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Kampfstoffe für Russland: Auf der Spur der rätselhaften Firma Riol Chemie


Deutschlandweite Razzia
Kampfstoffe für Russland? Auf der Spur der rätselhaften Riol Chemie

Von Steffen Koller

Aktualisiert am 31.08.2022Lesedauer: 4 Min.
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Razzia in Lilienthal: Die Ermittler sicherten "umfangreiches Beweismaterial".Vergrößern des Bildes
Razzia in Lilienthal: Die Ermittler sicherten "umfangreiches Beweismaterial". (Quelle: Jörn Hüneke)

Half eine Bremer Firma Russland beim Bau von biochemischen Waffen? Der beschuldigte Betreiber gibt sich verschwiegen – doch auch seine Partner sind schon im Visier der Behörden.

Um 9 Uhr morgens schlagen die Zollfahnder zu: Verschiedene Objekte durchsuchen die Beamten, davon zwei in Bremen, eins in Bremerhaven – und eins im Gewerbegebiet im beschaulichen Lilienthal nördlich der Hansestadt. Der Verdacht: Verantwortliche des Chemieunternehmens Riol Chemie sollen giftige Substanzen und speziellen Laborbedarf nach Russland ausgeführt haben, ohne über die entsprechenden Genehmigungen zu verfügen.

Konkret geht es um mögliche Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz, sagte Oberstaatsanwalt Kai Thomas Breas von der Staatsanwaltschaft Stade zu t-online. Die Behörde ist federführend im Ermittlungsverfahren. 50 Zollbeamte seien laut Breas an den Einsätzen beteiligt gewesen, neben den durchsuchten Objekten im Norden seien zudem drei in Konstanz unter die Lupe genommen worden. Details zu den Razzien nannte Breas nicht.

Im Zentrum der Ermittlungen steht laut einem Bericht des Recherchenetzwerks von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) die Chemiefirma Riol Chemie GmbH aus dem niedersächsischen Lilienthal. Innerhalb der vergangenen dreieinhalb Jahre sollen in mehr als 30 Fällen Substanzen ausgeführt worden sein, die als Grundstoffe für die Herstellung von chemischen und biologischen Kampfstoffen genutzt werden können.

Unauffälliger Firmensitz im Industriegebiet

Riol Chemie beschäftigt sich laut Handelsregister mit "Import und Export mit Reagenzien, Chemikalien, Haushaltschemikalien, pharmazeutischen Substanzen, Laborausrüstungen, Technologieanlagen und Zubehör". Wesentlich mehr erfährt man auf der Internetseite des Unternehmens nicht. Denn: Die Seite scheint nicht mehr in Betrieb zu sein, lediglich der Hinweis "Diese Seite wird gerade für Sie aktualisiert" prangt auf der Homepage. Riol Chemie war für eine Stellungnahme von t-online nicht zu erreichen.

Nach Angaben der SZ arbeiteten zuletzt 20 Angestellte für die Firma, der Jahresumsatz belief sich demnach auf rund 1,5 Millionen Euro. Gegenüber des Firmensitzes befindet sich das Haus der ortsansässigen Feuerwehr, die Lilienthaler Tafel ist ebenfalls nicht weit, ebenso ein Baumarkt und eine Verkaufsstelle für Bioeier. Nichts deutet nach außen darauf hin, dass hier womöglich hochgiftige Substanzen umgeschlagen und nach Russland verbracht wurden.

Doch genau davon gehen Zollfahndung und Staatsanwaltschaft aus: Zwischen November 2019 und März 2021 sollen die besagten 30 Lieferungen von Verantwortlichen der Firma organisiert worden sein. Zwar habe es sich dabei um "Kleinstmengen" gehandelt, wie die SZ schreibt, doch sei es damit ebenfalls möglich, chemische und biologische Kampfstoffe herzustellen.

Auch Ermittlungen gegen Bremerhavener Logistikfirma

Darüber hinaus, so der Vorwurf, soll Riol Chemie mehrfach Schutzausrüstung nach
Russland geliefert haben, die unter anderem für die Produktion von B- und
C-Waffen benötigt wird und deren Ausfuhr deshalb ebenfalls beschränkt ist. "B" steht für biologische, "C" für chemische Waffen.

Der Verdacht richtet sich nach Angaben der SZ gegen den Geschäftsführer von Riol Chemie, den Ukrainer Sergiy V., sowie dessen Ex-Frau. Ein Mitarbeiter und die Geschäftsführerin eines Logistikunternehmens aus Bremerhaven seien ebenfalls im Fokus der Ermittler. Sie sollen geholfen haben, die mutmaßlich illegalen Waren zu transportieren.

Besonders brisant: Riol Chemie, das seinen Firmensitz laut Handelsregister zuvor in Bremen-Blumenthal hatte, soll auch den Stoff Diethylamin nach Russland verschifft haben. Die Substanz wird unter anderem zur Herstellung des Nervengifts Nowitschok verwendet. Damit wollte der russische Geheimdienst 2018 in England den früheren Doppelagenten Sergej Skripal ermorden, zwei Jahre danach vermutlich auch den Kremlkritiker Alexej Nawalny.

Chemikalien könnten aus verschiedenen Gründen nach Russland geliefert worden sein

Diethylamin kann inhalativ oder oral aufgenommen werden und ätzt die Haut, die Augen und die Atemwege. Es kommt zu Rötungen, Schmerzen, schweren Verbrennungen und Sehbeeinträchtigungen, auf der Haut können sich bei Kontakt Blasen bilden. Die Chemikalie wirkt "akut toxisch". Ein Großteil dieses Stoffs soll laut SZ an das russische Unternehmen Chimmed mit Hauptsitz in Moskau geliefert worden sein: Ein Großhändler für Chemikalien und Labortechnik, der laut russischen Medien Geschäftsbeziehungen zu Speziallaboren des russischen Verteidigungsministeriums und des russischen Geheimdienstes FSB unterhalten soll.

Der entsprechende Stoff könnte jedoch auch für legale Zwecke exportiert worden sein, etwa als Vergleichsgrößen für die Lebensmittel- und Wasseranalytik. Dem Bericht zufolge soll Riol Chemie "nur relativ kleine Mengen" der Chemikalien nach Russland geliefert haben, teilweise im Bereich von wenigen Gramm und Milligramm.

Doch auch diese seien nach Einschätzung von Experten dazu geeignet, schwere Krankheitssymptome zu verursachen. Möglich sei zudem, dass die Lieferungen als sogenannte Referenzsubstanzen ausgeführt wurden, um die Qualität der eigenen Produktion zu testen.

Eine Unbekannte ist Riol Chemie für die Behörden indes nicht. Das Unternehmen stand bereits 2021 in der Kritik – und landete auf der Sanktionsliste des US-Handelsministeriums. Im Zuge der mutmaßlichen Vergiftung des Kremlkritikers Alexej Nawalny sahen die US-Amerikaner Verbindungen zwischen dem Giftanschlag und der Firma aus Niedersachsen. Die Amerikaner verdächtigten das Unternehmen damals, auf verschiedene Weise in die Verbreitung von biologischen oder chemischen Stoffen verwickelt zu sein.

Wie der "Weser-Kurier" damals schrieb, seien im März 2021 regelmäßig Lastwagen aus Russland vor dem Firmensitz in Lilienthal vorgefahren. Was die Fahrer dort ablieferten oder abholten, blieb unklar.

Bewusstes Verschleiern von Geschäftsaktivitäten?

Die Ermittler gehen zudem davon aus, dass Riol Chemie bewusst versucht haben soll, seine Geschäftsaktivitäten zu verschleiern. Nach einem Bericht des NDR sei Zöllnern das Unternehmen bereits 2021 bei einer Kontrolle ins Auge gefallen. Nach den US-Sanktionen soll die Firma gegenüber dem Zoll vorgetäuscht haben, ausfuhrbeschränkte Laborgeräte nach Litauen zu verschicken. Tatsächlich seien die Artikel aber für Russland bestimmt gewesen.

Um die Lieferungen dennoch an den eigentlichen Bestimmungsort zu transportieren, holte Riol Chemie den Ermittlern zufolge ein Bremer Logistikunternehmen ins Boot. In abgehörten Telefonaten des Verfassungsschutzes hätten sich Firmenangestellte auch darüber unterhalten, zukünftige Lieferungen nach Russland möglichst zu verschleiern.

Am Dienstag sind auch Geschäftsräume der mutmaßlich involvierten Firma R.R. Rhein Reserve in Konstanz, mehrere Privatwohnungen und eine Steuerkanzlei durchsucht worden. Die R.R. Rhein Reserve GmbH ist laut Handelsregister auf den "Handel mit Waren und Geräten für die chemische Industrie" spezialisiert.

Nach Recherchen des SWR soll das Unternehmen seinen Firmensitz in einem Industriegebiet in Konstanz haben, am Gebäude habe sich jedoch kein Hinweis darauf finden lassen. Die mutmaßlich beteiligten Firmen hatten im Laufe der Jahre wohl ein weitverzweigtes Netz aus verschiedenen Unternehmen aufgebaut und ihre Geschäftsaktivitäten somit verschleiert.

Nicht nur deshalb werde es wohl Monate dauern, bis alle sichergestellten Dokumente ausgewertet sind, sagte Oberstaatsanwalt Breas. Das liege auch daran, dass viele Unterlagen mehrsprachig seien.

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