem bewegenden Brief, der im Oktober vor Gericht verlesen wurde und den heute zahlreiche britische Zeitungen zitieren.

"Ich glaube, wenn ich kryonisch konserviert werde, habe ich eine Chance, geheilt und wieder aufgeweckt zu werden - selbst, wenn es Jahrhunderte dauert", schrieb JS. "Ich will nicht in der Erde begraben liegen", bat sie und beschwor das Gericht: "Ich will leben." Im Krankenhaus hatte sie einem Verwandten gesagt: "Ich sterbe, aber in 200 Jahren bin ich wieder da."

Was kommt nach dem Erwachen?

Man muss wissen: Die Technik der Kryonik, die in zahlreichen Science-Fiction-Filmen eine Rolle spielt, hat in der Wirklichkeit noch mehr Schwächen als Stärken: Weder das Einfrieren, noch das Auftauen haben Wissenschaftler bislang auch nur annähernd zufriedenstellend im Griff. Nur wenige hundert Menschen haben sich einfrieren lassen, seit die Methode in den frühen 60er Jahren auf den Markt kam.

Dazu kommt noch eine Frage, die JSs Vater, der an die Methode ohnehin nicht glaubt, besonders bewegte: In was für einer Welt und unter welcher Art von Menschen würde seine Tochter nach Jahrhunderten aufwachen? "Vielleicht findet sie keinen mehr, der mit ihr verwandt ist oder kann sich an nichts erinnern", so der Mann, der selbst an Krebs leidet. Womöglich gerate sie in eine verzweifelte Lage - sie sei ja trotz allem erst 14 Jahre alt.

Auf diese vage Hoffnung hin eine Technik zu versuchen, die der Familie angesichts ungesicherter Verfahrenswege riesigen Stress und dazu noch immense Kosten aufbürde, lehne er ab. Inzwischen soll er sich jedoch dazu bekannt haben, den letzten Wunsch seiner Tochter zu achten. Den Preis von 37.000 Pfund (rund 43.000 Euro) haben die Großeltern und private Spender übernommen.

Vor Gericht hatte der Vater bereits im Oktober verloren: Richter Peter Jackson hatte die junge Patientin im Krankenhaus besucht, da sie nicht mehr in der Lage war, vor Gericht zu erscheinen. Der Jurist zeigte sich tief beeindruckt, von der "heldenhaften Haltung", mit der die Teenagerin ihrem bitterem Schicksal gegenüber trat.

Den ganzen Körper - oder nur das Gehirn?

Letztlich musste Jackson entscheiden, wer wiederum für die Minderjährige entscheiden solle: Der Vater oder die Mutter, die trotz Geldmangels den Wunsch ihres Kinder erfüllen wollte. Anfang Oktober - elf Tage vor JSs Tod - sprach er der Mutter das alleinige Recht auf Entscheidung zu. Jetzt entschied er zudem, der Körper dürfe eingefroren werden.

Den Vater hatte JS seit ihrem 7. Lebensjahr nicht mehr gesehen und sie wollte auch dann keinen Kontakt mehr zu ihm haben, als er sich auf die Nachricht von ihrer Erkrankung hin im vergangenen Jahr bei ihr meldete.

Kryonische Verfahren bieten vor allem zwei gemeinnützige US-Gesellschaften an: Alcor und das Cryonics Institute. Auch in Russland wird das Verfahren angeboten. In Deutschland ist die Rechtslage bei Menschen bislang unklar.

Die Kosten für das Verfahren, bei dem der Körper kopfüber in eine hermetisch abgeriegelte Stahlkammer gehängt wird, beginnen bei rund 40.000 Euro und können bis zu 150.000 Euro betragen.

Trost durch Hoffnung

Um sie zu senken, wird mittlerweile auch angeboten, nur den Kopf oder sogar nur das Gehirn einzufrieren. Der Preis geht dabei auf 7000 bis 30.000 Euro zurück. Das Prinzip Hoffnung gilt hier allerdings doppelt: Nicht nur müssten Ärzte in der Zukunft in der Lage sein, die tödliche Krankheit oder Verletzung zu heilen.

Auch die Technik des "Tissue Engineering" - die Geweberekonstruktion durch die Kultivierung körpereigener Stammzellen - müsste gigantische Fortschritte gemacht haben. Keiner will schließlich nur als Kopf ohne Körper existieren - vermutlich auch dann nicht, wenn selbst das möglich wäre.

Doch vielleicht ist all das auch zweitrangig. Denn egal, ob die Methode dereinst funktionieren wird: Geholfen hat das Urteil JS und ihrer Mutter offenbar. Ihr Kind, dessen Körper mittlerweile in den USA ruht, sei friedlich und ohne Angst eingeschlafen, berichtete die Frau - getröstet von dem Bewusstsein, vielleicht irgendwann wieder leben zu dürfen.

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