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FC Bayern, Türkgücü, 1860: In München ist Fußball einfach nicht so wichtig


Maue Meisterfeiern der Bayern
In München ist Fußball einfach nicht so wichtig

Von Christof Paulus

Aktualisiert am 14.05.2022Lesedauer: 6 Min.
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Joshua Kimmich, Tanguy Nianzou und Leon Goretzka (von links) feiern die Meisterschaft des FC Bayern mit Weißbier (Archivbild): Auch beim zehnten Titel in Folge brach bei der Feier keine Ekstase aus.Vergrößern des Bildes
Joshua Kimmich, Tanguy Nianzou und Leon Goretzka (von links) feiern die Meisterschaft des FC Bayern mit Weißbier (Archivbild): Auch beim zehnten Titel in Folge brach bei der Feier keine Ekstase aus. (Quelle: ULMER/imago-images-bilder)

Zehn Mal in Folge sind die Bayern jetzt Meister geworden, eine rauschende Feier gibt es in der Stadt aber nicht. Auch andere Vereine kämpfen. Zwischen der Stadt und dem Sport steht ein großes Missverständnis.

Zum ersten Mal seit Ausbruch der Corona-Pandemie feiert der FC Bayern wieder einen Titel auf dem Marienplatz, Tausende Fans werden am Sonntag am Rathaus erwartet. Doch schon vorher ist klar: Es dürfte recht ruhig werden, das Fest im Rahmen bleiben. Für Ekstase sind die Bayern-Fans nicht bekannt, auch andere Vereine leben in München vor allem von ihrer Geschichte. Und das in der Stadt, die den Rekordmeister beheimatet und Deutschlands Fußball-Hauptstadt sein soll?

Der Rückhalt aus Politik und Gesellschaft für den Profifußball in der Stadt war noch nie besonders ausgeprägt, sagt Christoph Leischwitz. Der Autor begleitet das Sportgeschehen in der Stadt seit vielen Jahren, berichtete über den TSV 1860 wie die Bayern, schrieb ein Buch über die Fankultur des FCB. Ausgerechnet die beiden großen Stadien, in denen der FC Bayern seit den Siebzigern gespielt hat, seien ein Beweis dafür, dass die Stadtpolitik für Fußball nicht besonders viel übrig habe.

Die Allianz Arena ist bedeutend für München

Das Olympiastadion, für die Spiele 1972 gebaut, und die Allianz Arena seien große Treiber für den Erfolg der Bayern gewesen. Für die Arena entschieden sich die Münchner vor 20 Jahren mit großer Mehrheit in einem Bürgerentscheid. "Aber ich bezweifle, dass die Abstimmung auch so ausgefallen wäre, wenn es nur um ein Stadion für zwei Profivereine gegangen wäre", sagt Leischwitz. Entscheidend für die Allianz Arena sei stattdessen gewesen, dass dort Spiele der Weltmeisterschaft 2006 stattfanden.

Dass das Publikum in der Arena bei Bayern-Spielen eher dem eines Opernpublikums gleiche, ist ein gern erzählter Vorwurf aus anderen Fanlagern. "Und da ist auch was dran", sagt Leischwitz. Die Bayern hätten Fußball "für höhere Gesellschaftsschichten attraktiv gemacht", sagt er.

Weltweit sei der Verein eine Marke, kaum etwas aus der Stadt sei überall so bekannt wie der FC Bayern. Das Interesse daran ist auch in München riesig, ist Leischwitz überzeugt. Das sehe man an den Trikots, die Schulkinder tragen, an den Mitgliedszahlen, die seit Jahren in die Höhe wachsen. Aber Stimmung mache davon nur ein kleiner Teil.

Münchner Publikum mit besonderem Verhältnis zu Fußball

Zudem gibt es in München einige Besonderheiten, die Leischwitz zu erkennen glaubt: Das Publikum in der Stadt, darunter viele junge, zugezogene Menschen, interessiere sich auch für andere Sportarten als Fußball, etwa für Trendsportarten, oder nutze die Naherholungsgebiete in der Nähe, etwa die Alpen. Und wenn es dann einmal um Fußball geht, hätten es andere Vereine als die Bayern schwer.

Ein Problem, von dem auch Türkgücü München oder die SpVgg Unterhaching ein Lied singen können. Türkgücü meldete im Laufe der Saison nach eineinhalb Jahren in der dritten Liga Insolvenz an. Ein Investor hatte den Verein nach oben gezogen, aber ein Stadion, das zur echten Heimat wurde, fand der Verein nie.

Der Erfolg ließ nach, als der Investor sich zurückzog. Unabhängig davon gelte aber ohnehin: "Für Türkgücü ist in der Stadt einfach kein Platz mehr", sagt Leischwitz. Und Unterhaching kommt trotz zweier Saisons in der ersten Liga zu Beginn des Jahrtausends über den Status als Vorstadtklub nicht hinaus, ist wieder viertklassig.

FC Bayern wird auch 2022 vorzeitig Meister

Dass bei den Bayern indes die Euphorie nach dem zehnten Meistertitel überschaubar ist, sei "irgendwo auch klar", wie Leischwitz findet. Schon nach dem Spiel gegen Dortmund vor drei Wochen war Bayern der Titel nicht mehr zu nehmen, am vergangenen Samstag wurde dem Team die Meisterschale überreicht.

Die Stimmung im Stadion bei beiden Gelegenheiten hatte nichts von einer Eskalation. "Aber gehen Sie mal 15 Tage in Folge auf die Wiesn", sagt Leischwitz. "Da lässt die Begeisterung auch nach." Nichtsdestotrotz: Die schwache Stimmung bei Meisterfeiern sei schon vor der Serie ein Problem in München gewesen, erinnert er sich.

Dass München deshalb keine Lust auf Fußball haben könnte, befürchten Fans der beiden großen Fanlager aber nicht. "Wenn Sechzig aufsteigen würde, gäbe es in ganz Giesing kein Bier mehr", sagt Benedikt Lankes, der Wirt des Löwenstüberls. In der Fankneipe von 1860 im Stadtteil Giesing ist man sicher, dass die Fans immer noch "Champions-League-Niveau" haben, wie Lankes sagt – jedenfalls für einen Drittligaverein.

Tatsächlich sind die meisten Heimspiele der Sechziger ausverkauft. Das Grünwalder Stadion, in dem der Verein spielt, fasst allerdings nur 15.000 Zuschauer. Und auch in den Zweitligajahren, als der TSV sich mit den Bayern die viel größere Allianz Arena teilte, kamen im Schnitt nur etwa 20.000 Zuschauer ins Stadion, den obersten Rang öffnete der Verein gar nicht erst.

1860 München wird in Allianz Arena nie heimisch

"Das lag aber auch am Stadion", sagt Lankes. Wenn auch als gemeinsames Projekt verkauft, sehen viele Löwen-Fans die Arena bis heute als fremd an. 2006 verkaufte der Verein seine Anteile, war in der Folge nur noch Mieter – bis zum sportlichen Absturz in die Regionalliga 2017 und dem folgenden Umzug, zurück ins Grünwalder Stadion.

"Das war das Beste, was dem Verein passieren konnte", sagt Lankes. Mit den Bayern wolle er nichts zu tun haben, grenzt klar ab zwischen dem "Verein" 1860 auf der einen Seite, der auch Wert auf den Breitensport lege – und dem "Unternehmen" FC Bayern auf der anderen, wie er sagt. Der Abstieg 2017 habe Sechzig daher wieder "zurück nach Hause" geholt.

Eine Abgrenzung nimmt auch Wolfgang Bauer vor, wenn auch von anderer Seite. Der Münchner ist Vorsitzender des Fanklubs "Farmer and Friends Bayern Power". Ein Markenzeichen der Bayern: "Wir haben unfassbar viele Fans, die auch aus anderen Teilen Deutschlands oder der Welt kommen", sagt er. "Riesen-Bock" hätten die auf Fußball und den FC Bayern, sonst wäre das Stadion nicht immer ausverkauft.

Meisterfeier der Bayern wieder auf dem Marienplatz

Bauer selbst habe sowieso Lust. Natürlich gehe er am Sonntag zum Feiern auf den Marienplatz. "Alleine, um die Leistung der Mannschaft zu honorieren", sagt er. "Zehn Titel in Folge ist auch ein Grund zu feiern." Aber warum wird die Stimmung dann vermutlich erneut verhalten sein? "Das wäre überall so. Irgendwann setzt ein Gewöhnungseffekt ein."

2022 komme noch hinzu, dass das überraschende und frühe Aus in der Champions League gegen Villareal auf die Stimmung drücke. Und der Verein ziehe eben auch Fans an, die sogar beim Fußball ruhig bleiben, sagt Bauer: die Schickeria. Er stößt damit ins gleiche Horn wie Leischwitz, wenn der das Klischee vom Münchner Opernpublikum beim Fußball erklärt.

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Für den Münchner Fußball sei die Rivalität zwischen Bayern und Sechzig auch manchmal ein Problem, vermutet Susanne Bischler. Sie engagiert sich in der Abteilung Vereinsgeschichte von 1860; wenn sie nach Frankfurt, Köln oder ins Ruhrgebiet schaut, scheint ihr der Rückhalt für den jeweils lokalen Verein in diesen Städten deutlich größer zu sein. "Dort sind die Fans aber auch nicht in Lager gespalten", sagt sie.

Dennoch: Eine Begeisterung, wie sie Eintracht Frankfurt derzeit auf seinem Weg ins Europapokal-Finale begleitet, könnten die Münchner Fans auch entfachen. "Wir Löwen fahren auch überall hin", sagt Bischler. Von einem Auswärtsspiel in Finnland etwa erzählt sie, zu dem treue Fans das Team im Jahr 1997 begleiteten. Dennoch: Eine Größenordnung wie die 30.000 Frankfurter in Barcelona kürzlich schafften die Löwenfans nicht.

Europapokal-Geschichten kann auch 1860 München erzählen

Bischler berichtet von Leuten in München, die die Nase rümpfen würden, wenn man vom Fußball erzählt. "Der gesellschaftliche Rückhalt für den Fußball ist nicht da", sagt sie.

Wie aber hat es der FC Bayern geschafft, einer der erfolgreichsten Vereine der Welt zu werden – aus einer Stadt kommend, die ihm und seinem Sport immer mal wieder die kalte Schulter zeigt? "Bayern hat es – wie Mönchengladbach – in den Siebzigern mit als Erstes verstanden, dass man mit Fußball Geld verdienen kann", sagt Autor Leischwitz.

München ist für den FC Bayern fast egal

Auch wenn weder Olympiastadion noch Allianz Arena für den Verein gebaut wurden, habe der es geschickt geschafft, den Vorteil der großen Stadien für sich zu nutzen. Mit dem Olympiastadion stiegen die Einnahmen rapide an, die Infrastruktur wie die starken Einzelspieler damals – Franz Beckenbauer, Gerd Müller oder Sepp Maier – münzte der Verein auch dank Manager Uli Hoeneß und seiner Vorgänger über die Jahre in eine sportliche Vormachtstellung um.

In der Gegenwart wird das zum Pfund für die Bayern. Heute sei der Verein von den Problemen in der Stadt weitgehend losgelöst, analysiert Leischwitz. Wer die Meistertitel elf, zwölf oder 13 verhindern soll, ist aktuell nicht abzusehen. Wie wichtig das den Münchnern ist, macht da wohl keinen Unterschied.

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit Christoph Leischwitz, Susanne Bischler, Wolfgang Bauer und Benedikt Lankes
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