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Köln: Selbsthilfegruppe betreut Angehörige von Corona-Opfern


Raum für Trauer, Wut und Hoffnung
Kölner Selbsthilfegruppe betreut Angehörige von Corona-Opfern

Von Thomas Dahl

24.02.2022Lesedauer: 4 Min.
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Zuhörer bei einem Vortrag (Symbolbild): Eine Selbsthilfegruppe in Präsenz suchte Betroffene Lily lange vergeblich – Online-Angebote empfand sie als steril.Vergrößern des Bildes
Zuhörer bei einem Vortrag (Symbolbild): Eine Selbsthilfegruppe in Präsenz suchte Betroffene Lily lange vergeblich – Online-Angebote empfand sie als steril. (Quelle: Shotshop/imago-images-bilder)

In einer Selbsthilfegruppe sollen hinterbliebene Angehörige von Corona-Opfern eine Anlaufstelle für ihre Trauer finden. Betroffene Lily hat das Projekt auf die Beine gestellt.

Keine Schlagzeile ohne Corona. In den vergangenen zwei Jahren beherrschte die Pandemie die Medien wie selten ein Thema zuvor. Wissenschaftler und Politiker analysierten, forderten, kritisierten und lobten Maßnahmen, die jedoch nicht das Leid der direkt Betroffenen zu lindern vermochten.

Laut statistischen Erhebungen des Robert Koch-Instituts führte das Virus bisher zu 121.902 Toten (Stand 23.2.22) in Deutschland. Jeder einzelne dieser Menschen hinterlässt Familien, Freunde, Bekannte, die mit diesem Verlust weiterleben.

Köln: Viele Hilfsangebote nur schwer zugänglich

Eine dieser Hinterbliebenen ist Lily [Name geändert, Anm. d. Red.]. Um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen und in Austausch mit anderen zu treten, suchte die kaufmännische Angestellte in Köln eine Selbsthilfegruppe.

Ihr Anliegen blieb jedoch erfolglos. Zwar bestehen Online-Angebote, doch diese offenbarten sich als schwer zugänglich und, gemessen an der emotionalen Thematik, aufgrund der räumlichen Distanz als steril.

Mit Unterstützung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands befindet sich nun eine spezifische Selbsthilfegruppe mit Präsenztreffen im Aufbau. In den kommenden Wochen soll neben weiteren Teilnehmenden eine Räumlichkeit für die geplanten Treffen gefunden werden.

"Verspüre den Drang, diese Emotionen rauszulassen"

"Es geht auch darum, die Wut und Enttäuschung über Dinge auszudrücken, die im Zuge der Corona-Pandemie falsch gelaufen sind, beispielsweise, dass viele Menschen alleine zurückgelassen im Altersheim gestorben sind", sagt Lily. "Ich verspüre einen großen Drang, diese Emotionen herauszulassen."

"Meine Mutter ist am 31.05.2021 in Süddeutschland auf der Intensivstation nach schwerem Coronaverlauf gestorben. Ich bemühe mich seit vier Monaten um die Gründung einer Selbsthilfegruppe", erzählt Lily.

"Würde heute nicht hier sitzen"

"Ich muss ganz klar sagen, dass ich heute nicht hier so sitzen würde, wenn ich nicht ein Umfeld aus Freunden und einer Achtsamkeitsgruppe, in der ich aktiv bin, gehabt hätte. Ich würde sonst bestenfalls in einer Klinik sitzen oder ich hätte mich umgebracht. In jedem Fall wäre ich arbeitsunfähig und würde starke Medikamente nehmen", sagt die 50-Jährige.

Lily wünscht sich einen Raum für Hinterbliebene, auch um ihr Umfeld zu entlasten. Denn die Auseinandersetzung koste alle Beteiligten Kraft. Wenn sich zudem noch Impfgegner unter den Freunden oder in der Familie befänden, könne die bisherige Beziehung zu Abstand oder gar zur Isolation führen. Eine Form der würdevollen Trauer habe sie bisher noch nicht erlebt, so die Initiatorin.

Intensivstation – nicht im Nachrichtenfernsehen

Ich war dort.
Corona-Intensivstation. In echt.
Meine Mama war dort.
An den Maschinen.
Meine Schwester war Samstag dort.
Sonntag ich.
Nur eine Person am Tag.

Corona
Mama im Koma.
Mamas Körper hustet am Schlauch.
Mama im Koma.
Ich auch.

Corona-Intensivstation
Samstag, Sonntag und Montag?
Montag ist Mama tot.

© Lily

"Wünsche mir einen Raum, wo ich nichts erklären muss"

Auch Tom [Name geändert, Anm. d. Red.] vermisst eine Anlaufstelle für den Dialog über Verlust und Schmerz. Der Sozialwissenschaftler musste am 28.01.21 seinen Vater beerdigen, der nach vierwöchigem Koma auf der Intensivstation an Covid-19 starb.

"Ich hatte die Hoffnung, dass es in einer Millionenstadt wie Köln Einrichtungen für diese Bedürfnisse gibt, dem war aber nicht so. Im Zuge meiner eigenen Trauerarbeit ist mir das unheimlich wichtig. Ich wünsche mir Raum, in dem der Verlust Platz hat, wo ich nichts erklären muss."

Paritätischer Wohlfahrtsverband unterstützt das Projekt

Diplom-Pädagogin Öznur Naz vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Köln hofft auf eine baldige Verwirklichung des Anliegens. Neben der Tätigkeit als direkte Kontaktadresse engagiert sich der Verband als Mitorganisator der zukünftigen Meetings.

"Wir haben gute Beziehungen zu Häusern, die den Leuten kostenlos oder zu geringen Mieten ein regelmäßiges Zusammenkommen ermöglichen können. Aus der konkreten Gestaltung der Gruppen halten wir uns aber heraus", erläutert Naz.

Grundsätzlich würden sich zehn bis zwölf Teilnehmende anbieten, die sich nach einem Gründungstermin selbst verwalten. Auf Wunsch würden den Mitgliedern zudem sogenannte "In-Gang-Setzer*innen", das heißt geschulte Personen, zur Verfügung gestellt, so die Mitarbeiterin der Selbsthilfestelle.

"Man möchte wissen, was im Hospital gemacht wurde"

Doch in den Aufeinandertreffen sei nicht nur das Artikulieren wichtig. Auch das Zuhören gehöre zu den wesentlichen Merkmalen, meint Tom. "Die Leute müssen die Möglichkeit haben, zu erzählen. Die Trauer ist ja auch für Partnerschaften belastend. Da sind Tipps der anderen willkommen, beispielsweise wie man damit umgehen kann", sagt er.

"Ich kann mir auch Hilfe bei der Anforderung von Krankenhaus-Akten vorstellen. Nicht jeder weiß, wie das geht. Man möchte aber wissen, was mit den jeweiligen Personen während des Aufenthalts im Hospital gemacht wurde", erläutert der Doktorand und Gruppen-Mitbegründer mögliche Inhalte der zukünftigen Runde.

Unterstützung von der Kirche blieb aus

Enttäuscht zeigen sich die Hinterbliebenen von der Institution Kirche. Unterstützung in ihrer Verzweiflung erfuhren Tom und Lily bisher von der Familie und Freunden.

"Die Kirchen machen für die Gläubigen viel zu wenig. Wir durften nicht ins Krankenhaus. Wir hatten nur den Ort des Friedhofs als Gestaltungsort für unsere Trauer", berichtet Tom.

"Die Kirchen haben auch eine Verantwortung für die Angehörigen und müssten sie unterstützen. Beispielsweise bei der Findung einer Räumlichkeit, in der wir uns treffen und austauschen können. Ich brauche weder Kerzen, die angezündet werden, noch Politiker, die uns ihr Mitleid aussprechen", sagt er.

Reaktion der Kirche: Bitte um Herausnahme aus Mailingliste

Auch Öznur Naz zeigt sich erstaunt über die bisherige Reaktion der Konfessionsvertreter. Demnach ergingen Presseerklärungen zum Thema "Selbsthilfegruppe für die Hinterbliebenen von Corona-Opfern" auch an die evangelischen und katholischen Repräsentanten.

"Ich dachte, das wäre eine hilfreiche und dankbare Information. Stattdessen war eine der ersten Rückmeldungen die Bitte um Herausnahme aus der Mailingliste. Andere versprachen, die Idee weiterzuleiten. Manche antworteten gar nicht", so Naz.

Am schmerzhaftesten sei das 'Unter-den-Teppich-Kehren'

Mit der Formung eines Kreises persönlich betroffener Menschen, die einen Menschen durch das Coronavirus verloren haben, soll auch ein klares Statement in die Gesellschaft gesendet werden.

Demzufolge wurde die Krankheit zwar überwiegend als lebensgefährdend wahrgenommen, jedoch im Laufe der Zeit auch in ambivalenter Weise verdrängt. "Was mir am meisten wehtut, ist das 'Unter-den-Teppich-Kehren'. Leute melden sich nicht mehr, weil sie Angst haben, mich auf das Thema anzusprechen", sagt Lily.

Hinterbliebene hinter den Todeszahlen sollen sichtbar werden

"Mein Appell lautet: Ihr Menschen, die ihr mitbekommt, dass ein Nachbar oder eine Nachbarin jemanden durch Covid verloren hat. Was kann euch schon passieren? Vielleicht redet ihr einfach mal darüber", schlägt Lily vor.

Die Selbsthilfe-Kontaktstelle Köln stellt seit mehr als 30 Jahren Informations- und Beratungsangebote bereit und unterstützt die Gruppen in ihrer Arbeit. Die Angebote umfassen rund 200 Themenbereiche und richten sich mitunter auch an Fremdsprachler.
Anschrift: Marsilstein 4-6, 50676 Köln
Tel.: 0221-95154216
E-Mail: selbsthilfe-koeln@paritaet-nrw.org
Website: www.selbsthilfekoeln.de

Trotz seiner Trauer möchte Tom nicht zum "Mitleids-Spot" werden. Er hofft, dass andere ihm offen signalisieren, wann etwa ein Gespräch zu anstrengend wird. "Ich bin mehr als diese Trauer und so möchte ich auch wahrgenommen werden", erklärt der 30-Jährige.

Hinweis: Hier finden Sie sofort und anonym Hilfe, falls Sie viel über den eigenen Tod nachdenken oder sich um einen Mitmenschen sorgen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Öznur Naz, Lily und Tom in den Räumlichkeiten des Paritätischen Wohlfahrtsverband Köln am 22.2.2022
  • Der Paritätische Köln
  • Corona-Fallzahlen des Robert Koch-Instituts
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