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"Putin-Versteherin": Entsetzen über Vortrag von Krone-Schmalz in Reutlingen


Experten kritisieren "Putin-Versteherin"
Entsetzen über Vortrag von Krone-Schmalz

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Von Michael Ströbel

Aktualisiert am 09.01.2023Lesedauer: 6 Min.
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Gabriele Krone-Schmalz in einer Talkshow (Archivbild): Die ehemalige Moskau-Korrespondentin polarisiert – insbesondere seit Beginn des russischen Angriffskriegs.Vergrößern des Bildes
Gabriele Krone-Schmalz in einer Talkshow (Archivbild): Die ehemalige Moskau-Korrespondentin polarisiert – insbesondere seit Beginn des russischen Angriffskriegs. (Quelle: teutopress/imago images)

Die Vorwürfe gegen Gabriele Krone-Schmalz wiegen schwer: Sie sei russlandnah, eine Putin-Versteherin und betreibe Kreml-Propaganda. Und doch geht ihr Video viral.

Ein Vortrag der Volkshochschule (VHS) Reutlingen sorgt im Internet für reichlich Furore. Mehr als 1,3 Millionen Aufrufe hat das zugehörige Video inzwischen zu verzeichnen. Gehalten hat ihn Gabriele Krone-Schmalz, und er trägt den Titel "Russland und die Ukraine". In dem Video wird sie vom Geschäftsführer der VHS, Dr. Ulrich Bausch, als Russland-Expertin vorgestellt. Doch in der Wissenschaft ist sie äußerst umstritten. Einige renommierte Wissenschaftler werfen ihr gar Kremlpropaganda vor. Die VHS Reutlingen hatte sie jedoch "sehr, sehr gerne im Programm", wie ihr Geschäftsführer Bausch betont.

Doch wer ist die Referentin überhaupt? Gabriele Krone-Schmalz war zwischen 1987 und 1991 ARD-Korrespondentin in Moskau. 2008 verlieh Wladimir Putin ihr die Puschkin-Medaille – "in Anerkennung ihres Beitrages zur Festigung der Freundschaft und der Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland".

Krone-Schmalz bezeichnet Annektion der Krim als "Notwehr"

Sie ist Autorin diverser Bücher zum Thema Russland und war bis zum Beginn des Ukraine-Krieges regelmäßig in Talkshows zu Gast. Inzwischen ist sie aber nicht mehr so häufig im Fernsehen zu sehen. "Aus Zeitgründen" und bisweilen auch, weil ihr die Besetzung der Sendungen nicht zusagte, wie sie in der Fragerunde nach ihrem Vortrag behauptet.

Der Kern ihres Vortrags lässt sich in etwa so zusammenfassen: Die Nato-Osterweiterung habe "Russland provoziert" und dessen "berechtigte Sicherheitsinteressen verletzt", sagt Krone-Schmalz. Die Ukraine sei nur der "Handlanger des Westens" und Russland würde "vom Westen dämonisiert", der in seiner Arroganz die "ausgestreckte Hand Putins nicht angenommen" habe.

Russland sei deshalb zur Verteidigung gezwungen worden, Provokatoren oder gar Aggressoren seien die USA und die Nato, beziehungsweise der Westen.. Auch die Annexion der Krim sei "Notwehr unter Zeitdruck" gewesen, sagt Krone-Schmalz. Die Völkerrechtsverletzungen, die Russland in der Ukraine verübt, werden mit keiner Silbe erwähnt oder gar kritisiert. Sie könne sich "den Krieg auch nicht erklären", sagt Krone-Schmalz dazu und ergeht sich wenig später in schrägen Vergleichen, etwa wenn sie die Zerstörung des syrischen Aleppo durch Russland und das Assad-Regime mit dem Sturm der US-Truppen auf Kabul vergleicht; gar zu entschuldigen versucht.

"Krone-Schmalz ist eine Fürsprecherin für Putins Regime"

All das findet sich auf dem YouTube-Kanal der Volkshochschule Reutlingen, auf dem das Video das mit Abstand erfolgreichste ist. In den Kommentaren dort herrscht vornehmlich Begeisterung – doch an anderen Orten schlägt Gabriele Krone-Schmalz scharfe Kritik entgegen. Eine der entschiedensten Stimmen gegen die ehemalige ARD-Korrespondentin ist Franziska Davies. Sie lehrt und forscht an der Ludwig-Maximilians-Universität München zu osteuropäischer Geschichte.

"Gabriele Krone-Schmalz ist ganz sicher keine Russlandexpertin, sondern eine Fürsprecherin für Putin und Putins Regime", sagt sie zu t-online. "Dass dieses Video durch die VHS Reutlingen jetzt auf YouTube herumirrt, ist wirklich problematisch. Immerhin genießen Volkshochschulen eine gewisse Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit und haben deswegen eine besondere Verantwortung", so Davies weiter.

"Sie hat schon immer mehr Verständnis für Russland aufgebracht als für Russlands Opfer. Dass die so gut wie nicht vorkommen, zieht sich durch ihr gesamtes Werk. Das ist inakzeptabel", so Davies, die auch auf eine Studie aus dem Jahr 2015 verweist, die sich mit dem Deutsch-Russischen Forum und dem Petersburger Dialog beschäftigt – zwei Vereine, in denen Krone-Schmalz aktiv ist. Der ins Deutsche übersetzte Titel der Studie lautet: "Die Trojanischen Pferde des Kremls".

Ihrer Meinung nach sei der Vortrag eine "Verhöhnung von Russlands Opfern". Das Vorgehen sei systematisch: "Verdrehungen, Halbwahrheiten, Auslassungen von zentralen Fakten bis hin zur Desinformation". Waffenlieferungen zur Selbstverteidigung fände Krone-Schmalz "schlimm", stattdessen empfehle sie "Geheimdienstdiplomatie, ohne freilich die Frage zu beantworten, wie diplomatische Lösungen aussehen können in einem Krieg, in dem der Aggressor sein Opfer vernichten will", schließt Davies.

Tübinger Professor äußert Kritik

In dieselbe Kerbe schlägt auch Klaus Gestwa. Er ist Professor an der Universität Tübingen und forscht dort unter anderem zur Zeitgeschichte Russlands. Der Direktor des Instituts für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde der Universität sagt: "Wenn es der VHS um Reichweite ging, dann dürften sich die Verantwortlichen auf die Schulter klopfen."

Dafür sei dann "allerdings ihre politische Verantwortung auf der Strecke geblieben", so die deutlichen Worte des Osteuropa-Experten. Ärgerlich findet er nicht nur "die bedenklichen Narrative, die Gabriele Krone-Schmalz verbreitet, sondern auch, wie sie vonseiten der VHS zelebriert worden ist", so Gestwa zu t-online.

Er spielt damit auf die überschwengliche Begrüßung von VHS-Geschäftsführer Bausch an – und darauf, wie er ihr auch in der Fragerunde im Anschluss an den Vortrag beiseite steht und sie präventiv gegen Kritiker verteidigt. "Wer eine umstrittene Person zum Vortrag einlädt, sollte dieser nicht eine große öffentliche Bühne zur Selbstinszenierung bieten, sondern die diskutablen Aussagen kritisch begleiten. Im Fall der VHS Reutlingen gab es vor allem Lobhudelei. Das wirft Fragen auf."

Russland verteidigen statt verstehen

"Ich bin ehrlich frustriert darüber, dass jemand, der journalistische und wissenschaftliche Mindeststandards nicht einhält und außerdem gut vernetzt ist mit dem russischen Regime, uns jahrelang als 'Russland-Expertin' präsentiert wurde", sagt Franziska Davies zu t-online. Die Münchner Wissenschaftlerin ergänzt: "Glauben Sie mir, das ging und geht fast allen Osteuropa-Fachleuten so." Gabriele Krone-Schmalz nenne ihre Arbeit selbst "Russland verstehen", doch das tue sie nicht, "sondern eher Russland verteidigen".

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In einer langen Reihe von Beiträgen nahm sich Davies auf Twitter die Ausführungen von Krone-Schmalz vor. Dafür erhalte sie viel Zuspruch, angeblich aber auch Anfeindungen und mehr. Näher wollte sich Davies dazu zunächst nicht äußern.

VHS Reutlingen ignoriert Warnungen

Auch Tage nachdem Krone-Schmalz den Vortrag gehalten hat, zieht er im Netz weiter seine Kreise. Dabei gab es im Vorfeld Warnungen an die Reutlinger Volkshochschule: "Einige Kollegen und ich hatten im Vorfeld die VHS angeschrieben und darauf hingewiesen, dass Frau Krone-Schmalz ganz sicher keine seriöse Expertin ist. Ich habe keine Antwort erhalten. Auch auf Twitter gab es viel Kritik an dieser Programmentscheidung", so Franziska Davies.

Klaus Gestwa bestätigt t-online, ebenfalls der Volkshochschule in seiner Nachbarstadt geschrieben zu haben. "Die Mailkorrespondenz gestaltete sich wenig erfreulich. Ich musste feststellen, dass die VHS weiß, was sie tut", verriet er t-online.

VHS-Leiter Bausch: "Das grenzt an Rufmord"

Darauf angesprochen sagt Ulrich Bausch, Geschäftsführer der VHS Reutlingen: "Es gab, wie ich finde, sehr unqualifizierte Versuche, Druck auf die Volkshochschule Reutlingen auszuüben, diese Veranstaltung abzusetzen." Dem habe er demonstrativ nicht nachgegeben: "Ich lasse mir doch nicht von irgendeiner Kampagne vorschreiben, was in der Demokratie gesagt werden darf oder was nicht. Das grenzt an Rufmord", sagt er und betont, dass er manches selbst anders sehe als Krone-Schmalz. Ihre Perspektive sei dennoch wichtig: "Es geht doch darum, dass wir in der pluralistischen Demokratie auch plural ein breites Meinungsspektrum zu Gehör bringen müssen."

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Franziska Davies machen solche Aussagen wütend: "Es liegt in der Verantwortung von Volkshochschulen, dass man keine Meinungen zu Expertisen erhebt, so wie das hier geschehen ist", sagt sie zu t-online. Die VHS habe hier als Gatekeeper ebenso versagt wie viele Talkshows, die Krone-Schmalz in der Vergangenheit bereits eine Bühne boten. Sie würde mit ihr deshalb auch nie ein Podium teilen, "weil man sie damit als ernst zu nehmende Position legitimieren würde". Dass dies dennoch regelmäßig geschehe, zeuge von wenig Fachwissen bei Verantwortlichen und in den Medien – oder von Ignoranz beziehungsweise der Hoffnung auf eine kontroverse Diskussion.

Zurück zum VHS-Geschäftsführer: Ulrich Bausch sei zwar "absolut der Meinung, dass wir die Ukraine unterstützen müssen und dass wir dafür sorgen müssen, dass die Ukraine eine nicht von Russland beherrschte und lebendige Demokratie sein kann". Doch er sagt auch: "Die Behauptung, dass wir diesbezüglich hier auf dem richtigen Weg sind und dass wir mit dieser aktuellen Strategie erfolgreich sein werden, die ist ja nicht gesetzt." Deshalb habe er Krone-Schmalz ein Forum geben wollen, um auch andere Wege und Gedanken zu beleuchten.

Einschüchterungsversuche als Teil der Empörungskultur

Kritisch sieht er die Einschüchterungsversuche: "Zu glauben, man hätte das Recht, Druck auf andere auszuüben", das sei eine neue Form der "Empörungskultur". "Und das ist etwas, was ich nicht besonders souverän finde im Umgang mit Andersdenkenden."

Klaus Gestwa indes findet auch dafür deutliche Worte: "'Cancel Culture' ist oftmals das Wutgeheul derjenigen, die für ihren offensichtlichen Unsinn öffentliche Kritik ernten. Der Leiter der VHS Reutlingen sollte sich lieber Gedanken darüber machen, welche Gefahren von Gabriele Krone-Schmalz' Narrativen für unsere Demokratie und besonders für die Ukraine ausgehen", so der Osteuropa-Forscher.

Die Entscheidung der Reutlinger Volkshochschule indes scheint Bestand zu haben. Und so zieht das Video im Internet weiter seine Kreise.

Hinweis: Auf unsere Fragen hat Gabriele Krone-Schmalz bislang nicht geantwortet.

Verwendete Quellen
  • Video der VHS Reutlingen auf Youtube
  • Recherche auf Twitter
  • Telefonat mit Franziska Davies, Universität München
  • Telefonat und schriftliche Anfrage bei Klaus Gestwa
  • Telefonat mit Ulrich Bausch, Geschäftsführer der VHS Reutlingen
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