Mehr Demut, bitte
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung ΓΌbernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Der HSV muss nach der Niederlage in der Relegation ein weiteres Jahr in der 2. Liga verbringen. Der Klub tΓ€te gut daran, sich endlich auch als Zweitligist zu begreifen.
Zum fΓΌnften Mal in Folge ist der Hamburger SV denkbar knapp am Aufstieg in die 1. FuΓball-Bundesliga vorbeigeschrammt. Dieses Mal war die HΓΌrde VfB Stuttgart in der Relegation zu hoch. Doch gescheitert ist der Klub nicht nur an den Schwaben, sondern vor allem an der Selbstwahrnehmung.
Denn der Abstieg 2018 ist schon lΓ€ngst kein Betriebsunfall mehr. Die Zweitklassigkeit des grΓΆΓten Klubs Norddeutschlands ist zum Dauerzustand geworden. In den vergangenen Jahren mag der verpasste Sprung in die Bundesliga auf den ersten Blick viele GrΓΌnde gehabt haben. Trainer und Spieler kamen und gingen, Jahr fΓΌr Jahr fanden neue UmbrΓΌche statt. Auch in der eigenen FΓΌhrungsriege war der HSV immer wieder fΓΌr Schlagzeilen gut. Ruhe kehrte selten ein.
Doch diese Probleme waren nur oberflΓ€chlich. Was sich kontinuierlich durch den Verein zog, war das eigene Anspruchsdenken, zu HΓΆherem berufen zu sein. FΓΌr den neutralen Beobachter wirkte es so, als wΓΌrde der HSV die 2. Bundesliga auch im fΓΌnften Jahr hintereinander nur als Durchgangsstation sehen.
Wer mit dieser Einstellung durch die Saison geht, der ist in den entscheidenden Partien trotz sportlicher QualitΓ€t nicht bei der Sache. Oder: Wer in einer Saison zweimal gegen den Aufsteiger 1. FC Magdeburg verliert, kann nicht erwarten, aufzusteigen.
Der Aufstieg wΓ€re grundsΓ€tzlich machbar gewesen
Dass der HSV grundsΓ€tzlich das Format eines Bundesligisten hat, soll dabei nicht infrage gestellt werden. Mit Spielern wie Robert Glatzel, Ludovit Reis und Sonny Kittel darf durchaus vom Oberhaus getrΓ€umt werden. Dass der Klub zudem zu den grΓΆΓten im Land zΓ€hlt und in SchrebergΓ€rten von Kiel bis Nordrhein-Westfalen HSV-Flaggen wehen, ist unbestritten und zeigt, welche Strahlkraft der Verein landesweit noch immer besitzt.
Genauso wenig sollte vergessen werden, dass der Aufstieg in diesem Jahr so machbar gewesen wΓ€re wie nie zuvor. Mit Bremen und Schalke war Hamburgs grΓΆΓte Konkurrenz bereits in der Vorsaison in die Bundesliga marschiert. Potenziellen Erstligisten wie DΓΌsseldorf, Paderborn, St. Pauli, Hannover und NΓΌrnberg fehlte die Konstanz; sie dΓΌmpelten im Tabellenmittelfeld herum. Die Chance, den Aufstieg endlich zu packen, war also gegeben fΓΌr die MΓ€nner mit der Raute. Allein die Herangehensweise war die falsche.
Walters Parolen setzen den Klub unter Druck
Denn in Hamburg sprachen gefΓΌhlt die ganze Saison schon wieder viel zu viele vom Aufstieg. Ganz vorne dabei: Tim Walter. Der HSV-Coach war der erste Trainer seit dem Abstieg, der sich lΓ€nger als eine Saison in der Hansestadt halten konnte. Das spricht fΓΌr ihn und auch fΓΌr den Wunsch nach KontinuitΓ€t beim HSV. Doch der Trainer befeuerte wieder und wieder das Denken, der Klub sei zu gut, zu groΓ, zu einzigartig fΓΌr das Unterhaus. Und fiel damit jetzt sprichwΓΆrtlich auf die Schnauze.
Bestes Beispiel: Im MΓ€rz 2023 verlor der HSV mit 2:4 in Karlsruhe. Die Fans der Heimmannschaft verhΓΆhnten die Norddeutschen daraufhin mit dem Lied "Nie mehr 1. Liga". Tim Walter reagierte im Anschluss hitzig. "Die, die sagen 'HSV, immer 2. Liga', die wissen nicht, dass wir nΓ€chstes Jahr in der 1. Liga spielen", sagte er dem NDR.
Einen Monat spΓ€ter verloren Walter und der HSV beim 1. FC Kaiserslautern. Eine Woche vor dem Derby gegen St. Pauli. Auf die Frage nach der Vorbereitung sagte er: "Wir mΓΌssen heute erstmal ein bisschen runterfahren und dann wollen wir am Freitag drei Punkte holen. St. Paulis Spiel gucke ich nicht, ich gucke nie zweite Liga."
Ein Indiz dafΓΌr, wie der Trainer tickt. Das Motto lautete wohl: Wir sind etwas Besseres als ihr. Ihr werdet es schon noch sehen.
Walters Aussagen machten den Klub immer wieder angreifbar, weil sie den Druck auf alle Beteiligten unnΓΆtig erhΓΆhten. Mit den Aufstiegsparolen des Trainers war und ist niemandem geholfen. Was dem HSV in solch einer Situation besser getan hΓ€tte und kΓΌnftig tun wΓΌrde, wΓ€ren Aufrichtigkeit und Demut.
Selbstakzeptanz als Weg aus der 2. Liga
Das heiΓt, sich nicht treiben lassen von Kommentaren ΓΌber die ominΓΆse FrΓΌhjahrsschwΓ€che, die den Klub nun fΓΌnf Saisons in Folge den Aufstieg gekostet hat. Sich nicht treiben lassen von dem GefΓΌhl, eigentlich in die 1. Liga zu gehΓΆren, sondern vielmehr sich selbst als Zweitligist zu akzeptieren, um aus dieser Position heraus ein neues AufbruchsgefΓΌhl zu generieren. Sprich: ein HSV, der sich nicht ΓΌber seine LigazugehΓΆrigkeit definiert, sondern ein HSV, der seine ZweitligazugehΓΆrigkeit in sein aktuelles SelbstverstΓ€ndnis mit aufnimmt.
Aus dieser Position heraus wΓΌrde der Klub sich selbst weniger verwundbar machen. Er wΓ€re mit sich selbst im Reinen. Fans, Verantwortliche, Spieler und vor allem der Trainer mΓΌssen deshalb der Wahrheit ins Auge blicken: Der HSV ist ein Zweitligist. Wenn endlich alle im Verein das verstanden haben, wird ein Aufstieg in den nΓ€chsten Jahren viel wahrscheinlicher.
- kicker.de: "Walter: "Die wissen nicht, dass wir nΓ€chstes Jahr in der ersten Liga spielen""
- Eigene Recherche