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Marcel Halstenberg: "Wahnsinn, über was wir uns in Deutschland aufregen"


Nationalspieler Marcel Halstenberg
"Fast Wahnsinn, über was für kleine Dinge wir uns in Deutschland aufregen können"

InterviewVon Benjamin Zurmühl

06.03.2020Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Marcel Halstenberg: Der Nationalspieler ist in Leipzig eine feste Größe.Vergrößern des Bildes
Marcel Halstenberg: Der Nationalspieler ist in Leipzig eine feste Größe. (Quelle: Sportimage/imago-images-bilder)

In einem jungen Leipziger Team ist Marcel Halstenberg ein alter Hase. Aufgrund seiner Erfahrung ist er ein wichtiger Mann im Team von Julian Nagelsmann. Doch der Nationalspieler hat nicht nur Fußball im Kopf und hat wenig Verständnis für kleinliche Debatten in Deutschland.

Wer mit Marcel Halstenberg spricht, hört oft das Wort "Familie". Möglichst jede freie Minute will er mit seiner kleinen Tochter und seiner Frau verbringen. Viel Freizeit bleibt ihm in der aktuellen Saison nämlich nicht. Bundesliga, Champions League, Pokal und Nationalmannschaft bestimmen seinen Terminkalender.

Der Außenverteidiger von Rasenballsport Leipzig ist ein gefragter Mann. Seit vier Jahren befindet sich Halstenberg auf der Überholspur. Er stieg in die Bundesliga auf, wurde in Leipzig zum Führungsspieler und gab sein Debüt für die Nationalmannschaft. Sein später Durchbruch überraschte auch ihn selbst. Im Interview mit t-online.de sprach er über Förderer Ralf Rangnick, seine Ziele mit der Nationalmannschaft und die deutsche Kultur.

t-online.de: Vor fünf Jahren haben Sie in der zweiten Liga für den FC St. Pauli gespielt. Heute stehen Sie kurz vor dem Rückspiel im Champions-League-Achtelfinale gegen Tottenham Hotspur. Haben Sie damals damit gerechnet, dass Ihre Karriere noch so einen Weg nehmen könnte?

Marcel Halstenberg (28): Ich habe nicht unbedingt damit gerechnet. Es war ein steiniger und langer Weg. Ein Traum war es allemal. Ich habe gerne den Spielern in der Champions League und der Nationalmannschaft zugeschaut. Das alles selbst zu erleben, daran habe ich nicht gedacht.

Was waren denn damals Ihre Ziele?

Ich bin ein Mensch, der ein großes Ziel hat, sich aber auf dem Weg dahin kleinere Ziele setzt. Damals wollte ich in die Bundesliga und dort Fuß fassen und bin dann von St.Pauli nach Leipzig gewechselt, weil mich die Perspektive überzeugt hat. Ralf Rangnick war da die entscheidende Person.

Was hat er damals in Ihnen gesehen?

Er hatte damals ähnliche Gedankengänge, wie ich sie hatte. Nur, dass er schon damals an die Champions League und die Nationalmannschaft gedacht hat. Dass es dann schon zwei Jahre später mit der Champions League geklappt hat, hat uns alle überrascht.

Sie haben einen großen Bruder, der auch Fußball gespielt hat. Er war aber eher in kleineren Ligen aktiv, hatte weniger Aufmerksamkeit, wurde aber auch weniger kritisch von der Öffentlichkeit beäugt. Waren Sie manchmal neidisch auf ihn?

Neid empfinde ich keinen. Natürlich stehe ich etwas mehr in der Öffentlichkeit als er, aber für mich ist es noch human. Ich werde hier in Leipzig immer wieder auf der Straße erkannt, aber wenn ich mit der Familie unterwegs bin, dann wird das auch respektiert. Mein Bruder war für mich immer ein Vorbild. Er war bei uns im Heimatklub, ich bin nachgezogen. Er ging zu Hannover 96, ich bin nachgezogen. Eine schwere Verletzung hat seine Karriere dann ins Stocken geraten lassen, und danach kam er leider sportlich nicht mehr auf das allerhöchste Niveau. Aber auf sein "ruhiges" Leben bin ich nicht neidisch.

Würde es Ihnen schaden, bei einem noch größeren Klub mit noch mehr Aufmerksamkeit zu spielen?

Ich denke nicht. Ich bin ein Mensch, der relativ entspannt ist. Ich würde mich auch als "fannah" beschreiben. Ich nehme mir immer Zeit für Autogramme und Fotos. Wenn ich jetzt überdurchschnittlich oft nach Selfies gefragt werden würde, zum Beispiel wenn ich beim Essen mit der Familie bin, wäre das natürlich nicht ganz so günstig, aber generell mache ich das sehr gern. Ich höre von anderen Spielern, dass deren Fans teilweise weniger Verständnis haben.

Die Fans stecken dann aber auch in einem Zwiespalt. Zum einen wollen sie ein Autogramm von Ihrem Star, auf der anderen Seite die Freizeit respektieren. Inwieweit ist es schwer, den Fans das klarzumachen?

Ich gebe gerne Selfies und finde, dass Profis das auch machen sollten. Das gehört dazu. Ich bin mir aber ebenso im Klaren, dass eine Handlung auch falsch aufgefasst werden kann. Zum Beispiel: Du bist mit deiner Familie in der Innenstadt und eine Menschentraube sieht dich und jeder will ein Selfie. Nach 50 Selfies und ein paar Autogrammen, die man als Profi ja sehr gerne gibt, sagst du aber dem 51., dass du jetzt gerne Zeit mit der Familie verbringen willst. Dann besteht die Gefahr, dass so etwas eventuell falsch aufgefasst wird. Der enttäuschte Fan sieht dich dann vielleicht abgehoben und unfreundlich an, obwohl es nicht böse gemeint ist. Aber dafür muss man Verständnis haben, wenn man in der Öffentlichkeit steht.

Zurück zu Ihrer sportlichen Karriere: Sie haben spät den Durchbruch geschafft, machen aktuell mit 28 noch einige Entwicklungssprünge. Wann Sind Sie an Ihrem Zenit?

Ich habe in meiner Kindheit viel Zeit für diesen Traum investiert und mir macht Fußballspielen immer noch unglaublich viel Spaß. Die letzten fünf Jahre ging es für mich glücklicherweise stetig aufwärts. Ich bin mit RB Leipzig aufgestiegen, habe mich in der Bundesliga durchgesetzt, habe Champions League gespielt und bin Nationalspieler geworden. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich fühle mich auch auf meiner neuen Position als linker Innenverteidiger in der Dreierkette sehr wohl. Hier steckt noch viel Potenzial in mir und ich kann viel lernen. Wann ich an meinem Zenit sein werde, weiß ich nicht.

Erhöht diese neue Position auch Ihre Chancen in der Nationalmannschaft? Schließlich fehlt dort seit dem Aus von Mats Hummels ein guter Linksfuß im Abwehrzentrum.

Das macht mich natürlich variabler. Gerade in der Innenverteidigung gibt es kaum Linksfüße in der Nationalmannschaft. Die Jungs sind natürlich auch gut mit dem schwachen Fuß, keine Frage. Aber das ist für mich auf jeden Fall ein Vorteil, dass ich sowohl auf der linken Außenbahn als auch im linken Abwehrzentrum spielen kann.

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Planen Sie mit der EM im Sommer?

Das ist selbstverständlich ein großes Ziel von mir. Es wäre eine weitere Etappe und tolle Erfahrung in meiner Karriere. Aber bis dahin gibt es noch wichtige Spiele mit Leipzig zu absolvieren. Wir wollen in der Champions League weiterkommen und in der Bundesliga oben mitspielen. Was nach der Saison ist, werden wir sehen. Aber ja, ich habe die EM im Hinterkopf.

Ralf Rangnick war ein großer Förderer von Ihnen. Seit dem Sommer 2019 ist Julian Nagelsmann Ihr Trainer. Wie hat er Sie beeinflusst?

Er hat mir viele neue Impulse gegeben, gerade im Spiel mit dem Ball. Er fordert nicht nur von der Offensive, torgefährlich zu sein. Er hat in der Saison gesagt: "Ein guter Außenbahnspieler sollte bei mir auf fünf bis zehn Tore und Assists kommen." Dieser Ehrgeiz macht es natürlich auch aus.

Julian Nagelsmann arbeitet nach klaren Prinzipien, will zum Beispiel keinen "One-Touch"-Fußball. Welche Aspekte seiner Arbeit haben sich bei Ihnen ins Gedächtnis gebrannt?

Wir reden sehr viel über ein kontrolliertes Abspiel. In vielen Fällen sind zwei Kontakte einfach besser, um einen genaueren Pass zu spielen und den jeweiligen Angriff so zu verbessern. Von mir als Außenbahnspieler hat er auch gefordert, oft in die Mitte zu rücken oder beim Steil-Klatsch hinter den Ball ins Zentrum zu ziehen und so das Spiel zu beschleunigen.

Was ist "Steil-Klatsch"?
Für einen Steil-Klatsch-Spielzug sind drei Spieler von Nöten. Spieler A spielt einen flachen Steilpass vertikal in die Richtung des gegnerischen Tors. Spieler B ist der Passempfänger. Er steht mit dem Rücken zum gegnerischen Tor und legt den Ball ab bzw. lässt ihn "klatschen". Spieler C steht zwischen den beiden Spielern und nimmt den abgelegten Pass entgegen. Er steht mit dem Gesicht zum gegnerischen Tor und stößt dadurch mit dem Ball in den freien Raum.
Kurzform: A passt zu B, B legt für C ab, C nimmt den Ball und läuft nach vorne.

Sie zählen in dieser Mannschaft zu den Älteren.

Und ich werde nicht jünger, wie man sieht (lacht).

Wie sieht der Trainer Ihre Rolle als Mensch im Team?

Ich gehe davon aus, dass er weiß, was er an mir hat. Ich bin eigentlich ein etwas ruhigerer Typ, aber mit meiner derzeitigen Positionsänderung ins Zentrum greife ich auch verbal mehr ins Spiel ein. Ich bin mir bewusst, dass meine Rolle als Führungsspieler wichtiger wird. Gerade, wenn uns gleichaltrige oder routiniertere Spieler wie Stefan Ilsanker oder Diego Demme verlassen.

Julian Nagelsmann hat vor einigen Wochen die mangelnde Geduld bei einigen jüngeren Spielern kritisiert. Wie ist Ihr Blick darauf?

Die Ansprüche bei unseren Talenten sind sehr hoch. Das ist an sich gut und es ist verständlich, wenn jemand enttäuscht ist, wenn er nicht spielt. Aber Fußball ist ein Teamsport. Da sollte man sich erst mal hintenanstellen, wenn der Trainer das in dem Moment so sieht. Da darf man nicht wegrennen, sondern sollte versuchen, sich mit Leistungen auf dem Platz zu beweisen. Geduld ist wichtig. Auch ich wollte mit 18 gerne Bundesliga spielen, aber musste akzeptieren, dass ich noch nicht so weit war.

Welche Dinge wollen Sie an jüngere Spieler weitergeben?

Geduld, Ruhe und Respekt. Respekt gegenüber den Spielern, die auf dem Platz stehen und sich für das Team einsetzen. Dazu ist mir auch Ehrlichkeit wichtig. Meiner Meinung nach kann man nur Schaden anrichten, wenn man nicht ehrlich ist.

Abseits der Kabine haben Sie sich zuletzt mit "Viva con Agua" für sauberes Trinkwasser in finanziell ärmeren Ländern eingesetzt. Wie kam es dazu?

Ich bin gerade dabei, mich sozial noch mehr zu engagieren und mich für den guten Zweck einzusetzen. Ich will etwas zurückgeben von dem, was ich durch den Fußball bekommen habe. Der erste Kontakt mit "Viva con Agua" war beim FC St. Pauli, dort haben wir ein Fotoshooting mit der Organisation gemacht. Es wird aber noch mehr kommen.

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Sie sagen, Sie wollen sich noch mehr engagieren. Gab es für diese Entscheidung einen Knackpunkt?

Meine Frau und ich engagieren uns schon länger für soziale Zwecke und unterstützen seit gewisser Zeit einige Tierschutzvereine, weil wir auch zwei Hunde haben. Wir hängen es aber nicht an die große Glocke. Lukas Klostermann und ich sind auch Paten einer Schule und wollen dort helfen. Genauso ist es auch mit dem sauberen Trinkwasser. Ich will darauf aufmerksam machen und meinen Status als Sportler dafür nutzen.

In Deutschland ist sauberes Trinkwasser normal. Inwieweit weiß man in Deutschland diese einfachen, aber wichtigen Dinge nicht genug zu schätzen?

Wir leben in Deutschland sehr privilegiert, es geht uns sehr gut. Die Standards sind hoch. Wir können einfach den Wasserhahn aufdrehen und Wasser trinken. Ich war noch nicht in einem Land, in dem das nicht so war. Aber über Freunde oder Kollegen wie Serge Gnabry konnte ich Einblicke in diese Länder bekommen. Die Menschen dort sind trotzdem glücklich mit dem, was sie haben. Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen.

Dagegen wirken viele Probleme in Deutschland sehr klein.

Genau. Es ist in Teilen fast Wahnsinn, über was für kleine Dinge wir uns in Deutschland aufregen können. Das sind im Vergleich Kleinigkeiten, über die tagelang geredet wird. Ich will auf jeden Fall vorleben und meinen Beitrag dazu leisten, dass es die Menschen in Deutschland mehr zu schätzen lernen, was sie haben.

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