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Chinas Olympia-Protz: Der geheime Preis der Megaprojekte


Chinas Selbstinszenierung
"Völlig absurd" – Der Preis der olympischen Megaprojekte


Aktualisiert am 16.02.2022Lesedauer: 4 Min.
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Die längste Skisprunganlage der Welt während der Bauphase: Die chinesische Regierung hat keine Mühen gescheut, um für Olympia gigantische Sportstätten in die Landschaft zu setzen. Die Gesamtkosten für Peking 2022 sind ein gut gehütetes Geheimnis.Vergrößern des Bildes
Die längste Skisprunganlage der Welt während der Bauphase: Die chinesische Regierung hat keine Mühen gescheut, um für Olympia gigantische Sportstätten in die Landschaft zu setzen. Die Gesamtkosten für Peking 2022 sind ein gut gehütetes Geheimnis. (Quelle: Mou Yu/ Xinhua/imago-images-bilder)

Offiziell veranstaltet Peking die billigsten Winterspiele seit Langem. Die tatsächlichen Kosten dürften um ein Vielfaches höher sein – nicht nur für Chinas Steuerzahler.

Mittelmaß existiert in China nicht. Zumindest nicht für internationales Publikum. Und schon gar nicht bei Olympia. Abseits der längsten Skisprunganlage der Erde, der weltweit ersten permanenten Snowboard- und Freestyle-Schanze und der modernsten Bob- und Rodelbahn ist Peking auch um andere olympische Superlative bemüht.

Es sollen die günstigsten Winterspiele seit Jahrzehnten und die nachhaltigsten aller Zeiten sein – sofern man den Angaben des chinesischen Regimes vertrauen mag.

Denn die Wettkämpfe im Nordosten des Landes gelten gleichzeitig als die künstlichsten Spiele der Geschichte. Kaum ein Flöckchen Naturschnee, keine alpinen Landschaften. (Lesen Sie hier, woher China die 1,6 Milliarden Liter Wasser für den olympischen Kunstschnee nimmt.)

Dafür monumentale Sportstätten, die fast so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen wie die Athletinnen und Athleten. Angeblich alles für kleines Geld.

Eine Frage des Budgets

Offiziell hat die Volksrepublik 3,9 Milliarden US-Dollar für das olympische Gesamtpaket ausgegeben. Die tatsächlichen Kosten dürften allerdings weitaus höher liegen.

So schätzt das Wirtschaftsportal "Business Insider" die Ausgaben der Chinesen auf rund 38,5 Milliarden US-Dollar, also etwa das Zehnfache der amtlichen Zahl und umgerechnet mehr als 34 Milliarden Euro.

Zum Vergleich: Das Budget der Münchner Olympiabewerbung, die nach einer Bürgerbefragung zurückgezogen wurde, hätte 1,6 Milliarden Euro betragen. Doch Chinas vergleichsweise gigantische Investition ist wohlkalkuliert.

Propaganda auf großer Bühne

Denn für das autoritäre Regime ist Olympia nicht nur ein sportliches Großereignis, sondern vor allem eine Gelegenheit zur Selbstinszenierung. Während die olympischen Gastgeberträume in Europa immer häufiger am Widerstand der Bevölkerung zerbrechen, will das Land der Superlative mehr als nur Veranstalter sein.

Alles bisher Dargebotene muss übertroffen werden – der Bizepsflex einer aufstrebenden Weltmacht. Ein Großteil der Gelder ist laut "Business Insider" in die beiden Satellitenstandorte nördlich der chinesischen Hauptstadt geflossen.

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Allein für die Anlagen im rund 230 Kilometer entfernten Zhangjiakou sollen mehr als fünf Milliarden Dollar bereitgestellt worden sein.

Die längste Schanze für die unerfahrensten Flieger

Was dadurch möglich geworden ist, zeigt ein Blick auf das neue "National Ski Jumping Center": Wie ein Ufo thront die 40 Meter hohe Aussichtsplattform am Schanzenkopf über der hügeligen Landschaft. Darunter erstrecken sich die längsten Hänge der Wintersportwelt.

"Das ist schon ein sehr eindrucksvolles Bauwerk", sagt der ehemalige deutsche Skispringer Martin Schmitt im Gespräch mit t-online. Nachhaltig sei die Anlage aber sicherlich nicht. Denn über der zukünftigen Nutzung schwebt ein ebenso eindrucksvolles Fragezeichen.

Das Land, das sich die weltweit größte Anlage für Skispringer gebaut hat, steht bei dieser Sportart selbst noch ganz am Anfang. Erst seit wenigen Jahren hat China ein eigenes kleines Team, 2018 traten die Athletinnen und Athleten erstmals bei Olympia an. Die geringe Kompromissbereitschaft der chinesischen Gastgeber zeigt sich aber auch an anderer Stelle in Zhangjiakou.

Langlauf statt Landwirtschaft

Rings um die Wettkampfstätten ist die nordostchinesische Winterwelt graubraun statt weiß. Der kostbare Kunstschnee ist für die Anlagen reserviert, die nicht nur deshalb wie strahlende Fremdkörper in der Landschaft liegen.

"Die Skigebiete wurden dort errichtet, wo die Geografie das gar nicht hergibt. Völlig absurd", kritisiert die Geografin Carmen de Jong von der Universität Straßburg. Was sie meint, wird gleich neben der Sprungschanze klar. Die Anlagen für Langlauf und Biathlon scheinen dort ins Gelände gefräst worden zu sein.

"Da wurde regelrecht gegen die Landschaft gekämpft", erklärt de Jong. Das zuvor vom landwirtschaftlichen Terrassenbau geprägte Terrain wurde auf links gedreht, die Bewohner der Gegend mussten gehen.

Ganze Dörfer wurden umgesiedelt, um Platz zu machen für Pisten, Stadien, Hotels und Autobahnen. Von der einst landwirtschaftlichen Prägung ist nichts mehr zu sehen.

Protz und Gigantismus

Ähnlich sieht es in Yanqing aus, dem zweiten Satellitenstandort der Spiele, 70 Kilometer nördlich von Peking. Hier steht unter anderem die Bob- und Rodelanlage, eine spektakuläre Bahn, die sich wie ein chinesischer Drachen über knapp zwei Kilometer das Xiaohaituo-Gebirge herunterschlängelt. Angeblicher Kostenpunkt: zwei Milliarden Euro.

"Geisteskrank" nannte das der deutsche Bobpilot Johannes Lochner kürzlich in der ARD-Doku "Spiel mit dem Feuer". Wenn man die Kosten runterbreche, rentiere sich das nie im Leben. "Das sind vielleicht 250.000 Euro pro Abfahrt", so Lochner, der die Bahn "fünf Nummern zu groß" findet.

Ähnlich sieht es der dreifache Rodel-Olympiasieger Felix Loch: "Das ist Protz, um der Welt zu zeigen, was sie können." Und die Kosten für diesen Gigantismus setzen nicht nur dem Olympia-Budget zu.

Medaillenkampf im Naturschutzgebiet

"Vor allem aus Umweltsicht sind die Winterspiele nichts, auf das man stolz sein sollte", mahnt Geografin de Jong. Ein Grund: Für die alpinen Skipisten in Yanqing wurden die Grenzen des Naturschutzgebietes Songshan versetzt – kein Thema, das dem chinesischen Olympia-Organisationskomitee erwähnenswert scheint.

Im Nachhaltigkeitsbericht kommt der einzige Nationalpark in der Gemeinde Beijing nicht einmal vor, die Webseite des Schutzgebietes scheint im Zeitraum zwischen 2017 und 2020 offline genommen worden zu sein. Die Vorbereitungen für Olympia haben dort enorme Veränderungen erzwungen.

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Ausgerechnet in der schützenswertesten Zone, dem ehemaligen Lebensraum seltener Orchideen, Steinadler sowie einiger chinesischer Leoparden, deren Art vom Aussterben bedroht ist, stehen nun Olympia-Anlagen. Doch "das Thema wird unter den Teppich gekehrt", kritisiert Geografin de Jong.

"Im Ergebnis wurde ein Viertel des Naturschutzgebietes weggeschnitten", so de Jong. 1.100 Hektar besonders artenreicher Natur seien weggefallen. Ein Verlust, den auch die im Nachgang angetackerte Ersatzzone nicht ausgleichen könne.

Die nachhaltigsten Spiele aller Zeiten?

Ein weiterer Punkt stößt der Geografin mindestens ebenso übel auf: der ökologische Fußabdruck der olympischen Infrastruktur in Zhangjiakou und Yanqing. Die Bob- und Rodelbahn, die Skisprungschanze, die riesigen olympischen Dörfer mit Hotels, die neuen Autobahnen, Zubringer und Schnellzuganbindungen.

Dafür seien Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen worden. Alle Emissionen würden kompensiert, heißt es seitens der Veranstalter dazu. "Man sagt aber nicht, wie, wo oder wann", so de Jong.

Dennoch beharrt China darauf, die nachhaltigsten Spiele aller Zeiten zu veranstalten. Wenn sie das hört, muss de Jong lachen: "Dann kann man die Winterspiele genauso gut in London oder in Paris stattfinden lassen und vom Eiffelturm oder Big Ben runtersausen."

Verwendete Quellen
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