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Ein Demotraining der "Letzten Generation" in München: Das sind die neuen Klimaaktivisten


Training der "Letzten Generation"
Was tun, wenn der Autofahrer brüllt?

Von Christof Paulus

Aktualisiert am 20.12.2022Lesedauer: 7 Min.
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Die Mitglieder der "Letzten Generation" sorgen mit ihren Protestaktionen für viel Unmut in Deutschland.Vergrößern des Bildes
Die Mitglieder der "Letzten Generation" sorgen mit ihren Protestaktionen für viel Unmut in Deutschland. (Quelle: IMAGO/mufkinnphotos)

Viele verstehen sie nicht, lehnen sie ab, sind wütend auf sie. Zu Besuch bei denen, die sich trotzdem den Klimaaktivisten der "Letzten Generation" anschließen wollen.

Sie werden von Polizisten von der Straße getragen, Autofahrer brüllen sie an, bespucken oder schlagen sie. Das alles können die Aktivisten der "Letzten Generation" ziemlich gut ausblenden, schaffen es zumindest, sich nichts anmerken zu lassen: Ihre Mienen bleiben dabei stets unbeweglich, an ihren Gesichtern kann man nichts ablesen.

Im kleinen Kreis trainieren sie sich darin, all das auszuhalten. Und für diejenigen, die sich noch nicht auf die Straße geklebt haben, sind diese Trainings eine Gelegenheit, die "Letzte Generation" kennenzulernen. So wie am vergangenen Sonntag im Münchner Westend. Ein Dutzend Leute nimmt teil, eine Studentin, eine Rentnerin, Männer um die 40, viele Generationen sind vertreten. Zwei der Teilnehmer leiten den Kurs, sie haben Erfahrung bei Straßenaktionen.

Treffpunkt der Gruppe ist ein Seminarraum, vielleicht so groß wie ein Studentenappartement, mit Küchenzeile und Tischen und Stühlen, die auch in jede Volkshochschule passen würden. Er liegt im Untergeschoss eines Selbsthilfezentrums, ein passender Ort: Das Minimalziel, das der Protest bewirken kann, ist die Gewissheit der Aktivisten, zumindest nicht untätig gewesen zu sein. Immerhin das könnte helfen in der Verzweiflung, die die Aktivisten umtreibt. Denn: Politisch erreicht haben sie bislang nichts.

Wieso Menschen in München zur "Letzten Generation" gehen

"Wir machen so lange weiter, bis wir eine Lawine lostreten", sagt Moritz Sieghart, einer der Aktivisten, die das Training leiten, zu den anderen Teilnehmern. Damit das passiert, reicht es für die "Letzte Generation" nicht, unbequem zu sein, zu nerven und Aufmerksamkeit zu bekommen. Menschen müssten sich mit ihr identifizieren. Diejenigen, die heute hier sind, und mitmachen wollen, tun das schon jetzt – obwohl die meisten sich nicht mit Namen und fast niemand mit Bild dazu bekennen mag.

"Für mich ist das der naheliegendste Weg, sich einzubringen", sagt Sahra Al-Yassin. "Ich war auch bei 'Fridays for Future' auf der Straße. Die Demos haben aber nichts gebracht." Ihr Ziel sei es, sich irgendwann auch zu trauen, sich auf die Straße zu kleben. Über einen Freund sei sie zum Training gekommen, das könne ihr ein realistischeres Bild davon geben, wie die Situationen auf der Straße aussehen können. Auch wenn es heute nicht nach draußen geht und die Heizung den Raum wärmt.

Am Dienstag, da wird es anders sein. Da werden sich wieder Aktivisten in München auf die Straße kleben, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, um gegen die Klimapolitik der Bundesregierung zu demonstrieren.

Keine Zwänge bei Training der Klimaaktivisten in München

Eine der letzten Übungen an diesem Tag soll den Protest simulieren. Aktivist Sieghart legt Warnwesten bereit und Plakate, auf denen etwa "Letzte Generation" steht. Er teilt die Gruppe in zwei Teile, in Aktivisten und Autofahrer. "Wer sich in der Rolle als Autofahrer nicht wohlfühlt, muss das nicht machen", sagt Sieghart. Aufgabe wird es sein, die Gegenüber, die Aktivisten, zu bedrängen. Die hingegen sollen sich hinsetzen und versuchen, all das auszuhalten. Und vielleicht sogar zu deeskalieren. Ein Rollenspiel.

Was alle im Raum eint, ist Verzweiflung. Verzweiflung darüber, dass die Politik zu wenig tue, um eine Katastrophe aufzuhalten, die die Menschheit in ihrer Existenz bedroht. "Ich wünschte, ich hätte Macht, um mehr zu schaffen", sagt etwa Al-Yassin. Wie fast alle hier war sie schon vorher im Klimaschutz aktiv. Oft ist der erste Schritt dazu, sich zu engagieren, zu einem der öffentlichen Vorträge der Aktivisten zu gehen.

Aktionstrainings sind die nächste Stufe auf dem Weg in die Gruppe, über soziale Medien und Messengerdienste vernetzen sich die Mitglieder. Und so sind Al-Yassin und die anderen jetzt im Dunstkreis der "Letzten Generation". Ohne zu wissen, welche Rolle sie dort einnehmen möchten. Und obwohl ein Großteil der Deutschen die Aktionen ablehnt.

Warum viele gegen die Klimaaktivisten sind

Einer Umfrage von Civey im Auftrag der "Augsburger Allgemeinen" zufolge finden 81 Prozent das Vorgehen der Aktivisten falsch, noch mehr glauben sogar, dass die Aktionen ihrem eigentlichen Anliegen, dem Klimaschutz, schaden könnten. Einer der Kritikpunkte: Den Demonstranten fehle es an Empathie, zu stur, zu belehrend sei ihr Auftreten. Beobachtet man das Training in München am Sonntag, kann man zu dem Schluss kommen: So ist es gar nicht. Man kann aber auch viele Vorurteile bestätigt sehen.

Bevor das Rollenspiel beginnt, mit dem die Aktivisten den Ernstfall auf der Straße simulieren wollen, gibt Sieghart den Teilnehmern, die die Autofahrer spielen sollen, noch ein paar Worte mit. "Stellt euch vor, ihr seid auf dem Weg zu einem Elternteil, das im Sterben liegt." Einige stöhnen, bei manchen mischt sich ein Lachen dazu.

Heike, die am Training teilnimmt und nicht mit ihrem Nachnamen erwähnt werden möchte, sagt später dazu: "Da wüsste ich nicht, was ich der Person sagen soll. Oder wie ich mich verhalten würde." In den Neulingen arbeitet es merklich. Wen darf man blockieren? Und wen nicht?

Sieghart relativiert die Anweisung. "Oder denkt an ein Vorstellungsgespräch, ihr müsst zur Arbeit, zu einer Verabredung. Jedenfalls seid ihr unglaublich gestresst. Und jetzt sitzen Aktivisten vor euch, die euch aufhalten und nerven." Fünf Teilnehmer greifen sich die Plakate, setzen sich auf den Boden. "Wenn man die Warnweste trägt, merkt man, jetzt geht es richtig los", sagt einer von ihnen. Er hat recht.

Simulierte Gewalt gegen Klimaaktivisten in München

"Ich muss hier durch!", schreit Al-Yassin ihre Gegenüber an, ganz in der Rolle als gestresste Autofahrerin. Heike fleht, sie müsse bitte dringend durch, um ins Krankenhaus zu kommen. Währenddessen packen andere die Plakate und Menschen, reißen, ziehen und zerren sie zur Seite, bevor sie wieder zurück an ihren Platz in der Blockade krabbeln. Drei der Aktivisten haken sich unter, wehren sich gegen die Aggression der Autofahrer. "Weg hier", brüllt dafür einer der Fahrer in seiner Rolle.

So viel von dem, was die Aktivisten ausmacht, scheint hier durch – zum Beispiel die Chuzpe, sich selbst und das eigene Anliegen bedingungslos über die Probleme aller anderer zu stellen, selbst wenn es um Leben und Tod geht. Schließlich gehe es ihnen ja ebenso darum, Leben zu schützen, so ein Credo der Aktivisten. Nur wie, wann und wo, das entscheiden in diesem Moment sie alleine. Und doch irrt, wer sie bloß für ignorant oder empathiefrei hält.

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Sieghart weiß sehr wohl, was die Aktivisten den Autofahrern antun, ja antun müssen, wie er überzeugt ist. In der Regel will die "Letzte Generation" daher auch niemanden anzeigen, selbst wenn Autofahrer zuschlagen oder spucken. "Wir halten die Menschen von dem ab, was sie für wichtig halten", sagt Sieghart. "Sollen wir sie dann noch zusätzlich anzeigen?" Letztlich sei die Entscheidung jedoch jedem Demonstranten selbst überlassen.

Was ist dran an der Ablehnung der "Letzten Generation"?

So geben sich die Aktivisten nämlich auch: verständnisvoll für die Probleme der anderen der Gruppe. Wie er die Aggressionen und Beschimpfungen auf der Straße aushalte, will Al-Yassin von Sieghart wissen. Zunächst einmal sei es gar nicht so, dass sie von allen gehasst würden, auch wenn dies in den Medien so dargestellt werde, sagt er. Und wenn er dennoch Hass zu spüren bekomme, bilde die "Letzte Generation" ein "Netzwerk, das einen immer auffängt.

Sensibel im Umgang mit seinen Mitstreitern zu sein, ist ihm spürbar ein Anliegen. Das zeigt sich auch in den Übungen: Niemand muss eine Rolle übernehmen, die er nicht möchte. Und für den Fall der Fälle haben die Teilnehmer eine Losung vereinbart, mit dem sie aus der Übung und der Rolle ausbrechen können: "Realität."

Für jeden Autofahrer, der dringend vorbeimuss, denken die Aktivisten an eine Lösung: Medizinischer Notfall? Krankenwagen rufen, den lassen die Aktivisten durch. Wichtiger Termin? Mit der U-Bahn kann man weiterfahren. Es sind Versuche. Ob sie wirklich konkret helfen, ist zu bezweifeln.

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Heike merkt schnell: Gegen die Verzweiflung mancher Autofahrer, auch wenn sie nur von anderen Teilnehmer im Training gespielt wird, kommt sie nur schwer an. Angeschrien zu werden und herumgeschleift, das mache ihr jedoch weniger aus. "Da denke ich mir, mach du halt", sagt sie. Das Training soll ihr im Umgang damit helfen.

Was Klimaaktivisten zum Lachen bringt

Wie man sich von Polizisten wegtragen lassen kann, wenn man nicht eh freiwillig geht. Wie man sich vor Schlägen und Attacken der Autofahrer schützen kann. Oder wie man es schafft, mit aufgebrachten Autofahrern zu sprechen. Dafür hat die "Letzte Generation" einen Plan in fünf Schritten erarbeitet, Kommunikationsregeln, mit denen man versuchen kann, aufgeheizte Situationen zu entschärfen.

Die Liste ist eines von vielen Beispielen, mit denen sich das Vorgehen der Aktivisten skizzieren lässt. Oft wirken sie an klare Strukturen gebunden, auch in Gesprächen über ihre Motive hört man häufig Satzbausteine: "Wir müssen so protestieren, dass man uns nicht mehr ignorieren kann", heißt es oft. Oder: "Unsere Forderungen sind einfach umzusetzen, aber die Regierung blockiert sie." Da scheint es wieder zu passen: Das Stereotyp vom Aktivisten, der mantraartig einen strikten und ernsten Plan verfolgt, um sein Anliegen vor alle anderen stellen zu können. Aber auch das wird der Gruppe nicht gerecht.

Denn eines ist die Runde in München sicher nicht: spaßbefreit und einengend. So wichtig allen das Anliegen ist, so sehr bleibt Platz für Späße und Abweichungen. Als einer der Teilnehmer ein paar Tipps zum Entspannen in Stresssituationen vom Tablet abliest, fängt Al-Yassin laut zu Lachen an. "Das ist so unauthentisch", sagt sie und grinst. "Sorry!" Auch die anderen fangen an zu lachen, der Angesprochene auch über sich selbst.

"Also, wenn es einem auf der Straße zu viel wird, kann man an etwas Schönes denken", fährt er fort. "Etwa an ein Auto mit schöner Farbe." Wieder Gelächter. Klimaaktivisten, die die Wörter "Auto" und "schön" in einem Satz gebrauchen, das gehört wohl zu den Dingen, die man hier am wenigsten erwartet. Aber vielleicht ist auch das wieder zu einfach gedacht.

Gewaltfreiheit ist ein Thema bei Klimaaktivisten in München

"Die Autofahrer sind nicht unsere Gegner", sagt Sieghart. "Sie sind einfach Menschen, die in einem bestehenden System funktionieren wollen. Verantwortlich für das System sind andere." Die große Frage jedoch ist: Würden das auch die Autofahrer so sehen? Und was passiert, wenn die "Letzte Generation" mit ihrer Taktik auch weiter keinen Erfolg hat, die Aufmerksamkeit sich nicht in politisches Gewicht ummünzt?

Für Al-Yassin und die anderen im Raum ist klar: Sie werden immer gewaltfrei bleiben. "Es spricht mich an, dass die 'Letzte Generation' sich Gewaltfreiheit auf die Fahne geschrieben hat", sagt sie. Viele Juristen sehen das offenbar anders: Mehrere Aktivisten wurden für die Aktionen bereits wegen Nötigung zu Geldstrafen verurteilt. Und auch jetzt wieder sitzen einige Mitglieder der "Letzten Generation" im Gefängnis, in Präventivhaft, ohne Gerichtsverhandlung.

Das ist auch einer der Gründe, weshalb sich keiner der Teilnehmer am Sonntag dazu bereit erklärt, schon kurzfristig an einer Blockade teilzunehmen. Später vielleicht. Vorerst reicht es den meisten, Teil des Netzwerkes zu sein oder sich in der Öffentlichkeitsarbeit einzubringen. Auch das ist für die Klimaaktivisten in Ordnung und wichtig, gibt Sieghart der Runde zu verstehen. Es ist eben Klimakrise: Die "Letzte Generation" ist froh über jeden Mitstreiter.

Verwendete Quellen
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