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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Giulia Gwinn Sie ist längst raus – und bleibt trotzdem

Die EM sollte ihr erstes Turnier als DFB-Kapitänin sein, dann verletzte sich Giulia Gwinn aber früh. Und doch ist sie nun wichtiger denn je.
Aus Zürich berichtet Kim Steinke
Vor dem EM-Viertelfinale gegen Frankreich kam das deutsche Team zum üblichen Kreis zusammen. Die Spielerinnen, Trainer und weitere Mitglieder lauschten dabei den Worten ihrer Kapitänin: Giulia Gwinn. In Trainingsklamotten und mit einem entschlossenen Blick schwor sie ihr Team auf das bis dato wichtigste Spiel des Turniers in der Schweiz ein – mit Erfolg.
Deutschland setzte sich im Elfmeterschießen mit 6:5 durch und erreichte das EM-Halbfinale. Und obwohl Gwinn nach ihrer Innenbandverletzung nicht mehr auf dem Platz stehen kann, gab sie der Rolle einer Spielführerin eine ganz neue Bedeutung. Denn Kapitänin zu sein bedeutet mehr, als nur die Binde auf dem Platz zu tragen.
Das Bild vom Mannschaftskreis passt zu einer Geschichte, die eigentlich ganz anders hätte beginnen sollen. Gwinn übernahm die Kapitänsbinde von der im vergangenen Jahr zurückgetretenen Alexandra Popp. Die EM bekam eine besondere Bedeutung für die Spielerin des FC Bayern und sollte ihre erste als Kapitänin werden. Im Vorfeld des Turniers stellte sie sich der Öffentlichkeit, das Interesse an ihr wuchs, und Gwinn wurde zum Gesicht des deutschen Teams.
Doch nach nur 36 Minuten schien alles vorbei zu sein: Im EM-Auftaktspiel (2:0) warf sich Gwinn im letzten Moment in einen Schuss von Polens Torjägerin Ewa Pajor – und verletzte sich dabei schwer. Zwar versuchte sie es noch einmal, doch musste sie nach 40 Minuten ausgewechselt werden. Nur Stunden darauf die Diagnose: Gwinn erlitt eine Innenbandverletzung und fällt voraussichtlich mehrere Wochen aus. Die EM war für sie vorbei – zumindest sportlich.
"Die richtige Position als Kapitänin"
Für das Team bedeutete es einen herben Verlust auf und neben dem Platz. Jule Brand sprach nach dem Polen-Spiel von einem "Schock", Janina Minge, die die Kapitänsbinde übernommen hat, bezeichnete den Verlust als "brutal". Laura Freigang stellte klar: "Es ist extrem bitter. Giuli ist vor allem so ein wichtiger Mensch für uns."
Auf Krücken und mit einer Knieschiene ging es für Gwinn zunächst nach München. "Fußball, du lässt einen fliegen und manchmal auch ganz tief fallen", kommentierte sie ihre Verletzung auf Instagram. Das Ziel bleibe aber "dasselbe", so Gwinn. "Jetzt heißt es: Energie bündeln, neu ausrichten und alles für dieses Team geben. Von außen. Für innen. Ganz oder gar nicht."
Vor dem zweiten Gruppenspiel gegen Dänemark (2:1) schickte sie über Instagram eine Botschaft ans deutsche Team: "Ich glaube an euch!!" Eine Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Beim Teamfoto vor dem Duell hielten Elisa Senß und Klara Bühl ein Trikot ihrer Kapitänin mit der Nummer sieben in die Kameras, dazu trugen alle DFB-Spielerinnen ein Tape am Handgelenk mit Gwinns Initialen und ihrer Nummer "GG7". Auch zahlreiche Anhänger im Basler St. Jakob-Park richteten auf einem Transparent in der Kurve Worte an Gwinn: "Wir zusammen für Giuli."
Aus dem ganzen Land kam Zuspruch – viele bedauerten Gwinns Ausfall und wünschten ihr eine schnelle Genesung. Und obwohl sie auf dem Platz fehlen würde, erinnerte die langjährige Kapitänin Alexandra Popp daran, dass nicht alles vorbei sein werde: "Giuli wird weiterhin voll da sein. Mit einem weinenden Auge. Verbaler Support, reger Austausch mit dem Team – man kann auch von außen Einfluss nehmen", sagte Popp der "Bild"-Zeitung. Gwinns Reaktion nach der Hiobsbotschaft zeige, "wie sich Giuli entwickelt hat und dass sie die richtige Position als Kapitänin hat", betonte Popp, die ihre DFB-Karriere im Vorjahr beendet hatte.
So nahm Gwinn die Herausforderung an und verfolgte die Europameisterschaft und ihr Team nicht etwa aus der Ferne. Die 26-Jährige kehrte einen Tag vor dem dritten Gruppenspiel gegen Schweden (1:4) in die Schweiz zurück und ließ sich für jede Spielerin etwas Besonderes einfallen. Sjoeke Nüsken erklärte: "Sie hat ein Bild ausgedruckt mit einem Spruch drauf." Gwinn war wieder da, heizte das Team vor Anpfiff im Kreis ein und blieb an der Seitenlinie präsent. Nach der Niederlage nahm sie die enttäuschten Spielerinnen in den Arm. "Es war schön, Giuli dabei zu haben. Sie ist neben dem Platz umso wichtiger. Sie gibt uns Energie", so Nüsken.
Ein anderer Beitrag
Gwinn ist präsent, direkt vor Ort und intern im Team – wenn auch im Hintergrund. Sie zeigt, dass eine Kapitänin mehr ist als eine Spielerin mit Binde auf dem Platz. Gwinn wurde zur Mentorin, bleibt das verlängerte Sprachrohr des Trainers und spendet zu jeder Zeit Energie. So auch mit ihrer offenbar kraftvollen Rede vor dem Viertelfinale gegen Frankreich.
Es ist zwar eine andere Rolle als die, die sie sich vermutlich selbst vor dem Turnier gewünscht hatte. Aber sie ist ebenso bedeutend – und wird es weiterhin sein. In der Runde der letzten Vier bekommt es Deutschland am Mittwoch mit Weltmeister Spanien zu tun (ab 21 Uhr im t-online-Liveticker).
Wie der DFB auf t-online-Nachfrage bestätigte, bleibt Gwinn weiterhin beim Team – zumindest bis Mittwoch. Aber auch ein mögliches Finale am Sonntag wird sich die Kapitänin wohl nicht entgehen lassen.
- Eigene Beobachtungen und Recherche