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Amoktat auf Zeugen Jehovas: Kurz zuvor bewarb der Schütze sein Buch


Mutmaßlicher Amokläufer Philipp F.
Er fantasierte vom "1.000-jährigen Reich" – und Satan

Von t-online, dpa, aby, law, mtt

Aktualisiert am 10.03.2023Lesedauer: 3 Min.
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Augenzeuge filmt das Drama: Vom Nachbargebäude aus ist der Schütze zu sehen. (Quelle: t-online)
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Polizei, Staatsanwaltschaft und Innenbehörde haben Informationen zur Bluttat in einem Gebäude der Zeugen Jehovas in Hamburg gegeben.

Bei den Schüssen in einem Gebäude der Zeugen Jehovas wurden am Donnerstagabend nach Angaben der Polizei acht Menschen getötet und acht weitere verletzt. Unter den Toten befindet sich demnach auch der mutmaßliche Täter.

Bei dem Mann handelt es sich um den 35 Jahre alten Philipp F., ein ehemaliges Mitglied der Zeugen Jehovas. Er habe die Gemeinde vor etwa anderthalb Jahren freiwillig, aber "nicht im Guten verlassen", so Thomas Radszuweit vom Staatsschutz.

Mutmaßlicher Schütze verfasste religiöse Schrift

Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) war Philipp F. seit 2015 in Hamburg gemeldet. Auf seiner Homepage schreibt er, dass er in Kempten im Allgäu in einem streng evangelikalen Haushalt aufgewachsen sei. Nach einer Banklehre habe er Betriebswirtschaftslehre in verschiedenen Städten Deutschlands studiert, seinen Master habe er in München absolviert. Am 22. Dezember veröffentlichte F. ein Buch mit dem Titel "The Truth About God, Jesus Christ and Satan: A New Reflected View of Epochal Dimensions". 306 Seiten auf Englisch zum Preis von 62,40 Euro als Taschenbuchausgabe.

F. selbst bezeichnete das Buch als "ein Standardwerk, wenn es um Theologie und Recht geht". Darüber hinaus werde "das Geheimnis des 1.000-jährigen Reiches Christi gelüftet und ein fundierter, auf Fakten basierender Ausblick gegeben". Das "1.000-jährige Reich" bezeichnet den Glauben an die Wiederkunft Christi, den sogenannten Millenarismus. Der Begriff wird auch allgemein als Bezeichnung für den Glauben an das nahe Ende der gegenwärtigen Welt verwendet.

"Entgegen der landläufigen Meinung sind Gott, Jesus Christus und Satan keine abstrakten Wesen im Himmel", heißt es in der Buchbeschreibung. "Nein, vielmehr haben wir es mit sehr mächtigen geistigen Wesen zu tun, die genau wie wir Menschen Gefühle haben und deshalb auch teilweise impulsiv handeln."

Social-Media-Post kurz vor der Amoktat

Noch am Donnerstag, wenige Stunden vor der Bluttat in Hamburg, postete F. auf seinem LinkedIn-Profil, dass die Verkäufe seines Buches gut liefen. Es habe eine "hundertprozentige Zufriedenheitsrate", kein Exemplar sei zurückgegeben worden.

Die Zahl der Buchrezensionen und Sterne-Bewertungen bei Amazon spricht allerdings eine andere Sprache: Bis Freitagmittag gab es keine einzige. So erfolgreich wie von F. behauptet, wird sich das Buch also wohl kaum verkauft haben.

Auf seiner Homepage bietet F. zudem Beratertätigkeiten an, unter anderem in den Bereichen "Controlling" und "Theologie". Auch was F. dort schreibt, deutet darauf hin, dass er wohl in einer Scheinwelt lebte: Für seine Dienstleistungen verlangte er mindestens 250.000 Euro plus 19 Prozent Mehrwehrsteuer pro Tag. Dafür verspricht er seinen Kunden "mindestens 2,5 Millionen Euro" Mehrwert.

Was F. auf seiner Webseite über sich schreibt, pendelt zwischen gewöhnlich und aberwitzig. Privat sei er "gerne aktiv und am liebsten in einer sonnigen Umgebung in Wassernähe". Sein Lieblingsverein sei der FC Liverpool, er sei bekennender Europäer und denke global, heißt es.

Auf der anderen Seite stellt er sich als Gründer und Geschäftsführer dar, ohne diese Behauptungen zu unterfüttern. Er schreibt Dinge wie: "Philipp F. steht für Integrität, Vertrauen und Spitzenleistung." Oder: "In meinem Beratungsansatz verfolge ich sowohl einen ganzheitlichen als auch einen interdisziplinären Ansatz." Er lobt seine "vielschichtige Erfahrung", die sowohl theoretisch als auch praktisch fundiert sei, und behauptet, ein Leistungsträger in den Bereichen Finanz- und Rechnungswesen, Banking, Chemie-, Rohstoff- und Energiewirtschaft zu sein. Auch beim Vertrieb von Mützen, T-Shirts und Pullovern sei er top.

F. besaß als Sportschütze eine halb automatische Waffe

F. habe seit dem 6. Dezember 2022 eine waffenrechtliche Erlaubnis als Sportschütze und seit dem 12. Dezember legal eine halb automatische Waffe besessen, hieß es auf der Pressekonferenz in Hamburg. Dabei habe es sich auch um die Tatwaffe gehandelt. Im Januar 2023 sei ein anonymer Hinweis eingegangen, dass die waffenrechtliche Zuverlässigkeit des Mannes überprüft werden müsse, sagte der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer.

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Der anonyme Hinweisgeber habe von einer nicht diagnostizierten psychischen Erkrankung gesprochen. F. begebe sich aber nicht in ärztliche Behandlung. Er habe laut dem Schreiben eine besondere Wut auf religiöse Anhänger, besonders gegen die Zeugen Jehovas, und auf seinen ehemaligen Arbeitgeber gehegt, sagte Meyer.

Mutmaßlicher Schütze nach anonymem Hinweis kontrolliert

Die Beamten hätten dem jedoch zunächst nicht nachgehen können, weil sie den Hinweisgeber nicht erreichen konnten. Man habe aber weiter recherchiert. Anfang Februar sei F. dann von zwei Beamten der Waffenbehörde unangekündigt aufgesucht worden. Dies sei eine Standardkontrolle gewesen, die nach einem anonymen Hinweis erfolgt. F. habe sich kooperativ gezeigt, sagte Meyer.

Es habe keine relevanten Beanstandungen gegeben. Allerdings habe ein Projektil außerhalb des Tresors gelegen. Der Mann habe sich einsichtig gezeigt und sich für den Fehler entschuldigt. Die rechtlichen Möglichkeiten seien damit ausgeschöpft gewesen. Auch Hinweise auf psychische Probleme hätten sich nicht ergeben. Erkenntnisse über einen möglichen Drogenmissbrauch des Mannes habe die Polizei Hamburg bisher nicht.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
  • Webseite von Philipp F.
  • Eigene Recherchen
  • Pressekonferenz von Polizei, Staatsanwaltschaft und Innenbehörde
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