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Studie: Wie Sportler unter der Corona-Krise leiden


Depressionen und Verletzungen
Warum Sportler besonders unter der Corona-Krise leiden

Von Benjamin Zurmühl

25.01.2021Lesedauer: 5 Min.
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US-Sprinter Justin Gatlin bei der WM 2019: Auch der Olympiasieger hat mit den fehlenden Wettbewerben durch die Corona-Krise zu kämpfen.Vergrößern des Bildes
US-Sprinter Justin Gatlin bei der WM 2019: Auch der Olympiasieger hat mit den fehlenden Wettbewerben durch die Corona-Krise zu kämpfen. (Quelle: Xinhua/imago-images-bilder)

Die Corona-Restriktionen helfen bei der Bekämpfung der Pandemie, haben aber auch negative Folgen. Unter anderem für Sportler. Eine Studie hat die größten Risiken zusammengetragen.

Fußball, Handball, Eishockey, Basketball, Biathlon. In Deutschland laufen viele Sportarten wieder auf höchstem Niveau. Trotz der Corona-Krise werden die Pokale und Meisterschaften vergeben, nur ohne Fans. Doch viele andere Athleten müssen warten. Ihre Wettbewerbe finden nur zum Teil statt.

"Komplett fair und komplett gleich läuft es definitiv nicht an vielen Stellen, und ich weiß auch, dass viele meiner Kollegen aus anderen Sportarten aktuell sehr sauer sind. Wir Leichtathleten sind da in einer Komfortlage. Ich muss aber auch betonen: nicht alle. Zum Glück wurden wir überhaupt als Leistungssportler und Profis deklariert. Das stand auch lange zur Debatte. Viele unserer Nachwuchssportler dürfen noch immer nicht trainieren. Der ganze Breitensport steht still", sagte Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler im November bei Sport1.

Generell ist die Lage für Einzelsportler schwierig. Sie müssen individuelle Trainingsgruppen bilden und für sich selbst kämpfen. Ihre Lobby ist kleiner als die von Fußballvereinen.

Doch wie geht es den Sportlern in der Corona-Krise überhaupt? Dieser Frage ging die Stanford Universität in Zusammenarbeit mit dem sozialen Netzwerk "Strava" nach. Sie machten eine Studie mit 131 professionellen Ausdauersportlern aus den USA zwischen März und August 2020. Unter ihnen waren vor allem Radfahrer, Läufer und Triathleten.

Mehrmals pro Woche depressive Gedanken

Das Ergebnis der Studie: Die befragten Sportler erlebten negative Einflüsse durch Corona auf ihre mentale Gesundheit. Jeder fünfte Athlet spürte Probleme mit mentaler Gesundheit und Motivation. Ein Beispiel: Vor der Krise hatten "nur" 3,9 Prozent der Befragten mehrmals pro Woche depressive Gedanken oder fühlten sich platt. Während der Corona-Restriktionen waren es 22,5 Prozent.

Dr. Paul Schmidt-Hellinger, Sportmediziner an der Charité Berlin, hat damit gerechnet. "Dass man sich die Hälfte der Woche depressiv verstimmt fühlt, kann viele Ursachen haben, die nicht nur die Leistungssportler und Leistungssportlerinnen betreffen." Schmidt-Hellinger nennt dabei in erster Linie die Kontaktsperre und das "Social Distancing", doch es hat auch sportliche Gründe.

"Motivation und Anreiz fehlt"

"Eine weitere Ursache liegt in der fehlenden Zielsetzung. Für professionelle Athletinnen und Athleten im Ausdauersport ist beispielsweise das Ziel Olympische Spiele oder ein anderer großer Wettkampf von enormer Wichtigkeit. Der Großteil dieser Wettkämpfe wurde abgesagt, wodurch ein Wettkampf-Höhepunkt fehlt und die Hauptmotivation und der Anreiz für das Jahr 2020 noch einmal 'eine Schippe drauf zu legen', geringer ausfällt."

Nervosität, Unsicherheit, Desinteresse: drei Gefühle, die von Sportlern verstärkt empfunden werden, teilweise um das Siebenfache. Die Corona-Krise hat viele Auswirkungen auf das Gemüt der Befragten.

Finanzielle Folgen

Auch die eigene Geldbörse leidet. Die vielen Wettkampfabsagen hatten natürlich auch finanzielle Folgen für die Athleten. Denn Preisgelder sind eine der Haupteinnahmequellen in der Saison. Daher ist es auch für Schmidt-Hellinger keine große Überraschung, dass sich 71 Prozent der Befragten Sorgen um ihre finanzielle Situation machten: "Im Verhältnis zu beispielsweise Restaurantbetreibern und -betreiberinnen sind dort vermutlich mehr als 70 Prozent beunruhigt. Entsprechend ist dieses Ergebnis eher positiv aufzunehmen und zeigt, dass zumindest im professionellen Ausdauersport “nur” 71 Prozent beunruhigt sind."

Gerade beim Thema Finanzen muss regional unterschieden werden. Denn Ausrüsterverträge sind gerade in den USA meist lukrativer als in Deutschland. Zwar bekommen die Athleten hierzulande noch Zuschüsse von der Deutschen Sporthilfe, zum Leben reichen die aber nicht. Sie brauchen Sponsorenverträge, Wettbewerbsgelder und andere Unterstützungen, um sich auf den Sport zu konzentrieren. In Corona-Zeiten sind davon jedoch einige dieser Zuflüsse eingestellt worden und bedrohen auch heute noch die Einzelsportler.

Auswirkung auf Olympia

Die angeschlagene mentale Gesundheit von Sportlern und die finanziellen Sorgen sind gerade im Olympia-Jahr alles andere als produktiv. Schmidt-Hellinger: "Sportlerinnen und Sportler können aus einer depressiven Verstimmung heraus, je nach Risikoprofil und externen Faktoren, tatsächlich eine Depression entwickeln. Diese kann leichtgradig, mittelgradig und schwergradig ausfallen, was unter Umständen zur Erkrankung führt. In diesem Fall heißt Erkrankung, dass die betroffenen Sportlerinnen und Sportler nicht mehr arbeitsfähig beziehungsweise nicht mehr sportfähig sind."

Doch selbst bei nicht schweren Fällen von psychischer Belastung kann es einen Einfluss auf die Leistungen haben: "Die Psyche kann in vielen Wettkampfsituationen, gerade im Bereich des Ausdauersports dazu führen, dass Athletinnen und Athleten aussteigen und den Wettkampf nicht beenden."

Gleichzeitig betont Schmidt-Hellinger auch: "Ausdauersport ist super ehrlich. Das was im Vorfeld, in der Leistungsdiagnostik, nicht möglich ist, wird auch mit einer super Psyche nicht im Wettkampf erreicht. Psyche ist nicht das Mittel mit welchem man schlussendlich zehn Prozent rausholen kann, sondern eher ein Faktor, der hinten raus dafür sorgt, dass einem zwei Prozent fehlen oder der Wettkampf abgebrochen wird." Schmidt-Hellinger spricht aus Erfahrung. Der 35-Jährige ist neben seiner Tätigkeit an der Charité auch Ultramarathonläufer, nimmt selbst an einigen Wettkämpfen teil.

Grundsätzlich lassen sich auch hier nur schwer generelle Folgen für die Olympischen Spiele ableiten. Die Corona-Krise wird nicht automatisch bei jedem Sportler zu schlechteren Leistungen führen. Armand Duplantis zum Beispiel stellte sowohl in der Halle als auch draußen im Corona-Jahr 2020 einen Weltrekord im Stabhochsprung auf. Dabei hatte auch der Schwede zuvor mit erschwerten Trainingsbedingungen zu kämpfen.

Wird die Verletzungsgefahr größer?

Die Endresultate auf der Anzeigetafel sind das eine, die physische Gesundheit das andere. Denn die Frage, die sich stellt, ist die nach einem erhöhten Verletzungsrisiko durch die fehlende Motivation. "Wenn man leicht depressiv verstimmt ist beziehungsweise unmotiviert ist und kein Gruppentraining stattfindet, ist man vermutlich trotzdem in der Lage einen Dauerlauf durchzuführen oder Tempoläufe abzuwickeln", sagt Schmidt-Hellinger, ergänzt jedoch: "Vermutlich fehlt dann im Anschluss aber die Motivation sein Alternativtraining zu absolvieren. Dazu zählen Dehnung, Krafttraining sowie all das was der Sportler oder die Sportlerin nicht so gerne macht. [...] Das ganze 'Drumherum', die gesunde Ernährung, das Krafttraining, Dehnung fällt weg, was zu Verletzungen führen kann."

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Die Folgen: "Im Falle von desaströsen Auswirkungen kann das Beispiel des Sportlers angeführt werden, der ,'schlurfend' zum Training geht und aufgrund seiner schlechten mentalen Verfassung, aufgrund von Grübeln und Gedanken eine schlechte Haltung annimmt und stürzt oder umknickt. Dadurch können Verletzungen entstehen, die letztendlich zum kompletten Trainingsausfall führen."

"Vielleicht geht es vielmehr um das Marketing"

Es braucht also Hilfe von den Verbänden für die Sportler. Denn die Corona-Krise beeinflusst nicht nur den Menschen, der hinter dem Athleten steckt. Sie beeinflusst auch die Leistung des Athleten. Und spätestens da sollten die Verbände ein großes Interesse an einem verbesserten Zustand haben.

Psychische Betreuung, ein offenes Ohr und Wertschätzung sind essenziell, um bei kommenden Wettkämpfen ein gutes Abschneiden zu haben. Denn auch wenn die Ergebnisse der Studie sich auf Ausdauersportler aus den USA beziehen, deutschen Athleten wird es nicht anders gehen. Auch sie leiden stark unter den Restriktionen.

Schmidt-Hellinger sieht zumindest in Deutschland ein gutes Angebot für Sportpsychologie, doch es könnte noch mehr davon Gebrauch gemacht werden: "Vielleicht geht es vielmehr um das Marketing des Ganzen und die Frage, wie Sportlerinnen und Sportler dazu gebracht werden können, das Angebot wahrzunehmen, bevor eine depressive Verstimmung einsetzt." Denn so können auch die Folgen der Corona-Krise kleingehalten werden.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Dr. Paul Schmidt-Hellinger
  • Studie der Stanford University
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