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DFB: Der Jugenfußball hat ein großes Problem – doch es gibt eine Lösung


DFB kämpft um Talente
Der Jugendfußball hat ein großes Problem – doch die Lösung steht parat

Von Benjamin Zurmühl

27.02.2020Lesedauer: 6 Min.
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Johannes Eggestein (l.) und Marco Richter (r.): Die deutsche U21 nach dem verlorenen EM-Finale.Vergrößern des Bildes
Johannes Eggestein (l.) und Marco Richter (r.): Die deutsche U21 nach dem verlorenen EM-Finale. (Quelle: Jan Huebner/imago-images-bilder)

Deutsche Talente sind in der Bundesliga aktuell eine Rarität. Der DFB ist alarmiert und warnt sogar. Dabei muss man sich nur eine entscheidende Frage stellen – und die Antwort darauf ist ganz einfach.

Aktuell dürfte es vielen deutschen Fußballfans so gehen wie Bill Murray im Film "Und täglich grüßt das Murmeltier". In besagtem Film steckt der Schauspieler in der Rolle des Phil Connors in einer Zeitschleife fest und erlebt einen Tag immer wieder aufs Neue.

Genauso stößt mancher Fußballfan zurzeit immer wieder auf Meldungen, in denen Fußball-Fachmänner, oft ist es U21-Bundestrainer Stefan Kuntz, das Fehlen der Eigengewächse in der Bundesliga kritisiert. Von einer ungewissen Zukunft und Sorge um die Nationalmannschaft ist dabei die Rede.

Doch stimmt das auch wirklich und falls ja, wie prekär ist die Lage?

Drastischer Abfall an Chancen für U21-Spieler

Die jüngsten Aussagen des DFB passen ins Bild. Bei einem Mediengespräch Mitte Februar sprach DFB-Direktor Oliver Bierhoff von "klar warnenden Tendenzen" im Jugendfußball. Mal wieder geht es um die fehlenden deutschen Talente in der Bundesliga. Es hapert stark am Sprung aus dem eigenen Nachwuchs in das Fußball-Oberhaus. Die Zukunft bis zur EM 2024 sei zwar gesichert, doch was danach passiert, ist noch ungewiss, so Bierhoff.

Die Zahlen belegen tatsächlich eine schwierige Perspektive für junge deutsche Spieler, zumindest in der Bundesliga. Die DFL hat in ihrem jährlichen Sportreport analysiert, dass deutsche U21-Spieler in der Hinrunde der aktuellen Bundesligasaison zu nur drei Prozent an der Gesamtspielzeit aller Profis beteiligt waren. Vor zwei Jahren waren es noch 7,8 Prozent. Die Anzahl ist um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Kein Wunder, dass es auch den wenigen deutschen U21-Bundesligaprofis auffällt.

Das Beispiel Rasenballsport Leipzig

Ridle Baku von Mainz 05 sagte im Interview mit t-online.de vor Kurzem: "Zählen Sie nur einmal, wie viele deutsche und wie viele ausländische Talente in der Bundesliga zum Einsatz kommen und wie viele sich im Vergleich dazu in den heimischen Ligen durchsetzen. Allein daran sieht man, dass der ausländische Fußballnachwuchs aktuell einen Vorsprung hat."

Die Bundesliga-Klubs setzen immer mehr auf Talente aus Frankreich oder England. Das beste Beispiel ist Rasenballsport Leipzig. Mit Nordi Mukiele, Ibrahima Konaté und Dayot Upamecano haben die Sachsen gleich drei aktive französische U21-Nationalspieler unter Vertrag, die mehr oder weniger einen Stammplatz im Team haben. Ein deutscher U21-Nationalspieler ist im Kader nicht zu finden.

Wer die drei Franzosen in den letzten Monaten hat spielen sehen, kann verstehen, dass Rasenballsport auf sie setzt. Ihr Talent und ihre Athletik sind herausragend. Die Entwicklungskurve zeigt steil nach oben. Trotzdem stellt sich die Frage, ob an ihrer Stelle nicht auch deutsche Talente hätten stehen können. Liegt es am fehlenden Mut der Leipziger oder an den fehlenden Eigengewächsen auf gleichem Niveau?

"Das System zwingt die Teams dazu"

Die Antwort liegt wohl in der Mitte – und die Lösung nicht weit weg, sagt zumindest Ernst Tanner (53). Der langjährige Nachwuchschef von 1860 München und Red Bull Salzburg sieht den Fehler in der Auswahl der Talente. "Das System zwingt die Teams dazu, die falschen Spieler zu nehmen. Denn um erfolgreich zu sein, brauchst du die physisch stärksten, nicht unbedingt die besten Talente."

Was Tanner meint, ist die Zusammensetzung der Mannschaften. In den aktuellen U19-Teams finden sich Spieler der Jahrgänge 2001 und jünger. Wer im Januar 2001 geboren wurde, hat gegenüber den Dezemberkindern einen klaren Vorteil. Denn in der Jugend macht jeder Monat in der Entwicklung viel aus. Physis, Athletik, Kraft – alles Aspekte, die für Kinder aus den früheren Monaten ein Vorteil sind.

Wer ist Ernst Tanner?
Ernst Tanner baute von 2003 bis 2009 die Nachwuchsabteilung von 1860 München mit auf, aus der Spieler wie die Bender-Zwillinge oder Kevin Volland entsprangen. Anschließend ging er zur TSG Hoffenheim, bei der er den Grundstein für die Ausbildung von Talenten wie Niklas Süle legte. 2012 wechselte er nach Salzburg, wo inzwischen eine der besten Jugendakademien Europas steht. Unter der Leitung von dem damaligen A-Juniorentrainer Marco Rose gewann der FC Salzburg 2017 die Uefa Youth League. Seit anderthalb Jahren arbeitet er bei Philadelphia Union in den USA und strukturiert dort den Nachwuchs.

Genau diese Aspekte entscheiden im Jugendfußball über Einsatz oder Nicht-Einsatz. Trainer denken möglicherweise auch weniger langfristig, weil sie sich durch eine erfolgreiche Saison vielleicht einen Sprung zu den Profis erhoffen oder bei schlechten Ergebnissen um ihren Job bangen müssen. Viele dürften deshalb auf die stärksten Spieler setzen, nicht unbedingt auf die mit dem größten Potenzial. "Das ist tödlich für einen Spätentwickler und für einen Spätgeborenen", mahnt Tanner.

Der "Relative Age Effect" und seine Beispiele

Tanner sieht darin einen klaren Beweis des "Relative Age Effects", der besagt, dass Sportler aus einer bestimmten Altersgruppe in der Auswahl bevorzugt werden. Der 53-Jährige weiter: "Schauen Sie sich die Jahrgänge in den Jugendmannschaften an. Der Schwerpunkt der Geburtsdaten liegt im Januar bis März. Sie finden dann noch ein paar Spieler, die in den drei Folgemonaten geboren wurden. Aber vom Juli bis Dezember gibt es kaum Spieler. Dabei gibt es Untersuchungen, die das klipp und klar beweisen. Aber da schert sich niemand drum."

Drei Beispiele für die Aussage Tanners:

  • Von den 19 Spielern im U19-Kader der Bayern haben nur drei Spieler nach dem Monat Juni Geburtstag. Dafür sind es aber elf, die im Januar, Februar oder März geboren wurden.
  • Von den 27 Spielern in der U19 von Borussia Mönchengladbach wurden genau fünf in der zweiten Jahreshälfte geboren.
  • Von den 22 Spielern in der U19 des VfB Stuttgart feiern nur sechs Spieler ihren Geburtstag nicht zwischen Januar und Juni.

Doch es beginnt schon viel früher. Die Kader der U19 sind schließlich das Ergebnis der Jugendarbeit in den jüngeren Jahrgängen. Talente, die physische Nachteile haben, laufen Gefahr, schon früh ausgesiebt zu werden. Dabei basiert dieser Nachteil womöglich nur auf dem späten Geburtsmonat.

"Es ist unglaublich schwer, dagegen anzukämpfen"

Tanners Vorschlag: "Man muss die Regularien ändern und die Vereine auf diese Weise dazu verdonnern, einen anderen Blickwinkel einzunehmen." Er selbst hat nach eigener Aussage dieses Denken in Salzburg versucht, zu bekämpfen und die Struktur zu ändern. In der Salzburger U19-Mannschaft, die 2016/17 die Uefa Youth League gewann, war tatsächlich fast die Hälfte der Spieler in der zweiten Jahreshälfte geboren. 14 der 33 Akteure, rund 42 Prozent, um genau zu sein. Tanner hat dennoch Verständnis für die Klubs, die diese Zahlen nicht erreichen: "Es ist unglaublich schwer, dagegen anzukämpfen."

Der Philadelphia-Manager macht einen Vorschlag, um dieses Problem und diesen Zwang der Klubs zu beenden: "Wir müssen im deutschen Jugendfußball mit den Stichtagen variieren. Es braucht einschneidende Maßnahmen für ein Umdenken." Doch wie sieht das genau aus? "Man nimmt immer abwechselnd den 01. Januar und den 01. Juli als Stichtag. Zum Beispiel: Der Jahrgang der U15 beginnt am 01. Juli, der Jahrgang der U17 dann wieder am 01. Januar und die U19 am 01. Juli. Dann werden nämlich die Spieler, die später im Jahr geboren werden, plötzlich perspektivisch verdammt wichtig für die Klubs und nicht mehr ausgesiebt, sondern sogar sehr wertvoll! Dadurch schaffe ich eine ganz andere Sensibilität für das Thema."

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Auf diese Art und Weise wären die physischen Vorteile der Frühjahrskinder nicht mehr dominant: "Leistung ist im Jugendbereich nicht so ohne weiteres valide vergleichbar. Dafür sind die Unterschiede in der Entwicklung zu groß. Man muss das biologische Alter beim Leistungsvergleich einbeziehen. Nur so bekommt man gute und valide Ergebnisse", erklärt Tanner.

Das Ende des Ergebnisdrucks?

Dass der DFB etwas ändern will, ist seit einiger Zeit klar. Nachwuchschef Meikel Schönweitz schloss im März 2019 im t-online.de-Interview nicht aus, dass das Ligensystem ab der B-Jugend abwärts abgeschafft wird. Das Ziel: Den Klubs den Ergebnisdruck nehmen und so für eine fairere Verteilung der Einsatzzeiten sorgen. Physisch stärkere Spieler würden dann nicht mehr bevorzugt werden. Doch spätestens in der A-Jugend soll es wieder Konkurrenzkampf geben: "Zumindest im letzten Jugendjahr muss aber ein Ergebnisdruck herrschen, um die Jungs auf das Profi-Dasein vorzubereiten", so Schönweitz.

Andernfalls wäre der Sprung aus der Jugend zu den Profis noch schwieriger. Doch gleichzeitig birgt dieser Plan auch ein Risiko. Denn in der A-Jugend sind die Spieler noch nicht völlig ausgereift. Es könnte also immer noch leichte Vorteile für die Älteren geben und Nachteile für die Spätentwickler.

Ein besonderer Plan der Fifa

Wäre die kontinuierliche Rotation der Startmonate der Jahrgänge, wie Tanner sie vorschlägt, die bessere Lösung? Das Jugendsystem müsste komplett umgekrempelt werden. Und der Trend der übergeordneten Verbände scheint zum Teil in andere Richtungen zu gehen.

Tanner berichtet zum Beispiel von einem Gespräch mit einem Mitarbeiter der Fifa: "Der hat erzählt, dass überlegt wird, eine U16-Weltmeisterschaft einzuführen. Da habe ich nur gesagt: 'Seid ihr völlig wahnsinnig?' So würde man die aktuelle Lage noch verschlimmern und das Ganze auf einen noch jüngeren Jahrgang projizieren. Man sollte eher eine Meisterschaft in einem Zwischenjahrgang mit dem Stichtag 1. Juli einführen. Genau das muss getan werden."

Doch dass die Fifa tatsächlich mehr Wert auf eine ausgewogenere Entwicklung legt, als auf die schnelle Umsetzung eines neuen Wettbewerbs, der frisches Geld bringen könnte, ist offen. Der DFB sollte sich davon aber nicht leiten lassen. Ein schlechtes Abschneiden bei einer solchen U16-WM wäre wohl eher zu verkraften, als eine ungewisse Zukunft nach 2024.

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