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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Veteranentag am 15. Juni "Dann brechen diese gestandenen Männer in Tränen aus"

Maik Mutschke aus Brandenburg war als Bundeswehrsoldat in Afghanistan. Bei einem Angriff der Taliban wurde er schwer verletzt. Er erzählt, wie er sich ins Leben zurückkämpfte – und was der erste Nationale Veteranentag für ihn bedeutet.
Schon als Kind wusste Maik Mutschke: Ich will zur Bundeswehr, am liebsten zu einer Spezialeinheit. Mutschke wuchs in Brandenburg auf, der Übungsplatz in der Umgebung faszinierte ihn früh. Sein Großvater, sein Vater, auch sein Onkel waren Soldaten gewesen.
Nach der Ausbildung zum Kfz-Mechaniker machte er seinen Traum wahr und begann die Grundausbildung bei der Bundeswehr. Als Mutschke damit im Herbst 2006 fertig war, ging er zu den Fallschirmjägern. Im Frühling 2010 führte ihn ein Einsatz seiner Infanteriekompanie zu einem Einsatz nach Kundus in Afghanistan. Die Soldaten sollten Minen auf der Zufahrt der Ortschaft Isa Khel räumen, eine der gefährlichsten Regionen Afghanistans, rund 13 Kilometer von Kundus entfernt.
Mutschke wird bei Taliban-Angriff schwer verletzt
Am Karfreitag 2010 war Mutschke seit rund zwei Monaten dort. An jenem Tag eröffneten versteckte Talibankämpfer das Feuer auf die Soldaten. "Das war einfach brutal", erinnert sich Mutschke. "So viel Feuer auf die Dauer, und es kam keine Luftunterstützung."
Er schaffte es heraus aus dem Kugelhagel. Doch dann zündeten die Taliban einen Sprengsatz unter einem gepanzerten Transportfahrzeug, direkt neben Mutschke. "Als ich in Kundus auf dem OP-Tisch landete, hatte ich keine fühlbaren Vitalwerte mehr, mein Kreislauf war komplett zusammengebrochen. Ich war eigentlich tot", erzählt er.
Dreimal wurde der Soldat reanimiert. Schnell wurde er nach Deutschland ausgeflogen, stundenlang in Koblenz operiert. Vier Wochen lag Maik Mutschke im Koma.
Sein Lebenswille kehrte allerdings schnell zurück. "Ich habe mit den Ärzten diskutiert, dass ich die Thrombosespritze nicht haben will, dass ich um Gottes willen nicht diese Thrombosesocken anziehe." Lieber wollte er sich nach jeder Operation bald wieder bewegen, Treppen steigen, bloß raus aus dem Rollstuhl. "Es war mir einfach wichtig, dass ich schnell wieder fit werde", erzählt er.
Mutschke verlor drei seiner Kameraden bei Angriff
Maik Mutschke kämpfte sich ins Leben zurück. Andere hatten das Glück nicht. Drei seiner Kameraden wurden damals getötet: Nils Bruns und Robert Hartert kannte er schon seit der Grundausbildung, Martin Kadir Augustyniak kam erst ein Jahr vor dem Einsatz dazu. "Wir wussten alles voneinander, von den jeweiligen Familien, von Hobbys", erinnert sich Mutschke. "Das ist halt einfach dieses Berufsrisiko als Soldat. Wir gehen bis ans Ende und zahlen im Zweifel mit dem Leben."
Mutschke verlor bei dem Angriff in Afghanistan sein linkes Auge. Sein linker Arm ist durch eine Nervenschädigung bis heute gelähmt. Er kann Dinge anfassen, zum Anheben fehlt die Kraft.
Aufgeben kam für Mutschke aber nie infrage. "Ich dachte: Mir geht's gerade scheiße, aber ich lebe. Meine Familie ist da. Ich will weiterleben", erzählt er.
Mutschke kehrte noch einmal nach Afghanistan zurück
Drei Jahre später flog Mutschke erneut nach Afghanistan, zum Jahrestag des Karfreitagsgefechts. An Ehrenhainen wurden Kränze für die drei gefallenen Soldaten niedergelegt. "Für mich war es mental wichtig, nachdem ich drei Jahre vorher liegend ausgeflogen wurde, jetzt aufrecht wieder nach Afghanistan hineinzufliegen", so Mutschke. "Man braucht einfach einen Abschluss und kann das Kapitel beenden."
Dass er noch einmal dorthin flog, wo er fast sein Leben gelassen hätte, das erzählte er vorher kaum jemandem, nur seinen Eltern und einem guten Freund. "Wahrscheinlich hätten sonst alle gefragt, ob ich noch ganz dicht bin", sagt er.
Von seinen Einschränkungen abgesehen ist Mutschke topfit, nimmt regelmäßig an Wettkämpfen und Weltmeisterschaften teil, als Sportschütze, macht Radrennen oder Riesenslalom. Bei den internationalen Invictus Games 2023 mit über 500 Teilnehmern, einer Art Olympische Spiele für kriegsversehrte Soldaten, holte er Silber im Kugelstoßen. Solche Erfolge machen ihn "megastolz".
Er wollte das Ehrenkreuz für Tapferkeit zunächst nicht
Mutschke wurde für seinen Einsatz in Afghanistan mit dem Ehrenkreuz für Tapferkeit ausgezeichnet, das es seit 2008 gibt. Gut 30 Soldaten und Soldatinnen tragen es. "Ich wollte diese Auszeichnung gar nicht annehmen, denn jeder, der diesen Tag gekämpft hat, hat es eigentlich verdient", sagt er.
Die Erinnerung wachzuhalten, ist ihm wichtig. Wenn bei Gedenkveranstaltungen wie kürzlich zum 15. Jahrestag des Karfreitagsgefechts die Veteranen zusammenkommen, werden viele von ihren Gefühlen übermannt. "Dann brechen diese großen Jungs, gestandene Männer, in Tränen aus", sagt Mutschke.
Lange Zeit fühlte sich Mutschke nicht von der Gesellschaft wertgeschätzt. Doch in den vergangenen Jahren, vor allem seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, stellte er fest: "Es gibt ein komplettes Umdenken in der Bevölkerung. Man merkt, dass so ein Krieg jetzt gar nicht mehr so weit weg ist."
Längst sind Veteranen in Deutschland sichtbarer geworden, auch dank Mutschke, der nicht müde wird, seine Geschichte zu erzählen. Vor Kurzem war er in der Sendung von Markus Lanz, danach schrieben ihm wildfremde Menschen, dankten ihm für seinen Einsatz. Er wurde im Supermarkt und auf dem Bahnhof erkannt. Manchmal bitten ihn Leute um ein gemeinsames Selfie.
Mutschke würde wieder in den Einsatz ziehen
Mutschke sagt: "Ich bin gerne Soldat." Heute plant und organisiert der Veteran Manöver und Übungen. Er würde auch wieder in den Einsatz ziehen, nur nicht mehr an vorderster Front, auch wenn er körperlich dazu imstande wäre. Schießen kann er auch mit einem Arm.
Dass es jetzt einen Veteranentag gibt und Angehörige der Bundeswehr sichtbarer werden, findet er überfällig. "Die deutsche Vergangenheit war schlimm, aber ich sage immer: Wir haben ein neues Militär. Wir haben eine neue Geschichte geschrieben, es gibt neue Vorbilder."
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner wird am Sonntag das Sanitätsregiment 1 in der Blücher-Kaserne in Spandau mit einem Fahnenband ehren. Es ist die höchste Auszeichnung eines militärischen Verbands durch eine Landesregierung. "Damit drückt Berlin seine besondere Verbundenheit mit dieser Bundeswehreinheit aus, die bei uns stationiert ist", erklärte der CDU-Politiker vorab. Die zentrale Veranstaltung zum Veteranentag findet rund um das Reichstagsgebäude statt. Maik Mutschke wird dabei sein und auf dem Podium seine Geschichte erzählen.
- Gespräch mit Maik Mutschke
- bmvg.de: Nationaler Veteranentag in Deutschland: Würdigung von Soldatinnen und Soldaten