Gregor Gysi Berlin-Derby? "Ein Union-Siegtor in letzter Minute hätte etwas"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der Linken-Politiker vor dem Duell mit Hertha BSC über seine Begeisterung für die "Eisernen", Gefahren für den Fußball – und die einzige Aktie, die er als bekennender Sozialist besitzt.
Am Samstag wird Bundesliga-Geschichte geschrieben. Zum ersten Mal treffen Union Berlin und Hertha BSC in der höchsten deutschen Spielklasse aufeinander (ab 18.30 Uhr im Live-Ticker bei t-online.de). Der Aufsteiger und die Herthaner repräsentieren Ost und West der Hauptstadt, unterschiedliche Vereinshistorien – und unterschiedliche Fanlager.
Gregor Gysi verfolgt beide Vereine bereits seit Jahren. Der langjährige Fraktionsvorsitzende der Linken im deutschen Bundestag (2005–2015) und gebürtige Berliner ist Mitglied der "Eisernen", hat die sportliche Entwicklung der Köpenicker verfolgt, ist als Fußballfan genauso meinungsstark wie als Politiker.
Im Interview spricht der Bundestagsabgeordnete über sein Wunschergebnis für das Derby, die Entwicklung des Fußballs in den neuen Bundesländern, Gefahren für den Sport – und die einzige Aktie, die er als bekennender Sozialist besitzt.
t-online.de: Als Bodo Ramelow 2014 als erster Politiker der Linken zum Ministerpräsidenten eines Bundeslandes gewählt wurde, hatten Sie Tränen in den Augen. Wann hatten Sie aber zum letzten Mal beim Fußball Tränen in den Augen?
Gregor Gysi (71): Emotionen schlagen ja meist dann hoch, wenn man direkt bei einem Ereignis dabei ist. Das schaffe ich beim Fußball leider zu selten. So konnte ich beim entscheidenden Spiel um den Aufstieg von Union gegen Stuttgart nicht im Stadion sein. Sonst hätte ich dort nach dem Schlusspfiff vielleicht so etwas erlebt.
Und was müsste beim Derby Union gegen Hertha am Samstagabend passieren, dass Sie ähnlich bewegt sind?
Es geht auch ohne Tränen, aber ein Siegtor von Union in letzter Minute hätte schon etwas. Selbstverständlich ist es mir lieber, wenn der Ausgang des Spiels zugunsten der Köpenicker schon früher klar wäre.
Fußball lebt von Emotionen. Was bedeutet das Spiel für Berlin?
Es ist das erste Zusammentreffen in der Bundesliga. Union hat lange und hart dafür gearbeitet, dass man jetzt auf Augenhöhe mit Hertha steht. Auch Hertha hatte den einen oder anderen Rückschlag zu verkraften. Berlin kann stolz sein, dass hier zwei Erstligavereine beheimatet sind. Ich hoffe, es wird ein Fußballfest, von dem man in der Hauptstadt noch lange schwärmt.
Gut 30 Jahre nach dem Mauerfall ist der ostdeutsche Fußball in der höchsten deutschen Spielklasse mit zwei Vereinen vertreten. Ist noch mehr Aufholarbeit nötig?
Rein geografisch gesehen sind es ja drei, aber Hertha tut sich mit dem Osten nach wie vor wohl etwas schwer. Und die Unioner wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, mit dem Verein aus Leipzig in einen Topf geworfen zu werden. Da sind Werdegang und Voraussetzungen Welten auseinander. Selbstverständlich wäre es gut, wenn es noch mehr Ost-Vereine in die 1. Bundesliga schafften. Dresden, Rostock, Cottbus waren da ja schon. Ich hoffe, dass es in den nächsten fünf Jahren zumindest ein weiterer Klub schafft und Union oben bleibt.
Die Kommerzialisierung des Fußballs nimmt immer weiter zu, große Vereine wie Paris Saint-Germain oder Manchester City stehen sinnbildlich für einen fast zügellosen Kapitalismus. Als bekennender Sozialist: Sehen Sie da eine Gefahr für den Sport?
Wenn für einen Spieler eine Ablösesumme von über 200 Millionen Euro gezahlt wird und Fußballvereine inzwischen Milliarden-Unternehmen sind, bleibt die Seele des Fußballs auf der Strecke. Entscheidungen, wie die Fußball-WM nach Katar zu vergeben oder eine Art europäische Superliga zu bilden mit den Spitzenvereinen, sind rein vom Geld bestimmt. Das kann diesen Sport kaputt machen.
Welche Chancen haben da dauerhaft Vereine mit beschränkten finanziellen Möglichkeiten? Mit dem Erfolg steigen dann ja auch – zumindest kurzzeitig – die Einnahmen.
Wenn man es ungebremst so weiterlaufen lässt, werden die Chancen kleinerer Vereine immer geringer. Das lässt sich auch nicht durch sportlichen Erfolg aufholen. Natürlich haben auch potente Vereine wie der FC Bayern mal eine Schwächephase. Aber das sind dann Ausnahmen.
Union lebt auch von seiner Fankultur, Sie sind Vereinsmitglied. Haben Sie an der Aktion "Bluten für Union" 2004 teilgenommen oder am Stadion mitgebaut?
"Bluten für Union" hat die tiefe Verbundenheit der Unioner mit ihrem Verein und zugleich ihre soziale Verantwortung eindrucksvoll gezeigt. Mein Blut ist durch Medikamente für andere nicht mehr verwendbar. Den Bau der neuen Haupttribüne habe ich mit dem Kauf einer Aktie unterstützt. Das ist übrigens die einzige Aktie, die ich besitze.
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Als Fan und als Vereinsmitglied: Schafft Union den Klassenerhalt?
Die Mannschaft ist auf einem guten Weg und kommt immer besser mit den Anforderungen der Bundesliga zurecht. Alle ziehen an einem Strang. Der Pokalspielsieg in Freiburg (3:1, Anm. d. Red.) wird zusätzliche Kräfte frei machen. Ich bin optimistisch, dass die typischen Union-Tugenden den Verein in ein weiteres Jahr Bundesliga tragen.