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Ukrainer flüchten aus Irpin nach Hessen: "Es war einfah zu brutal"


Flucht aus der Ukraine
"Wir haben nicht darüber gesprochen – es war einfach zu brutal"

Von Stefan Simon

23.04.2022Lesedauer: 3 Min.
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Zerstörungen in Irpin und Anna (l.) mit ihrer Mutter Valentyna: Ihre Heimat haben sie bereits kurz nach Kriegsbeginn verlassen.Vergrößern des Bildes
Zerstörungen in Irpin und Anna (l.) mit ihrer Mutter Valentyna: Ihre Heimat haben sie bereits kurz nach Kriegsbeginn verlassen. (Quelle: UPI Photo/imago/privat/leer)

Ende Februar floh Familie Dudka nach Deutschland – aus dem Nachbarort von Butscha, wo der Schrecken des Krieges mittlerweile nur zu deutlich wurde. Dennoch will die Familie so bald wie möglich zurück in die Ukraine.

Anna Dudka sitzt am Tag vor Ostern mit ihrer Mutter Valentyna in ihrem Wohnzimmer in Frankfurt am Main. Weit weg vom Krieg in ihrem Heimatland. Anna lebt seit zwei Jahren in Deutschland. Eine Woche nach Kriegsbeginn in der Ukraine flüchteten ihre Mutter Valentyna und ihre Schwägerin Yana und deren zwei vierjährige Kinder nach Deutschland. Sie wohnen seither bei Annas Schwiegereltern in Brachttal, einem kleinen Ort rund 60 Kilometer entfernt von Frankfurt.

t-online hat Anfang März über die Fluchtgeschichte der Dudkas berichtet. (Mehr dazu lesen Sie hier) Ihre Geschichte zeigte schon zu Beginn der Fluchtbewegungen aus der Ukraine, wie der Krieg eine Familie entzweit. Nun leben die Dudkas seit fast zwei Monaten in Deutschland. Wie ist es ihnen seither ergangen?

Anna Dudka: "Die Bilder aus Butscha waren ein tiefer Schock für uns alle"

Auf die Frage, wie es ihnen geht, antwortet Valentyna: "Es geht so. Wir vermissen unser Zuhause, aber im Vergleich zu anderen Familien, die noch in den Risikogebieten in der Ukraine sind, geht es uns sehr gut." Anna übersetzt für ihre Mutter. Yana kann beim Gespräch mit t-online nicht dabei sein.

Yana und ihr Ehemann lebten bis vor Kriegsbeginn in Irpin, einem Vorort von Kiew. Von Butscha, wo die russische Armee ein Massaker anrichtete, wird die Stadt nur von einem Fluss getrennt. Oft sei ihre Schwägerin durch Butscha gelaufen, erzählt Anna. Die schrecklichen Bilder von dort wird die Familie so schnell nicht vergessen. Anna selbst war als Kind dort in einem Sommercamp in den Wäldern. "Butscha ist bekannt als Ferienort mit dichten, schönen Wäldern. Als wir die Aufnahmen der Toten sahen, war das ein tiefer Schock für uns und für alle, die wir kennen", sagt Anna.

Eine Woche lang konnten sie nicht schlafen, nichts essen. Und immer wieder stellten sich die Dudkas eine Frage: "Warum? Warum musste es so brutal sein?" Am schrecklichsten seien die Kinderleichen gewesen, sagt Anna. "Wir konnten damit einfach nicht umgehen. Wir haben an dem Tag nicht darüber gesprochen. Es war einfach zu brutal."

Flüchtlinge in Hessen: "Wir dachten wirklich, dass der Krieg nach ein paar Wochen vorbei ist"

Dass die Frauen nunmehr seit fast zwei Monaten in Deutschland leben, hätten sie nicht erwartet. "Wir dachten wirklich, dass der Krieg nach ein paar Wochen vorbei ist und sie zurückfahren können", sagt Anna.

Bei Valentyna sitzen die Spuren des Krieges tief. "Seit einer Woche kann ich wieder einschlafen", sagt sie. Davor war das nur mit Schlaftabletten möglich. Dass der Krieg längst schon Deutschland und somit auch die russische wie die ukrainische Community erreicht hat, konnte die ganze Welt an den prorussischen Demonstrationen der vergangenen Wochen sehen.

Für die Frauen waren die Bilder der Demonstranten nur schwer zu ertragen. "Für mich war das vor dem Krieg schon schlimm, dass die russische Propaganda auch hier verbreitet wird", sagt Anna. Ihre Mutter wirkt resigniert: "Einerseits tut es mir leid, dass viele Russen von den Staatsmedien und der Propaganda so stark beeinflusst werden", sagt Valentyna. "Andererseits verstehe ich nicht, wenn man in Deutschland lebt, in einer Demokratie und andere Kanäle nutzen kann, dann trotzdem Russland unterstützt." Sie könne ihre Abneigung gegen Russland und gegenüber der russischen Bevölkerung derzeit auch nicht verstecken, gibt sie zu, obwohl sie in der Ukraine Russen kenne.

In Brachttal hat sich die Familie unterdessen gut eingelebt. In dem kleinen Ort mit etwa 5.000 Einwohnern kennt sie jeder. Dort wohnen sie im Haus von Annas Schwiegereltern. Tagsüber verbringt Valentyna viel Zeit mit ihren Enkeln. "Es ist wirklich schön, wie gut wir hier aufgenommen wurden und wie hilfsbereit und freundlich die Menschen zu uns sind", erzählt Valentyna.

"Die Kinder denken immer noch, dass sie im Urlaub sind"

Oft bekommen die Kinder Spielzeug geschenkt, einmal durften sie auf den Pferden einer Anwohnerin reiten. "Die Kinder denken immer noch, dass sie im Urlaub sind. Ihnen ist auch langweilig. Sie spielen jeden Tag mit der Oma, ihnen fehlen natürlich andere Kinder", erzählt Anna. "Leider haben wir keinen Kindergartenplatz für sie gefunden. Sie haben es nicht einmal auf die Warteliste geschafft."

Irgendwann aber wird der "Urlaub" für die Kinder enden. Anna erzählt, dass ihre Schwägerin Yana ihren Kindern sagte: "Wenn die Panzer aus Irpin raus sind, dann fahren wir nach Hause und verlassen Brachttal." Dann fragten sie nach Annas Schwiegermutter, was denn mit ihr sei. Anna erzählt: "Yana sagte: 'Es kann auch sein, dass wir fahren und ihr hier bleibt.' Sie antworteten: 'Ja, okay.'" Dann huscht ein Lächeln über Annas Gesicht.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Anna und Valentyna Dudka
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