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Von Corona-Impfgegnern bedrohte Ärztin ist tot: "Opfer von schlechten Menschen"


Hass im Internet
Von Impfgegnern bedrohte Ärztin ist tot: "Opfer von schlechten Menschen"

  • Gregory Dauber
InterviewVon Gregory Dauber

Aktualisiert am 29.07.2022Lesedauer: 6 Min.
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Belastung im Gesundheitswesen (Symbolbild): "Die physische und psychische Gewalt gegenüber Personen in medizinischen Berufen nimmt massiv zu", sagt Anke Staffeldt im Interview.Vergrößern des Bildes
Belastung im Gesundheitswesen (Symbolbild): "Die physische und psychische Gewalt gegenüber Personen in medizinischen Berufen nimmt massiv zu", sagt Anke Staffeldt im Interview. (Quelle: Michael Bihlmayer/imago-images-bilder)

Der Hass im Internet hat eine Frau in Österreich in den Tod getrieben. t-online sprach mit einer betroffenen Ärztin, die mit der Verstorbenen in Kontakt stand.

Die Geschichte der österreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, die sich nach monatelangen Bedrohungen mutmaßlich das Leben nahm, ist kein Einzelfall. Kellermayr war zur Zielscheibe von Hetzern und Hassnachrichten geworden, musste aus Sicherheitsgründen ihre Praxis schließen.

Auch in Deutschland werden Medizinerinnen und Mediziner bedroht – nicht alle sind so prominent wie der Virologe Christian Drosten, der sogar im privaten Campingurlaub angefeindet wurde. t-online sprach mit der Zahnärztin Anke Staffeldt aus Eutin (Schleswig-Holstein), die erlebt hat, wie Hass aus dem Internet bis vor die eigene Haustür kommt – und mit Kellermayr noch in dieser Woche Kontakt hatte.

Frau Staffeldt, warum werden Sie von fremden Personen im Internet bedroht und beleidigt?

Ich habe mich 2017 vor der Bundestagswahl bei Twitter angemeldet. Dort habe ich dann ziemlich schnell gemerkt, wie aus bestimmten Lagern im Netz Stimmung gemacht wird. Die AfD war damals, und ist es heute immer noch, sehr stark darin, massenhaft Leute zu mobilisieren, die in sozialen Netzwerken die Agenda bestimmen. Da können die anderen Parteien nicht mithalten. Irgendwann habe ich gesagt, da muss etwas passieren. Mit anderen habe ich begonnen, Hassnachrichten zu melden und dagegenzuhalten. Heute sind da auch Impfgegner und Corona-Leugner dabei. Das Problem ist: Eine Minderheit erweckt den Anschein, die Mehrheit zu sein.

Wieso wurden gerade Sie zum Ziel dieser Leute?

Ich hatte mich mit meinem Klarnamen dort angemeldet, was rückblickend ein Fehler war.

Was haben Sie erlebt?

Ich wurde beleidigt, später als Sexualstraftäterin und Alkoholikerin verunglimpft. Gefälschte E-Mail-Adressen wurden genutzt, um massenhaft Kataloge und Prospekte zu mir zu bestellen. Seit Mai 2021 wurde ich auch an meinem Wohnort in Eutin angegangen. Das waren zwei junge Männer, die sind zu meiner Praxis gekommen, haben wild an Fenster und Türen geklopft und mich angeschrien. Ich wurde fotografiert, ich wurde gefilmt, es wurde veröffentlicht, wann ich wo in welchem Restaurant essen war. Irgendwann waren Bilder meiner Privatwohnung im Netz und meine Nachbarn wurden bedrängt.

Wer waren diese Männer?

Der eine lebt weniger als 150 Meter von mir entfernt. Beide waren damals minderjährig. Sie sollen der Identitären Bewegung beziehungsweise der AfD nahestehen und sind hier vor Ort schon anders auffällig geworden. Als sie wieder einmal vor meiner Praxis standen, habe ich rechtzeitig die Polizei gerufen und die wurden gestellt. Seitdem passiert hier gar nichts mehr. Auch im Netz ist es ruhiger geworden. Ob die beiden hinter den Accounts stecken, die mich bei Twitter verfolgt haben, weiß ich nicht. Aber ein Zusammenhang ist schon sehr deutlich erkennbar.

Welche Parallelen sehen Sie zum Fall von Frau Kellermayr?

Die auffälligste ist, dass es sich oft um dieselben Accounts handelt, die uns angegangen sind. Einer nannte sich "Anti Antifa" und hat mindestens zwei Jahre gegen viele Leute auf Twitter gehetzt. Mittlerweile ist er gesperrt, aber bei dem liefen viele Fäden zusammen. Lisa-Maria Kellermayr wurde in Mails ja noch viel schlimmer bedroht als ich. Da gibt es ein Interesse, Leute kaputtzumachen und zu verfolgen. Bei Lisa-Maria haben sie es leider geschafft.

Hatten Sie Kontakt zu ihr?

Ein bisschen schon, wir haben alle paar Tage gechattet und uns ausgetauscht. Zuletzt am Mittwoch, da ging es wie so oft um eine Seite, auf der sie ganz schlimm dargestellt wurde. Ich kann mir vorstellen, dass ihr die mediale Aufmerksamkeit in den letzten Monaten viel Druck genommen hat, das Echo war ja teilweise enorm. Das Echo ist dann aber irgendwann verebbt und es war Geduld mit den Ermittlungen angesagt. Dieses Warten ist zermürbend.

Frau Kellermayr hat sich in den vergangenen Monaten mitunter verzweifelt über mangelnde Unterstützung von Behörden geäußert. Was haben Sie erlebt?

Ich bin fast ausnahmslos vonseiten der Polizei sehr freundlich, hilfsbereit und geduldig behandelt worden. Allerdings muss ich auch sagen, dass bei den Polizeibehörden eine weitgehende Ahnungslosigkeit herrscht. Das werfe ich nicht den einzelnen Beamtinnen und Beamten vor, das große Ganze ist das Problem. Solange es noch so wenige spezialisierte Ermittler gibt und diese nicht viel besser miteinander zusammenarbeiten, wird sich daran auch nichts ändern. Da fehlt es an allem, sodass fast alle Ermittlungen erfolglos verlaufen. Das ist sträflich, und das macht Menschen mutlos.

Haben Sie Unterstützung von Kollegen bekommen?

Weder die Zahnärztekammer noch die Kassenärztliche Vereinigung in Schleswig-Holstein haben sich jemals an mich gewendet, mir Hilfe angeboten oder mich auch nur angerufen. Das sage ich ganz ohne Emotion, obwohl ich jahrelang im Vorstand der Kammerversammlung war und mich auch in der Bundeszahnärztekammer engagiert habe. Offenkundig ist das von null Interesse. Ich fürchte, in ein paar Monaten wird Lisa-Maria Kellermayr vergessen sein. Auch sie hat keinerlei nennenswerte Unterstützung von solchen Stellen erhalten.

Was hat Ihnen in dieser Zeit geholfen?

Ich habe hier vor Ort sehr, sehr viel Unterstützung erhalten. Die Leute sind zu mir gekommen, weil denen meine Haltung gefallen hat und sie diese Angriffe schrecklich fanden. Das hat mir sehr gutgetan.

Hat Frau Kellermayr diese Unterstützung nicht bekommen?

Wie es vor Ort war, weiß ich nicht. Ihre Situation war aber auch schlimmer: Sie hat mehr als 100.000 Euro für Sicherheitsmaßnahmen ausgeben müssen und musste dafür Schulden machen. Mitarbeiter haben gekündigt, sodass sie keine Chance hatte, das wieder reinzuholen. Bei ihr bestand sicherlich eine gewisse Hoffnungslosigkeit, nachdem sie aus wirtschaftlicher Not heraus ihre Praxis hatte schließen müssen. Was letztlich zu ihrem Tod geführt hat, weiß ich nicht.

Macht es Ihnen Angst, was Frau Kellermayr widerfahren ist?

Nein. Wenn man Angst hat, muss man gar nicht mehr weitermachen. Ich fürchte diese Menschen nicht, ich verachte sie. Mir ist auf Twitter schon gedroht worden, mich vor den Zug zu stoßen, mich zu zerstückeln, in eine Tiefkühltruhe zu tun, mich massenvergewaltigen zu lassen. Das sind armselige Menschen. Was jetzt mit Lisa-Maria Kellermayr passiert ist, ist furchtbar. Es macht mich traurig und ich kann nachempfinden, wie es ihr gegangen sein muss, obwohl ich diesen Schritt selber nie tun würde. Da bin ich vielleicht doch noch wieder ein ganz anderer Mensch.

Sie sind Zahnärztin, Frau Kellermayr war Hausärztin. Wie kann es sein, dass solche Medizinerinnen so einen Hass abbekommen?

Dieser Account "Anti Antifa" hat ein Manifest geschrieben, das wie eine Bedienungsanleitung erklärt, wie bestimmte, verletzliche Menschengruppen ausfindig und dann fertiggemacht werden können. Eine dieser Gruppen ist ganz klar die alleinstehender Frauen. Da werden gewisse Hebel genannt, um solchen Leuten persönlich und beruflich maximal zu schaden. Lisa-Maria ist ein Opfer dieser Agenda und dieser schlechten Menschen, die ihr Böses wollen.

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Was muss sich ändern?

Da müssen wir auf drei Aspekte schauen: die Ärzteschaft, die Polizei und die sozialen Netzwerke.

Fangen wir mit der Ärzteschaft an.

Die physische und psychische Gewalt gegenüber Personen in medizinischen Berufen nimmt massiv zu. Es braucht eine fachübergreifende Organisation, die rechtlich und psychisch berät und Vernetzung schafft. In den nächsten Jahren gilt es, medizinisches Personal aus Altersgründen tausendfach zu ersetzen. Wo sollen die herkommen, wenn es keine Unterstützung bei so etwas gibt? Da muss was getan werden, da muss richtig geholfen werden. Schnell und unbürokratisch. Ich bekomme ja mit, wie viele nicht mehr können.

Was ist mit den Ermittlungsbehörden?

Dazu habe ich ja schon was gesagt. Wenn ich teilweise so unstrukturiert und inkompetent arbeiten würde, wäre ich meine Approbation ganz schnell los. Es mangelt an Kompetenz, an Koordination und an Kommunikation.

Welche Rolle spielen die Betreiber sozialer Netzwerke?

Die müssen endlich dazu gebracht werden, alles dafür zu tun, dass deutsche Gesetze eingehalten werden. Wenn man Hassrede bei Twitter meldet, passiert da so gut wie gar nichts, auch nicht bei Verleumdung oder übler Nachrede. Das steht aber alles im Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Twitter zahlt lieber eine Millionenstrafe, als Daten herauszugeben. Ich bin nicht für mehr Kontrolle, aber die vorhandenen Gesetze müssen durchgesetzt werden.

Hinweis: Hier finden Sie sofort und anonym Hilfe, falls Sie viel über den eigenen Tod nachdenken oder sich um einen Mitmenschen sorgen.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Interview mit Anke Staffeldt
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