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Bauruinen prägen das Ortsbild: Bad Wiessee verliert den Glanz eines Kurorts


Bad Wiessee im Wandel
Trümmerlandschaften statt bayerischer Idylle


06.01.2023Lesedauer: 4 Min.
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Keine Sicht auf den Tegernsee: Den Seeblick an dieser Stelle in Bad Wiessee versperrt seit Oktober ein Bauzaun. Dort könnte das Hoteldorf "Seegut" von BionTech-Investor Thomas Strüngmann entstehen.Vergrößern des Bildes
Keine Sicht auf den Tegernsee: Den Seeblick an dieser Stelle in Bad Wiessee versperrt seit Oktober ein Bauzaun. Dort könnte das Hoteldorf "Seegut" von BionTech-Investor Thomas Strüngmann entstehen. (Quelle: Klaus Wiendl)

Bad Wiessee am Tegernsee hat derzeit wenig mit einem idyllischen Kurort gemein: Einheimische wie Urlauber sind entsetzt. Die nächsten Jahre wird es wohl nicht schöner.

Reisende, die den Kurort Bad Wiessee ansteuern, haben zunächst einen traumhaften Blick von Gut Kaltenbrunn auf den Tegernsee. Doch kaum hat man die Spielbank am Berghang und das Ortsschild passiert, beginnt, je näher man der Ortsmitte kommt, eine andere Welt: zunächst auf der rechten Seite ein schon seit Jahren währender Bauzaun. Hier wollte ein Investor auf dem seit 2009 brachliegenden Areal schon längst eine Seniorenwohnanlage errichtet haben.

Keine hundert Meter weiter erblickt der Besucher ein Gelände, übersät mit zerschlagenen Ziegeln, gesplittertem Beton und halb abgerissenen Gebäuden: Nahe der Ortsmitte wird gerade ein alter Hotelkomplex dem Boden gleichgemacht. Gewaltige Baumaschinen prägen die Trümmerlandschaft, von der Idylle eines Kurortes ist man meilenweit entfernt.

Die Vorsitzende der Schutzgemeinschaft Tegernseer Tal (SGT) erschaudert beim Anblick der Ruinen. "Es ist einfach grauenvoll", klagt Angela Brogsitter-Finck auf Nachfrage von t-online, "nachdem es in Wiessee aussieht wie im Krieg, ist es mir ein Rätsel, dass da überhaupt noch ein Mensch Urlaub macht und für diesen Ort auch noch Kurtaxe zahlt". Kurruhe bekommt man trotz Kurtaxe von drei Euro pro Person und Tag auch nicht mehr, sie wurde wegen der Großprojekte abgeschafft.

Bad Wiessee erinnert manchen Besucher an Kriegsgebiete

Manchen Gästen reicht es, sie nehmen Reißaus. Und fragen sich, womit Bad Wiessee den Zusatz "Bad" noch rechtfertigen wolle, schreibt ein Urlauber aus dem Rheinland in der "Tegernseer Zeitung". An Trümmergrundstücke in der Ukraine habe er sich als Fernsehschauer bereits gewöhnt. Dass aber "diese schreckliche Wirklichkeit in der Urlaubsregion Tegernsee Einzug gehalten" habe, veranlasse ihn, künftig einen anderen Ort im Tal aufzusuchen.

Ganz furchtbar sei es für ihn, was er sehe, wenn er durch den Ort schlendere, sagt auch Grünen-Gemeinderat Johannes von Miller im Gespräch mit t-online. "Wir sind im Ortszentrum in einer furchtbaren Situation. Wir hätten gerne alte Bausubstanzen erhalten, aber es war nicht möglich".

Ähnlich äußert sich auch Bürgermeister Robert Kühn (SPD) im "Gemeindeboten". Er wisse, "dass die Brachflächen und Schuttberge, die Bauzäune, die Baustellen und der geschlossene Gasthof 'Zur Post' keinen schönen Anblick bieten. Die Attraktivität unseres Orts ist für eine gewisse Zeit beeinträchtigt". Aber er halte es mit dem Spruch von Ex-Bundespräsident Gustav Heinemann: "Wer nichts verändert, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte".

Unweit der Seepromenade in Bad Wiessee klafft eine offene Wunde

Davon kann Wiessees Rathauschef ein Lied singen. Die Gemeinde wollte im einstigen Kurviertel etwas Neues neben der denkmalgeschützten, aber ziemlich verfallenen Wandelhalle entstehen lassen. Schweizer Investoren blendeten die Gemeindeväter mit einem Großprojekt: Auf dem ausgedienten 18.000 Quadratmeter großen Jodbad-Gelände sollte ein Mega-Hotel mit medizinischem Funktionsgebäude errichtet werden. Ein "Stararchitekt" hatte die Pläne entworfen. Zum Leidwesen der Gemeinde haben die Investoren diese Entwürfe allerdings schnell wieder verworfen – das Geld ging wohl aus. Vor bald vier Jahren erfolgte ein Baustopp. Seitdem klafft eine offene Wunde unweit der Seepromenade, abgeschirmt durch verwitterte Bauzäune.

Völlig verwaist steht nun das vor über zwei Jahren eröffnete Jodbad in der Brachlandschaft. Über 10 Millionen Euro hat es gekostet, entworfen vom "Stararchitekten", sollte es dem desaströsen Kurbetrieb mit tiefroten Zahlen wieder auf die Beine helfen. Doch die Zeiten haben sich gewandelt. Kaum jemand kommt noch zur Kur nach Bad Wiessee, die Gäste bleiben höchstens ein paar Nächte. Und sie wollen lieber Wellness statt stinkendes Schwefelwasser.

Früher waren die wochenlangen Aufenthalte in Kurorten generell auf Anwendungen und Amüsements ausgerichtet. Doch seit Mitte der Neunzigerjahre ist Schluss mit dem medizinischen Müßiggang. CSU-Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer strich mit seiner Gesundheitsreform die Kassenleistungen zusammen. Ein Kurort wie Bad Wiessee musste dies ausbaden. Es war der Anfang des Verfalls von Beherbergungsbetrieben. Kaum noch jemand investierte in Sanierungen. Ein Hotel nach dem anderen machte dicht. Die Folgen sind jetzt zu sehen. Überall dort, wo alte Hotelkästen standen, sollen neue entstehen.

Unter anderem soll, so war im vergangenen Jahr zu hören und zu lesen, ein Haus der Barefoot-Kette (eine eingetragene Marke von Schauspieler und Regisseur Til Schweiger) am Tegernsee entstehen. Und ein neues Hotel wurde auch errichtet, allerdings auf Mallorca. Das Haus eröffnete statt in Bad Wiessee am 1. Juli auf der Baleareninsel. Am Tegernsee dagegen tut sich optisch nichts – außer ein paar zaghaften Baggerversuchen vor etlichen Wochen, ein Bauantrag steht noch aus.

Bad Wiessee drohen jahrelang riesige Baustellen im Ort

Doch bei diesen architektonischen Albträumen bleibt es für Bad Wiessee nicht: Auch der Badepark, das einzige Hallenschwimmbad am Tegernsee, wurde Opfer der Abrissbirne. Ob und wann ein neues Wellnesszentrum mit Hallenbad entstehen wird, steht in den Sternen. Zumindest gebe es schon einen Arbeitskreis mit den anderen Talgemeinden, die sich an der Finanzierung beteiligen sollen. Eine "Willensbekundung" hätten sie schon abgegeben, ist von Beteiligten zu hören.

Und ausgerechnet an der Seepromenade, dem Herzstück einer jeden Tegernsee-Gemeinde, dürfte auf Jahre hinaus die größte Baustelle entstehen: Bauzäune versperren die Sicht auf ein 30.000 Quadratmeter großes Areal. Dort will Pharma-Milliardär Thomas Strüngmann (BionTech) schon seit 2018 Jahren ein Luxushotel errichten. Etliche Entwürfe wurden bereits verworfen. Nun hofft er auf die Baugenehmigung für ein ganzes Hoteldorf mit 24 Häusern. Als Kosten für den neuen "Ortsteil Strüngmann" werden 200 Millionen Euro genannt.

Sollte demnächst wirklich der Spatenstich erfolgen, so werden Jahre der regen Bautätigkeit am schönsten Teil von Wiessees Seeufer vergehen. Ruhe wird man dort wohl kaum finden. So bleiben nur Erinnerungen an die vergangene Zeit. Zusammengefasst im Buch "100 Jahre Bad Wiessee" der Gemeinde. In diesem wurde laut Bürgermeister Kühn "unser schöner Ort im Wandel der Zeit in Szene gesetzt".

Verwendete Quellen
  • eigene Recherchen, Gespräch mit Johannes von Miller (Gemeinderat), Angela Brogsitter-Finck (SGT), Bürgerbote Bad Wiessee, Pressemeldung Barefoot-Hotels
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